Unser Alltag ist förmlich zu einer Ansammlung von Unsicherheiten mutiert, an der gelegentlich ein Moment von Klarheit vorbeiläuft und kurz durchs Fenster ins Quarantäne-Camp winkt. Um wieder Frau der Lage zu werden und etwas Licht ins Dunkel rund um das Thema Aktien, Investments und andere Anlageformen zu bringen, haben wir mit Mag. Veronika Lammer vom Netzwerk Fondsfrauen gesprochen.

Sheconomy: In vielerlei Hinsicht steht die aktuelle Krise auch für Rückschau und Neustart. Möglicherweise auch beim Thema Geld und bei der Suche nach neuen Anlageformen. Ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um über Aktien und ETFs nachzudenken?

Lammer: Ich glaube es ist weniger ein Zeitpunkt über neue Anlageformen nachzudenken, als darüber, wie frau die klassischen Veranlagungsformen für die eigenen Finanzen besser nutzen kann. Die seit langem erprobten Instrumente wie Aktien, Anleihen sowie die darauf aufbauenden Investmentfonds und ETFs bieten alle Möglichkeiten, um an der nächsten Welle der Digitalisierung, aber auch am Umdenken in Richtung Klimaschutz, finanziell teilhaben zu können.

Achtung, nach wie vor gilt zu berücksichtigen: Verteilung auf verschiedene Anlageformen (liquide Reserven, Anleihen, Aktien, Gold, andere Rohstoffe, Immobilien) – also Diversifikation – reduziert das Risiko und erhöht damit die langfristigen Gewinnaussichten. Diversifikation ist auch im Sinn von »Anlagezeitpunkten« zu verstehen. Selbst wenn die aktuellen Kurse an den Aktienmärkten oder bei manchen Anleihen besonders attraktiv erscheinen, darf ein erneut möglicher Kursrutsch nicht ausgeschlossen werden. Daher empfiehlt es sich gerade in der Krise schrittweise zu investieren.

Welcher Umgang mit Geld ist in Krisensituationen prinzipiell sinnvoll?

Ich halte zwei Punkte gerade jetzt für besonders wichtig. Zunächst einmal die Haltung einer Liquiditätsreserve. Gehen Sie nur soviel Risiko ein, wie Sie wirklich vertragen, sodass Sie weiterhin einen kühlen Kopf bewahren können. Seien Sie weder übertrieben ängstlich noch gierig. Am einfachsten ist es sich vorzustellen, wie es sich anfühlen würde, durch Marktbewegungen von 20.000 EUR vorübergehend auf 18.000 EUR, 15.000 EUR oder noch weniger zu sinken.

Wenn schon in Aktien investiert wird, macht es durchaus Sinn, weiter zu kaufen. Allerdings sollten die Investitionen zeitlich verteilt werden und nicht beim vermuteten Tiefpunkt vollständig gesetzt werden. Der Grund ist sehr einfach: Am Tiefpunkt der Marktbewegung ist die Stimmung am schlechtesten, die Nachrichten katastrophal. Den Mut, in diesem Augenblick zu investieren, hat kaum jemand. Wenn noch keine Aktien gekauft wurden und ein ausreichend langer Horizont zur Verfügung steht, sollte frau sich Grundwissen darüber aneignen und erste Schritte in zukunftsträchtige Branchen setzen. Es gibt viele nachhaltige Investmentfonds, die sich mit Zukunftsthemen beschäftigen.

Die Volatilität ist in Krisenzeiten besonders hoch. Daher bedarf es gerade in Sachen Aktieninvestment einen langen Horizont. Wir alle wissen nicht, wie lange die Wirtschaft in einer stärkeren oder schwächeren Form durch die Pandemie eingeschränkt bleiben wird, daher wird die Börse immer wieder nervös auf Nachrichten reagieren. Langfristig auf 5 bis 10 Jahren gedacht werden die heutigen Kurse aber sehr wahrscheinlich als günstig erscheinen. Aktuell kann frau überlegen, welche Branche als Gewinner aus der aktuellen Krise herauskommen könnte und welche eher nicht. Die beste Strategie ist daher: Investments in zukunftsgerichtete Branchen, am besten nachhaltige Branchen, da uns das Thema Klimaschutz noch länger begleiten wird. Verteilen Sie die Investitionssumme über Zeit und sparen Sie laufend an. Investieren Sie nur den Vermögensanteil in Aktien, den Sie ziemlich sicher über 7 Jahre entbehren können.

