Teilzeitarbeit ist eines der kontroversesten Themen in der heutigen Arbeitswelt. Vielleicht nur übertroffen von Debatten über Gendern oder die richtige Form der Ansprache. Es gibt unzählige Blickwinkel auf Teilzeit: gesellschaftlich, unternehmerisch und individuell. Doch eines ist klar: Teilzeitarbeit bedeutet nicht weniger Leistung – nur eine andere Art, sie zu erbringen. Gerade Frauen, die in Teilzeit arbeiten, stehen oft vor Herausforderungen, die weit über ihre eigentliche Arbeitszeit hinausgehen. Sie jonglieren zwischen beruflichen Aufgaben, Kinderbetreuung, Haushalt und persönlichen Bedürfnissen.
Doch warum wird Teilzeit oft als „weniger wertvoll“ angesehen? Warum fühlen sich viele Frauen gezwungen, sich zu rechtfertigen, wenn sie früher das Büro verlassen? Diese Denkmuster müssen durchbrochen und das Thema – vor allem für Frauen und die Arbeitswelt – neu gedacht werden.
„Ich arbeite ja nur Teilzeit“
Ein zentrales Thema ist der Gedanke „Ich arbeite ja nur Teilzeit“. Doch dieser Satz ist gefährlich, weil er das eigene Selbstbild beeinflusst. Teilzeitarbeit ist keine „halbe Sache“. In vielen Fällen sind Menschen in Teilzeit sogar effizienter, weil sie gelernt haben, ihre Zeit gezielt einzusetzen. Führungskräfte sollten erkennen, dass eine engagierte Person mit 25 bis 30 Stunden oft produktiver sein kann als eine Vollzeitkraft, die viel Zeit mit Meetings oder Kaffeepausen verbringt. Die Leistung definiert den Wert einer Arbeit, nicht die Stundenzahl.
Die gesellschaftlichen Strukturen machen es Frauen jedoch nicht leicht. In Deutschland, Österreich und der Schweiz arbeiten rund 50 Prozent der Frauen in Teilzeit, während es bei den Männern nur 10 Prozent sind. Das zeigt, dass Teilzeitarbeit oft mit Kinderbetreuung und Pflege gleichgesetzt wird. Doch die Realität ist vielfältiger. Menschen arbeiten in Teilzeit, weil sie sich weiterbilden, ihre Hobbies integrieren möchten oder sich um Angehörige kümmern. Bei unseren Nachbarländern ist das Bild völlig anders. In Frankreich kehren Frauen nach zwei Monaten Mutterschutz in Vollzeit zurück, während in Skandinavien Eltern die Betreuung partnerschaftlich aufteilen. Besonders bezeichnend ist, dass es das Wort „Rabenmutter“ nur in der deutschen Sprache gibt. In anderen Kulturen ist es selbstverständlich, dass Frauen arbeiten und Kinder von klein auf gut betreut sind.
Die (Arbeits-) Welt bunter denken
Auch Unternehmen müssen umdenken. Viele Arbeitgeber haben noch immer eine starre Vorstellung davon, wie Karriere aussieht: 40+ Stunden pro Woche, volle Verfügbarkeit, ständige Erreichbarkeit. Doch das ist längst überholt. Erfolgreiche Unternehmen setzen zunehmend auf flexible Arbeitsmodelle, Führen in Teilzeit, Jobsharing und eine ergebnisorientierte Arbeitsweise statt auf reine Präsenz. Denn Fakt ist: Im Zeitalter des Fachkräftemangels kann sich kein Unternehmen mehr leisten, talentierte Fachkräfte in Teilzeit zu ignorieren. Mütter und Väter bringen zudem wertvolle Kompetenzen mit: Organisationstalent, Belastbarkeit, Entscheidungsstärke – alles Fähigkeiten, die in der modernen Arbeitswelt essenziell sind. Ich plädiere auch für einen anderen Ausdruck: Lasst uns doch einfach von verschiedenen Arbeitszeitmodellen sprechen, so dass weniger in „Schwarz-Weiss“ gedacht wird. Die Welt ist einfach bunter und vielfältiger.
Trotzdem bleiben die Hürden im Alltag bestehen. Viele Frauen haben mit einem schlechten Gewissen zu kämpfen. Sie fühlen sich hin- und hergerissen zwischen Job und Familie, haben das Gefühl, in beiden Bereichen nicht genug zu leisten. Hier ist unbedingt ein Umdenken nötig. Niemand kann alles alleine stemmen. Teilzeit bedeutet nicht automatisch, dass die gesamte Kinderbetreuung und der Haushalt an einer Person hängen bleiben sollten. Wer mit einem Partner lebt, sollte Aufgaben fair aufteilen. Denn es ist nicht nur „ihr Job“, sich um Kinder, Haushalt und Familienmanagement zu kümmern – es ist eine gemeinsame Verantwortung. Ein häufiges Argument lautet: „Aber mein Mann verdient mehr, also ist es logisch, dass ich reduziere.“ Doch diese Denkweise hat langfristige Konsequenzen: Frauen bleiben finanziell abhängig, haben geringere Pensionsansprüche und weniger Sicherheit im Alter. Auch für Männer gibt es Vorteile, wenn ihre Partner:innen stärker erwerbstätig bleiben. Sie entkommen der Rolle des alleinigen Ernährers und haben mehr Freiraum für Familie und persönliche Entwicklung.
