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Trautes Heim, Fleiß allein?

Die einen profitieren vom Homeoffice-Trend, den die Pandemie befeuert hat. Andere müssen Abstriche machen, wenn weniger Leute ins Büro hasten. Wo Einsamkeit produktiv wirkt – und wo Gemeinschaft das perfekte Antidepressivum ist.

München, Darmstadt, Salzburg. Küche, Laptop, los geht‘s: Andrea Langthaler zieht ihr Business ausschließlich allein und von zu Hause aus hoch. Sie hat kein hippes Büro in der Millionenstadt München, in dem sie mit ihrem Team sitzt. Sie schnappt sich einen Sessel und nimmt am eigenen großen Küchentisch Platz. Wenn ihr Mann morgens die beiden älteren der insgesamt drei Töchter in den Kindergarten beziehungsweise in die Schule gebracht hat, schnallt sich die frühere Grundschullehrerin, Marketing-Expertin und Erfinderin eines Rolls-Ons gegen starke Regelschmerzen die Trage um und setzt die acht Monate alte Lotta hinein.

„Mein Unternehmen und meine Kinder strukturiere ich so, dass ich vorwärtskomme und nicht geistig auf der Strecke bleibe.“

Während das Mädchen schlummert oder brabbelt, organisiert die 38-Jährige ihr Unternehmen „Julie & Rose“. Telefonieren, Bestellungen managen, die Produktion überblicken, Content für die Werbung auf Online-Plattformen kreieren. „Andere Gründerinnen gehen mehr hinaus, netzwerken intensiver. Ihr Business wächst dadurch schneller. Doch ich kann mein eigenes Tempo gehen, ohne daheim in Panik zu verfallen“, erzählt Langthaler.

Andrea Langthaler, Gründerin JULIE & ROSE

Die Wahl-Münchnerin hat als junge Erwachsene die Diagnose Endometriose bekommen. Entzündungsherde sind oft dafür verantwortlich, dass Frauen darüber hinaus nicht schwanger werden können. Bei Andrea Langthaler mit ihren drei Töchtern ist das offensichtlich nicht der Fall. Doch den Endometriose-Leidensweg teilt sie sich mit deutschlandweit rund zwei Millionen Frauen, wie die Medizinische Hochschule Hannover berichtet. In Österreich sind bis zu 300.000 Frauen betroffen, schätzt die Medizinische Universität Wien. Die Dunkelziffer dürfte jedoch in beiden Ländern viel höher liegen.

Perfektionismus und Homeoffice matchen nicht

Zurück zu jenem Münchner Küchentisch, an dem sie Entscheidungen für „Julie & Rose“ trifft. Ob Andrea Langthaler Kolleginnen, Kollegen und Gleichgesinnte vermisst? Sie winkt ab. „Mein Job als Marketingfachfrau ist es, rauszugehen und Menschen miteinander zu verbinden. Mit dem Homeoffice habe ich in der Pandemie begonnen, so wie ganz viele andere Leute auch. Bis heute hat für mich Priorität, dass ich mich mit Menschen live austausche. Wenn nicht am Abend, dann eben mittags zum Lunch.

Mein Unternehmen und meine Kinder strukturiere ich so, dass ich gut vorwärtskomme und nicht geistig auf der Strecke bleibe.“ Zugegeben, es sei eine Erleichterung, dass ihr Mann das Einkommen trägt, während sie gerade noch in Elternzeit ist. Auch, wenn sie sich nicht auf diesem Umstand ausruhen und maximal selbstständig bleiben möchte. Das Arbeiten von zu Hause aus sieht Langthaler als praktische und moderne Möglichkeit, Job und Familie zum Wohle aller Beteiligten zu vereinen. „Ich möchte meinen Kindern ein maximales Vorbild sein. Homeoffice und das Abschiednehmen von allzu wildem Perfektionismus sind für mich Grundvoraussetzungen für Erfolg“, sagt sie.