Und dann auch noch die Investition in langfristige Sparformen. Die langfristig sinnvollste Sparform ist der monatliche Sparplan, bei dem der verfügbare Einkommensteil in Wertpapiere investiert wird. Das Thema Nachhaltigkeit der Investitionen hatte in den letzten Jahren ein stetiges Wachstum zu verzeichnen. Mittlerweile ist es leicht für Anleger*innen nachhaltig zu investieren. Es gibt viele Investmentfonds, die die entsprechende Auswahl treffen. Wie sich gezeigt hat, spricht Nachhaltigkeit auch für die bessere Performance. Die Kombination aus Zukunftsbranchen mit Nachhaltigkeit erscheint daher besonders attraktiv.

»Hüten Sie sich vor Freunden, die den todsicheren Tipp haben. Einzeltitel sollten Sie nur kaufen, wenn Sie schon Erfahrung mit Aktienfonds und ETFs gemacht haben und das Geschäftsmodell des Unternehmens gut verstehen.«

Wo erkundigt frau sich am besten nach Investment-Tipps, sinnvollen Aktien oder anderen Anlageformen?

Einfacher zu beantworten ist, wo man keine guten Tipps bekommt. Hüten Sie sich vor Freunden, die den todsicheren Tipp haben. Einzeltitel sollten Sie nur kaufen, wenn Sie schon Erfahrung mit Aktienfonds und ETFs gemacht haben und das Geschäftsmodell des Unternehmens gut verstehen sowie davon überzeugt sind. Warren Buffet, einer der erfolgreichsten Investoren der Welt, kennt die Unternehmen, in die er investiert, ganz genau.

Wenn Sie eine*n Berater*in in einer Bank haben, fragen Sie nach den aktuellen Empfehlungen an Investmentfonds zu nachhaltigen Zukunftsthemen. Ihr*e Berater*in ist interessiert daran, Ihnen guten Rat zu geben, da Sie als Kunde*in zufriedengestellt werden wollen.

Wie schlecht geht es den Börsen durch die Krise tatsächlich?

Die Schwankungen an den Börsen sind enorm hoch, trotzdem profitieren die Börsen und Börsenhändler*innen aufgrund der hohen Umsätze und Gebühren davon. Anders steht es um die Investoren*innen und Aktiengesellschaften. Sie müssen mit stark fallenden Kursen und Vermögenswerten leben. Nicht einmal während der Finanzkrise sind die Kurse derart stark gefallen und auch die Erholungsphasen sind unvergleichlich heftig. Da man so ein Wegbrechen der Nachfrage und des Angebotes in der Realwirtschaft durch Selbstbeschränkung noch nicht erlebt hat und auch nicht recht abschätzen kann, ob es eine zweite oder dritte Welle der Pandemie geben wird, kann man auch nicht sagen, wie sich das auf die Unternehmensergebnisse auswirkt.

Gleichzeitig befinden wir uns im wirtschaftlichen Umbruch in vielerlei Hinsicht: Digitalisierung, Rückbau der Globalisierung, Kampf dem Global Warming. Da kommt schon Einiges auf die Unternehmen zu und damit auch viel Unsicherheit unter den Investoren*innen. Andererseits ist extrem viel Unterstützung von den Notenbanken und noch viel mehr von den Regierungen vorhanden. Das federt in gewisser Weise ab, kann aber sicher nicht den ganzen Schaden beheben.

Das Virus und die damit zusammenhängende Krise lässt die Angst vor einer Inflation steigen. Worauf sollten wir uns gefasst machen?