Teilzeitkräfte sollten sich nicht kleinmachen
Veränderung beginnt oft im Kleinen. Ein klares Auftreten kann viel bewirken. Wenn jemand fragt: „Ah, du gehst schon?“, kann die Antwort lauten: „Ja, ich habe meinen Tag gut organisiert und meine Aufgaben effizient erledigt.“ Wer seine Arbeitszeit und Leistung selbstbewusst vertritt, setzt ein klares Signal. Teilzeitkräfte sollten sich nicht kleinmachen oder das Gefühl haben, sich rechtfertigen zu müssen. Jede Arbeitsstunde zählt – und jede Entscheidung für ein ausgewogenes Leben ebenfalls. Es gibt viele Vorurteile gegenüber Teilzeit. Einige Führungskräfte betrachten Teilzeitkräfte als weniger engagiert oder nicht karriereorientiert. Doch diese Sichtweise ist überholt. Menschen, die in Teilzeit arbeiten, leisten genauso viel – oft sogar mehr, weil sie disziplinierter und fokussierter arbeiten müssen.
Ein weiteres Problem kann das fehlende Bewusstsein und die mangelnde Unterstützung vom beruflichen Umfeld sein. Gerade Menschen, die Vollzeit arbeiten und keine Kinder haben, zeigen manchmal wenig Verständnis für Menschen, die in reduziertem Stundenausmaß arbeiten. Sie fragen sich, warum die Kollegin „einfach so“ mittags geht, während sie selbst bis spät im Büro sitzen. Doch auch hier hilft offene Kommunikation. Vielleicht ist es nur ein Missverständnis oder ein falsches Bild von Teilzeitarbeit. Ein Gespräch kann helfen, Verständnis zu schaffen und Arbeitsaufgaben fair zu verteilen.
Es braucht Mut, gewohnte Denkmuster zu durchbrechen
Letztendlich geht es mir darum, Frauen und Müttern mehr Wertschätzung entgegenzubringen bzw. sie sollten ihren eigenen Beitrag mehr sehen und sich im übertragenen Sinne selbst auf die Schulter klopfen. Zu akzeptieren, dass man nicht alles perfekt machen kann. Sich bewusst zu machen, dass man mit seiner Arbeit und seinem Einsatz viel leistet – egal, ob in 20, 30 oder 40 Stunden. Veränderung beginnt bei jedem Einzelnen. Ein neuer Blick auf Teilzeitarbeit kann nicht nur die eigene Zufriedenheit steigern, sondern auch langfristig zu einer besseren Arbeitswelt beitragen.
Wer seine eigenen Bedürfnisse ernst nimmt und selbstbewusst für sein Arbeitsmodell einsteht, zeigt auch anderen, dass es möglich ist, Karriere und Familie zu vereinbaren. Es braucht Mut, gewohnte Denkmuster zu durchbrechen. Aber wer nicht fragt, wer nicht fordert, wer nicht seine eigenen Bedürfnisse kommuniziert, bleibt oft in alten Strukturen gefangen. Die meisten Ängste existieren nur in unseren Köpfen. Was wäre, wenn wir statt in Worst-Case-Szenarien in Best-Case-Szenarien denken würden? Wenn wir uns vorstellen, dass es funktioniert – dass wir uns durchsetzen können, dass wir Erfolg haben, dass wir mit unserem Modell glücklich werden?
Teilzeitarbeit ist nicht das Problem – es sind die alten Denkmuster, die damit verbunden sind. Es ist Zeit, diese aufzubrechen und die Vollzeit(nahe)-Arbeit von Frauen und Männern zu ermöglichen – weil es viele Vorteile für die Gesellschaft, die Unternehmen und auch für jede und jeden hat.
Über die Autorin:
Maren Wölfl ist Female Leadership Expertin, Buchautorin und TEDx-Speakerin, die sich selbst augenzwinkernd als „wandelndes Lexikon für Karrierefragen“ und „unverbesserliche Optimistin“ bezeichnet. Als Unternehmerin des Jahres 2024, Top 15 Coach in Wien und Gründerin von Female Wake-up Call begleitet sie Frauen, Mütter und Unternehmen auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung, Vereinbarkeit und Sichtbarkeit.