Einige namhafte Wirtschaftswissenschaftler, wie Nicholas Bloom von der Stanford University, sind davon überzeugt, dass gezieltes Arbeiten von daheim der Gesellschaft insgesamt nützt. Seine Rechnung funktioniert ganz einfach: Je mehr Menschen daheimbleiben und dort werken, umso weniger Verkehr rollt über die Straßen und umso weniger CO2-Emissionen belasten die Umwelt. Etwas komplexer wird es, wenn es um die Einbindung einiger sogenannter Randgruppen in den regulären Arbeitsmarkt geht; so können junge Mütter, Menschen mit Behinderung oder ältere Leute einfacher Jobs übernehmen, wenn sie diese von zu Hause aus ausüben können. Und immer mehr Studien belegen, dass Homeoffice die Produktivität ohnehin steigert.

Am Dorf beliebter als in der Stadt

Das zeigt etwa eine Untersuchung der Technischen Universität (TU) Darmstadt aus dem Vorjahr. Sie hat mehr als 1.000 deutsche Wissensarbeitende befragt. „Die Ergebnisse zeigen, dass Beschäftigte ihre Entscheidung, welchen Arbeitsort sie aufsuchen, primär danach treffen, wo sie erfolgreich arbeiten können. Vor dem Hintergrund potenzieller Effizienzgewinne werden daher Arbeitgeber dem Wunsch nach mehr Remote Work künftig verstärkt nachkommen müssen“, heißt es aus Darmstadt.

Parallel ließ sich beobachten, dass 81 Prozent der Beschäftigten mit ihrem „Homeoffice“ merkbar zufrieden sind. Im Büro behaupten das nur rund 57 Prozent von sich. Auch die psychosoziale Gesundheit profitiert laut Studie, wenn Teammitglieder vom Schreibtisch daheim aus arbeiten: Die Fälle von Burnout und Boreout haben sich deutlich reduziert. Eine weitere Erkenntnis dreht sich darum, dass Beschäftigte mit dem Arbeiten von zu Hause aus zufriedener sind, je dezentraler ihre Wohnung liegt. Während rund 69 Prozent der Bewohner*innen von Innenstädten von dieser Form des Arbeitens begeistert sind, beträgt die Zustimmungsquote in Gemeinden und Dörfern sogar bis zu 90 Prozent.

Schauplatzwechsel nach Salzburg. Hier hat die Unternehmerin Romy Sigl vor etwas mehr als zehn Jahren ihren Coworking-Space im Techno-Zentrum im Stadtteil Itzling gegründet. Nicht zuletzt deshalb sieht sie den Homeoffice-Trend kritisch und sagt: „Für mich ist das wie ein Urlaub auf Balkonien – ja, das kann man schon einmal machen. Zum Beispiel, wenn das Kind krank ist. Doch einen Urlaub auf Balkonien macht man ja auch nur, wenn es nicht anders geht. Ein Dauerzustand ist das für mich nicht.“ Sie selbst hat gespürt, dass sie sogar trübsinnig wird, wenn sie beim Arbeiten keine anderen Menschen um sich hat. Dazu kennt sie eine reale Gefahr des Arbeitens zu Hause: morgens länger im Bett liegenzubleiben und die Arbeit auf den Abend zu schieben, um sie dann doch nicht zeitgerecht abzuschließen. „Es ist leicht, sich eine freie Zeiteinteilung schönzureden“, sagt sie und zwinkert. Für die Mutter ist ein geregelter Tagesablauf wichtig, um nicht in genau diesen Sumpf des Prokrastinierens hineinzukommen.

Romy Sigl, Gründerin Coworking Salzburg

Rezeptfreies Antidepressivum

In Romy Sigls Coworking Space stehen Schreibtische, die pro Monat und sogar pro Tag gemietet werden können. Ein ordentliches Highspeed-Internet, Drucker und eine leistungsstarke Kaffeemaschine gehören zu dem Grundpaket, das jede*r Mieter*in eines Arbeitsplatzes dazubekommt. Auch wenn es in dem Großraumbüro tendenziell ruhig ist – immer wieder schwirren Ideen, Inspiration und Ansporn für neue Projekte durch den Raum.

