StartErfolg"Spannende Aufgaben sind wichtiger als Titel"

„Spannende Aufgaben sind wichtiger als Titel“

In unserer Serie „Hätte ich das bloß früher gewusst“ erzählen die Gesundheitsunternehmerinnen Antonia Siegmund und Beatrice Tourou, welche Erfahrungen und Entscheidungen ihre Sicht auf Karriere und Verantwortung geprägt haben.

In unserer Serie Hätte ich das bloß früher gewusst teilen erfolgreiche Gründerinnen und Führungspersönlichkeiten ihre wichtigsten Erkenntnisse und Erfahrungen. Diese Lektionen, die sie im Laufe ihrer Karriere gesammelt haben, wären für sie selbst ein entscheidender Vorteil gewesen, hätten sie sie schon zu Beginn gewusst.

Antonia Siegmund, mit langjähriger Erfahrung in einem technisch-chemischen Unternehmen, und Beatrice Tourou, die zuvor in Medien- und Finanzbranchen tätig war, haben Medino mitgegründet – ein Gesundheitszentrum im Herzen Wiens, das Kinder, Frauen und Familien interdisziplinär betreut.

In diesem Gespräch erzählen sie, welche Hürden sie beim Aufbau des Zentrums meistern mussten und welche Lektionen sie daraus gezogen haben – von der Bedeutung schneller Entscheidungen über den Mut, Strukturen zu hinterfragen, bis hin zu den Einsichten, die erst im praktischen Tun entstehen.

Was war die wichtigste Lektion, die Sie in Ihrer Karriere gelernt haben, und wie hat sie Ihre Sichtweise verändert?

Antonia Siegmund: „Do first, apologize later.“ Sagte mein liebster Chef zu mir. Dieser Satz war für mich eine Eröffnung, mein Team hat sich plötzlich ohne die üblichen Corporate Grenzen bewegt – vor allem, da er meinte, was er sagte – „Mach’s einfach, Fehler bügeln wir gemeinsam aus“. Bis heute eines meiner wichtigste Mottos.

Beatrice Tourou: It is all just Sales. Wenn du nicht verkaufen kannst, hilft auch ein tolles Produkt nicht. Wir leben in einer Aufmerksamkeits-Ökonomie. Da gewinnt nicht das Unternehmen mit dem besten Angebot, sondern das, was am besten kommunizieren kann und die richtigen Leute erreicht. Ich habe lange am Gegenteil festgehalten, aber mit den Jahren kam die Erkenntnis.

Gab es einen Moment, in dem Sie dachten, „hätte ich das doch nur früher gewusst“?

AS: Ich habe mangelnde Organisation und fehlenden Wissensaustausch lange für ein reines Großkonzern-Problem gehalten. Hätte ich früher verstanden, was meine Familie meinte, wenn sie über Probleme in ihren Gesundheitsjobs klagte, hätte ich wohl schon viel früher den Weg eingeschlagen, den ich jetzt bei Medino gehe.

BT: Dieser Moment kommt eigentlich jeden Tag. Wir sind ein relativ kleines Team und vor allem wir vier Gründer*innen arbeiten rund um die Uhr. Da lernen wir viel, weil wir schnell viel bewegen. Wir haben zum Beispiel 1.000 m² Altbau umgebaut, um medizinische Auflagen zu erfüllen, und viele Ärzte für unser Gesundheitszentrum gewinnen müssen. Die Prozesse einfach aufzusetzen, ist kein Kinderspiel, denn wir wollen, dass die Patientin alles einfach und schnell bekommt – und das ist oft strukturell ein Problem. Auf jeden Schritt, den wir gesetzt haben, folgte ein unvorhergesehenes Problem. Das hätte ich als Gründerin gerne vorher gewusst.

Welche falschen Annahmen über Ihre Branche oder Karriere mussten Sie erst durch Erfahrungen widerlegen?

AS: „Ärzte mögen keine Betriebswirte.“ Und auch, wenn manche negative Erfahrungen gemacht haben, habe ich gelernt: Ärzt*innen sind extrem dankbar, wenn sie von all dem entlastet werden, was nicht direkte Arbeit an Patient*innen ist. Diese Erfahrungen müssen sie und wir gemeinsam machen – und hoffentlich wird das etwas sein, wovon in Zukunft alle im Gesundheitswesen profitieren.