Die Inflationsraten, im Sinne der Preissteigerungen von Gütern des täglichen Bedarfs, lag in den letzten Jahren im Bereich von etwa 1 bis 1,5 Prozent – war also sehr niedrig und unter dem Ziel der EZB von knapp unter 2 Prozent. Vor einem Anstieg in Richtung 2 Prozent oder auch leicht darüber brauchen wir uns nicht zu fürchten. Genauso für einen starken Anstieg in Richtung 5 bis 10 Prozent oder darüber hinaus gibt es derzeit keine Hinweise.

Inflation entsteht

  1. durch einen Überhang an Nachfrage gegenüber dem Angebot oder

  2. durch erhöhte Kosten, die an den Abnehmer weitergeben werden oder

  3. durch ungehemmte Ausgabe von Geld durch die Notenbank – normalerweise in Abstimmung mit der Regierung.

Ad 1: Es ist leichter, die Produktion schnell wieder hoch zu fahren, als die Nachfrage wieder entsprechend zu erhöhen. Auf absehbare Zeit ist daher eher nicht mit einem Anstieg der Preise von Gütern oder Dienstleistungen zu rechnen. Auch bei Immobilienpreisen könnte der Aufwärtsdruck längerfristig angesichts zunehmender Lieferdienste und Heimarbeit nachlassen, da weniger kommerzielle Immobilien gebraucht werden.

Ad 2: Der Einbruch des Ölpreises und der bereits zu beobachtende Anstieg der Arbeitslosigkeit lässt zumindest vorerst eher einen Rückgang der Inflation erwarten. Längerfristig spricht der sich abzeichnende teilweise Rückbau der Globalisierung für etwas höhere Kosten und daher leicht steigende Inflation, da die Optimierung der Kostenstruktur durch Auslagerung in Billiglohnländer nicht mehr wie bisher funktionieren wird.

Ad 3: Die hohe Verschuldung könnte für ein Ansteigen der Inflation sprechen, da die aufgenommenen Schulden nominelle Beträge sind, die durch hohe Inflation entwertet werden. Theoretisch ist daher die Versuchung gegeben, die Notenpresse ungehindert anlaufen zu lassen und die Volkswirtschaft mit Geld zu überschwemmen. Das derzeit zu erwartende Ausmaß an Verschuldung erscheint aber nicht hoch genug, als dass man die extrem negativen Folgen eines massiven Inflationsanstiegs in Kauf nehmen würde.

Außerdem hat man einen anderen Weg gefunden Schuldner zu entlasten. Die Notenbanken kaufen Teile der Anleihen von Staaten und Unternehmen direkt auf und helfen so mit, die notwendige Finanzierung bereitzustellen. Dadurch und durch die Senkung der Leitzinsen auf extrem tiefe, teilweise negative Niveaus, werden die Finanzierungskosten der Staatsschuld sehr niedrig gehalten. Für viele Staaten liegen die zu zahlenden Zinssätze unterhalb der Inflation, sie sind also real negativ. Da die Staatseinnahmen normalerweise mit der Inflation ansteigen und die Zinssätze unter der Inflationsrate liegen, erfolgt auf diese Weise eine – wenn auch langsame – Verringerung der Staatsschuld. Diese Form der Entschuldung nennt man Financial Repression. Die Rechnung zahlen die Gläubiger, die mit den Zinsen für ihr bereitgestelltes Kapital nicht einmal die Inflation abdecken können, in einer etwas abgeschächterer Form, als es eine hohe Inflation einfordern würde. Die Kaufkraft ihrer Ersparnisse schrumpft also langsam über einen längeren Zeitraum.

Abschließend möchte Frau Lammer folgende Worte an unsere Leser*innen richten: »Nehmen Sie sich die Zeit, um über Vermögensbildung und Vorsorge nachzudenken, und nutzen Sie die vielen Möglichkeiten, die der Finanzmarkt bietet. Begegnen Sie hektischen Marktphasen wie aktuell mit Gelassenheit. Wenn Sie stetig ansparen, bieten diese Schwankungen sogar gute Chancen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg und alles Gute.«