Wie wirkt sich die zunehmende Bedeutung von Künstlicher Intelligenz auf Ihre Arbeit als Innovationschefin aus?
KI ist für uns kein Neuland, wir arbeiten bereits in vielen Bereichen damit. Jährlich 2,5 Millionen Glasfaseranschlüsse zu bauen, das würden wir ohne KI-gestützte Trassenplanung gar nicht schaffen. Es gibt einfach nicht genug Planer*innen. Unsere so genannten T-Cars sammeln dafür Daten über Beläge oder Straßenverläufe. Mit Hilfe der KI wird eine passive Trassenplanung erstellt, auf die unsere Planer zurückgreifen können. Damit lassen sich zeitintensive Begehungen vor Ort reduzieren.
Durch die generative künstliche Intelligenz hat das Thema einen weiteren Schub erhalten. Denn damit haben sich die Erwartungen unserer Kund*innen, wie sie Informationen bekommen, deutlich verändert. Wir haben deshalb in unseren Service-Chatbot, „Frag Magenta“, die Technologie großer Sprachmodelle integriert. Auch, um auf Fragen einzugehen, die nicht so häufig gestellt werden. Für unsere Mitarbeitenden entwickeln wir einen neuen digitalen „Concierge“-Chatbot, an den sie fachliche Fragen richten können.
Die Deutsche Telekom hat bereits 2018 ethische Leitlinien für die Nutzung von KI veröffentlicht. Wie aktuell sind diese heute noch?
Ja, unser Unternehmen gehörte hier zu den Vorreitern. Die Leitlinien sind aktueller denn je. Beispielsweise, dass die Verantwortung weiter beim Menschen liegt. Oder, dass transparent sein muss: Habe ich es mit einem menschlichen Gegenüber oder einer Maschine zu tun.
„KI ist keine Wunderpille“
Als einen wichtigen „AI Trend“ sehen Sie auch „thoughtful and meaningful applications“. Was haben Sie hier im Blick, was planen Sie?
In den Vereinigten Staaten nutzen wir KI, um hochaufgelöste Videos fest installierter 5G-Kameras auszuwerten. Die KI erkennt Rauchentwicklungen in Waldgebieten und damit Anzeichen für Brände. Die Feuerwehr kann auf diese Weise schneller anrücken und reagieren, bevor Waldbrände außer Kontrolle geraten. Das ist nur ein kleines Beispiel. Auch im Gesundheitswesen kann KI sinnvoll sein, zum Beispiel, um Krankheiten frühzeitig zu entdecken. Letztlich bietet KI viele Chancen. Aber fest steht auch: Sie ist keine Wunderpille gegen jedes Problem, das wir haben.
Sie arbeiten mit ihrem langjährigen Kooperationspartner SK Telecom auch im Bereich der KI zusammen – warum ausgerechnet Südkorea und wohin geht die Reise hier?
Südkorea hat im Bereich der Telekommunikation schon immer Benchmarks gesetzt, SK Telecom ist sehr innovativ und dem Wettbewerb sehr weit voraus. Zudem passen wir kulturell gut zueinander. Wir wollen gemeinsam ein Large Language Modell weiterentwickeln, das speziell auf die Telekommunikationsbranche abzielt. Dafür trainieren wir das Modell von Anthropic mit Telco-Daten und schauen, ob so ein spezifisches Modell bessere Ergebnisse liefert. Zeitgleich testen wir auch Open Source Modelle wie LLaMA, das Large Language Model von Meta AI.
Ist das die Zukunft? Wohin werden sich die Modelle entwickeln?
Wir sehen, dass es zum einen kleinere, spezialisierte Modelle geben wird, die etwa in Kombination mit Vektordatenbanken trainiert werden. Gleichzeitig wird so genannte General Purpose AI mit Weltwissen trainiert. Es kann heute noch niemand genau sagen, worauf die Entwicklungen hinauslaufen werden. Deshalb ist es wichtig, viel auszuprobieren, auch mit Kooperationspartnern. Selbstverständlich im Rahmen unserer ethischen Leitlinien.
Wie halten Sie sich bei allen technischen Neuerungen selbst „up to date“?
Zum einen gehen wir beispielsweise mit dem Vorstand regelmäßig auf unsere „plug into the world“-Reisen, um mit großen Tech-Playern, aber auch mit Start-ups in verschiedenen Regionen der Welt zu sprechen. Darüber hinaus bin ich auch verantwortlich für das Partnermanagement und den Bereich Lieferketten. So bin ich in ständigem Kontakt mit großen und kleinen Anbietern und erfahre, was dort gedacht und gemacht wird. Sehr wichtig ist mir aber auch der interdisziplinäre Austausch. Beispielsweise im Rahmen von Events wie der DLD Conference oder im Rahmen unserer Kooperation mit der UdK Berlin. Hier suchen wir Anregungen aus der Schnittstelle zwischen Kunst und Technologie. Daraus ist u.a. das Buch „Weak Signals“ entstanden, das neue Begriffe und Trends beleuchtet. Meine Neugier als Physikerin treibt mich immer wieder an, neue Themen zu entdecken. Zudem besuche ich gerne und regelmäßig unsere Shops und Hotlines, um direkt mit unseren Kunden und Kundinnen zu sprechen. Denn Technologie sollte kein Selbstzweck sein, sondern Menschen helfen.
Sie sind bereits seit 12 Jahren erfolgreich im Vorstand der Deutschen Telekom. Welche Learnings würden Sie gern weitergeben?
Man sollte sich einen Bereich suchen, für den man eine Passion mitbringt. Um Teams erfolgreich zu führen, braucht es ein „Händchen“ für die Auswahl und für den Umgang mit Menschen. Ganz wichtig aber ist: Nie den Humor verlieren.
Claudia Nemat, Jahrgang 1968 ist seit 2011 Mitglied des Vorstandes der Deutschen Telekom. Die Deutsche Telekom gehört mit rund 245 Millionen Mobilfunk-Kundinnen und Kunden, 25 Millionen Festnetz- und 21 Millionen Breitband-Anschlüssen zu den führenden integrierten Telekommunikations-Unternehmen weltweit. Seit Januar 2017 verantwortet die studierte Physikerin das Ressort Technologie und Innovation, welches die Verantwortung für Netzwerke, IT, Produkte, sowie Informations- und Cyber-Sicherheit beinhaltet. Zuvor arbeitete sie 17 Jahre bei der Unternehmensberatung McKinsey&Company. Dort war Nemat unter anderem Co-Leiterin des weltweiten Technologiesektors und übernahm eine Reihe von Interim-Management Rollen bei globalen Klienten aus dem IT-Sektor, inklusive Disaster Recovery von großen IT-Projekten und Ausübung von Interim-CEO Rollen. Seit 2016 ist sie Mitglied des Verwaltungsrats von Airbus sowie des Aufsichtsrats von Airbus Defense.