BT: Ich kenne nun einige Branchen, und alle haben sich grundlegend verändert. Gestartet bin ich in der Medienbranche, dann kam die Finanzbranche. Nun bin ich in der Medizin gelandet, was mich immer schon interessiert hat – und ich muss sagen, dass ich so unfassbar großen Respekt vor Ärzt*innen habe. Ich kenne kaum belastbarere Menschen, zumal viele auch noch kleine Kinder zu Hause haben. In keiner Branche sind mir so viele engagierte, kluge, verantwortungsbewusste und nette Menschen begegnet, die wirklich Unfassbares leisten.

Wenn Sie an den Beginn Ihrer Karriere zurückdenken, welchen Rat hätten Sie Ihrem jüngeren Ich gegeben?

AS: „Warte nicht ab, sondern starte jetzt. Denn machen ist wie reden – nur krasser.“ Ich wollte schon immer gestalten. Anfangs dachte ich, eine Corporate-Karriere bis ganz oben sei der Weg dorthin. Aber irgendwann habe ich gemerkt, wie wenig man auch in obersten Positionen wirklich allein entscheiden kann. Ich habe trotzdem noch eine Zeit lang daran festgehalten, bis mein Freiheitsdrang mir klargemacht hat: Ich will selbst etwas aufbauen. Und rückblickend sehe ich: Ich habe immer Möglichkeiten ergriffen – mein erster Vollzeitjob wurde mir angeboten, und ich habe eine Woche später begonnen. Bis heute stürze ich mich eher auf Möglichkeiten als auf Pläne.

BT: Nimm nicht alles persönlich oder zu ernst. Das Leben ist nur ein Spiel, und du hast ganz gute Karten. Man gewinnt nicht, wenn man das beste Blatt ausgeteilt bekommt, sondern wenn man eine richtig schlechte Hand wirklich gut spielt.

Welche Fehler oder Rückschläge waren rückblickend entscheidend für Ihren Erfolg – und warum?

AS: Natürlich habe auch ich Fehler gemacht, und das Durchleben vieler Situationen war und ist hart. Aber im Endeffekt haben mich alle weitergebracht. Heute sehe ich sie kaum mehr als Fehler oder Rückschläge – sondern eher als Entscheidungen, die ich damals getroffen habe, mit im Endeffekt guten Konsequenzen.

BT: Man lernt ja im Grunde nur aus Fehlern, also sind alle Fehler hilfreich geworden. Ein Learning ist, dass alles seinen Preis hat. Der setzt sich unterschiedlich zusammen: Man bezahlt ihn mit Geld oder mit Nerven oder mit Zeit. Oft in einer Kombination. Ich habe mittlerweile gelernt, dass wenn man gleich teurer einkauft, man meist viel besser aussteigt – mit manchen Ausnahmen.

Gibt es eine bestimmte Gewohnheit oder Routine, die Sie erst spät entwickelt haben und die Sie heute nicht mehr missen möchten?

AS: Tennis. Als Jugendliche habe ich es nie richtig gelernt. Vor einigen Jahren hat mich mein Mann, der wirklich gut spielt, dazu gebracht. Heute vergeht keine Woche ohne. Denn am Tennisplatz muss ich abschalten – ein Tennisball lässt sich, beladen mit Problemen, leider nicht gut treffen.

BT: Ja, ich nehme mir bewusst Zeit, zu Hause zu arbeiten und nicht ins Büro oder in die Ordination zu gehen, was ich früher nie getan hätte. Es ist mir einfach wichtig, Dinge konzentriert abzuarbeiten, ohne gestört zu werden. Ich bin sehr leicht ablenkbar und ein totaler Menschenfreund.

Wie hat sich Ihr Blick auf das Thema Erfolg im Laufe Ihrer Karriere verändert?

AS: Von „Kaminkarriere“ hin zum „spannendes Machen“. In den frühen 2000ern hatte ich immer die CEO-Rolle als Ziel vor Augen. Erst durch einen ungeplanten Jobwechsel im Konzern habe ich gelernt: spannende Aufgaben sind mir wichtiger als Titel, das Projekt war spannender als alle Jobs mit beeindruckenden Titeln.

BT: Erfolg ist ja immer an Geld geknüpft. Jetzt kenne ich aber viele erfolgreiche Menschen, die gar nicht viel Geld verdienen. Für mich ist Erfolg Zufriedenheit mit dem eigenen Lebenskonstrukt – damit, was ich mir leisten kann und wie ich mein Leben ganzheitlich betrachte. Die Familie gehört genauso zum Erfolg wie der Beruf, der ja auch irgendwo sinnstiftend sein sollte. Als wir uns entschieden haben, Medino zu gründen, wollte ich meinen Beitrag dazu leisten, den Frauen und Familien mehr Sichtbarkeit zu geben und sie durch herausfordernde Zeiten zu navigieren. Wenn wir es schaffen, dass sich mehr Frauen und Familien medizinisch und emotional gut aufgehoben fühlen, ist das für mich schon ein Erfolg.