Wer sich hier einmietet, sei offen für andere Sichtweisen, erklärt die Gründerin. Ihr Vorteil: „Ich buche keine Weiterbildungen, weil ich hier so viel Neues lerne – vom Coaching bis hin zu den Trends der Künstlichen Intelligenz.“ Je mehr die Salzburgerin über den Raum mit Besprechungszimmer, Podcast-Studio und Küche spricht, desto mehr wird klar: „Für mich ist all das ein herrliches Antidepressivum. Wann immer ich hier hin gehe, komme ich besser gelaunt nach Hause. Mein Mann unterstützt mich so darin, selbst oft im Coworking präsent zu sein.“

„Coworking ermöglicht modernes Arbeiten für Selbstständige und Teamwork für Ein- oder Mehr-Personen-Unternehmen.“

Sigl unterstreicht, dass auch Coworking Spaces zum Umweltschutz beitragen: „Wir haben Salzburger Teammitglieder einer Firma aus dem Bayerischen Burgkirchen bei uns. Sie sparen sich zweimal täglich eine Strecke von je rund 50 Kilometern, weil sie bei mir ein gezogen sind.“ Ein weiterer Effekt, den sie schätzt, betrifft das Gemeinschaftsgefühl. Wenn jemand eine echte Krise habe, helfe das Umfeld beim persönlichen Wachstum. Wie das geht? Durch Feedback und die Chance, sich und seine Pläne zu reflektieren. Im Coworking Salzburg gibt es eine gute Tradition, die sich „Food for Feedback“ nennt. Wer eine Frage an die Gemeinschaft hat, sorgt für das Mittagessen. Am liebsten ist dieses selbst gekocht, Bestellen ist auch in Ordnung. In knackigen fünf Minuten stellt die Person ihr Problem vor, danach gibt es maximal eine halbe Stunde lang Rückmeldungen und Rat von allen Teilnehmenden. Danach ist Schluss, und alle kehren an ihre Schreibtische zurück, um an ihren eigenen Projekten zu arbeiten. „So geht modernes Arbeiten für Selbstständige und Teamwork für Ein- oder Mehr-Personen-Unternehmen“, sagt Romy Sigl.


Acht Vorteile von Homeoffice

1. Gesteigerte Produktivität – das belegen etliche Studien
2. Flexiblere Einteilung der Arbeit, selbstbestimmteres Tun
3. Gerade zurückhaltende Menschen empfinden Online-Formate als angenehmer
4. Ältere Arbeitnehmer*innen fühlen sich in ihrer Autonomie gestärkt
5. Zeit- und Kostenersparnis, wenn der Weg ins Büro wegfällt
6. … damit geht einher, dass die Umwelt geschont wird
7. Unternehmen sparen Fixkosten von Strom, Heizung, Verpflegung
8. Homeoffice macht Arbeitgeber attraktiver

Acht Nachteile von Homeoffice

1. Ganz klar, die Vermischung von Beruf und Privatleben
2. Gefahr von Ablenkung und „Aufschieberitis“ (Prokrastinieren) ohne gute Selbstdisziplin
3. Permanente Erreichbarkeit für Kund*innen oder Vorgesetzte
4. Tolle Leistungen sind weniger sichtbar, Lob kommt oft zu kurz
5. Unsicherheit des Arbeitsplatzes: Wer nicht im Büro sein muss, auf den kann vielleicht einmal ganz verzichtet werden
6. Teams zerfallen schnell in kleinere Gruppen, die sich intensiv austauschen
7. Weniger Kontakt zu Vorgesetzten bedeutet, bei Beförderungen eher übergangen zu werden
8. Unklare Rechtslage, komplizierte Versicherung

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