Gab es einen Menschen, ein Buch oder eine Erfahrung, die Ihre Karriere maßgeblich beeinflusst hat? Wenn ja, wie?

AS: Das klingt etwas cheesy, aber: Sheryl Sandbergs „Lean In“ hat in meinem Umfeld den Austausch getriggert. Zum ersten Mal habe ich verschriftlicht gesehen, was ich eigentlich schon seit dem Gymnasium gelebt habe: man ist nicht allein, suche Role Models – und sei selbst eins, fördere den Austausch untereinander und unterstützt euch gegenseitig.

Was hätten Sie gerne über Work-Life-Balance gewusst, bevor Sie in Ihre jetzige Position kamen?

AS: Schlaf ist nie optional. Ohne Schlaf kann man nichts leisten und vor allem keine Teams führen. Im Zweifel priorisiere ich heute die Stunde mehr Schlaf. Diese Freiheit schätze ich sehr – und hätte sie mir eigentlich schon viel früher nehmen können.

BT: Wir haben einen Sohn im Volksschulalter. Das bedeutet, dass ich Punkt 15:30 den Bleistift fallen lassen muss, um mein Kind von der Schule zu holen, dann mit ihm in den Park zu gehen, Hausübung zu machen, Essen zu kochen, ein Bad einzulassen und eine Geschichte vorzulesen. Dazwischen starre ich natürlich viel zu oft auf mein Handy und beantworte meine E-Mails und Anrufe. Das ist mir sehr unangenehm, weil mein Sohn einfach lernt, dass das Handy ein zentraler Bestandteil unseres Lebens geworden ist. Das sollte nicht der Fall sein – das möchte ich ändern. Jede Kindesphase dauert nur kurz, und man sollte als Elternteil so präsent wie möglich sein. Das Kind sitzt ja eh schon bis 16:00 in der Schule und wird fremdbetreut. Aber das ist ein strukturelleres Problem der Gesellschaft. Es wäre schön, wenn man Mutterschaft als Leistung anerkennen würde und nicht als freiwilliges Add-on – denn das ist sie nicht.

Welche Überzeugung oder Regel, die Sie zu Beginn Ihrer Karriere hatten, haben Sie inzwischen über Bord geworfen – und warum?

AS: „Sicherer Job – sicheres Gehalt – sichere Karriere.“ Ich wollte immer einen sicheren, gut bezahlten und spannenden Job. Den spannenden Job will ich zwar immer noch, aber inzwischen ist mir Freiheit und Selbstbestimmung wichtiger. Selbst entscheiden, selbst verantwortlich sein – das zählt für mich mehr als Sicherheit. Und ja: ich bin privilegiert genug, dass eine solche Unsicherheit für mich nie absolut existenzgefährdend ist.

BT: Ich bin ja stets bemüht, alles immer ganz perfekt zu machen und teilweise zu selbstkritisch zu sein, aber weiß, dass man als Unternehmerin einfach nach dem Motto leben muss: “If you’re not embarrassed by your launching product, you were too late.” Das zeigt sich natürlich unterschiedlich – je nach Service oder Produkt. Bei uns waren es nur Kleinigkeiten und das haben wir alles zügig nachgeholt. Und auch wenn man eine Armee an Handwerkern zur Verfügung hat, hängen dann doch die Gründer den Spiegel auf und schrauben die Möbel zusammen– weil man am Ende einfach vieles selbst machen muss, egal ob man Zeit dafür hat oder nicht. Es muss eben gemacht werden.

Gibt es einen Gamechanging Moment in Ihrem Leben?

AS: Der letzte Gamechanger war tatsächlich, als wir das erste Mal unseren jetzigen Medino-Standort in der Auerspergstraße betreten haben… Medizin und technische Chemie waren die Studien und Berufe meiner Eltern – und ich wollte nie etwas damit zu tun haben. 14 Jahre habe ich dann in einem technisch-chemischen Unternehmen, der OMV, gearbeitet. Die Ironie ist mir erst vor kurzem bewusst geworden. Jetzt, mit dem Aufbau des Gesundheitszentrums, nähere ich mich doch den Wurzeln meiner gesamten Familie an.

BT: Die Geburt meines Sohnes. Alles andere ist und war unwichtig.


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Fotomaterial(c) aime.digital

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