Nachhaltigkeit ist in Zeiten des Klimawandels für viele Menschen ein wichtiges Anliegen – und die Sinnfrage eine sehr wichtige Dimension im Arbeitsleben. Besonders die jüngeren Generationen legen großen Wert darauf, dass ihr Arbeitgeber verantwortungsvoll handelt – ökologisch, sozial und wirtschaftlich. Mit der Karriereentscheidung sollen gewisse Werte kommuniziert werden. Eine Umfrage unter den Nutzer*innen der Arbeitgeber Bewertungsplattform kununu ergab, dass für 62 Prozent der Arbeitnehmer*innen Umweltschutz bei der Wahl des Arbeitgebers wichtig ist.

„Für viele Bewerber ist die Überzeugung, für ein Unternehmen zu arbeiten, das Verantwortung übernimmt und nachhaltige Praktiken verfolgt, ein wichtiges Kriterium bei der Jobwahl. Unternehmen, die sich aktiv für Nachhaltigkeit einsetzen, können somit einen Wettbewerbsvorteil im Recruiting-Prozess erzielen“, erklärt Dario Wilding von kununu. Gibt es also die Möglichkeit, im eigenen Job einen positiven Beitrag in der Klimawende zu leisten, ist das ein Pluspunkt im Bewerbungsverfahren.

„Zusätzlich sollten wir vor Augen haben: Auch bestehende Mitarbeitende überprüfen die ,Umweltverträglichkeit‘ des eigenen Unternehmens immer wieder. Ein wahrgenommener Mangel an Ernsthaftigkeit könnte auch zur Kündigung führen“, so Karin Krobath, Partnerin bei der Employer Branding Agentur identifire.

Dementsprechend sorgen Bemühungen im Bereich Nachhaltigkeit für einfacheres Recruiting, erhöhen die Mitarbeitendenbindung – und können gleichzeitig nach außen gerichtet das Marketing enorm unterstützen und insgesamt die Brand positiv aufladen. „Das zeigt deutlich: Nachhaltigkeit ist längst kein ,Nice-to-have‘ mehr, sondern ein entscheidender Faktor für die Gewinnung und Bindung von Talenten. Wer als Arbeitgeber hier einen klaren Rahmen setzt und seine Initiativen transparent kommuniziert, hat einen echten Wettbewerbsvorteil“, erklärt auch Corina Staniek von der Jobbörse Stepstone.
Ölkonzerne werben mit Null-Emissions-Zielen
Green Recruiting ist eine Employer-Branding-Maßnahme, die den Kandidat*innen das Engagement des Unternehmens für die Umwelt vermitteln soll. Potenzielle Bewerber*innen erwarten, dass Unternehmen von sich aus zu diesem Thema Position beziehen. „Studien zeigen, dass die große Mehrheit der Beschäftigten davon überzeugt ist, dass Unternehmen eine Verantwortung für den Umweltschutz tragen. In Deutschland bestätigen das 85 Prozent der Befragten (Hiring-Trends-Index-Studie von The Stepstone Group, 2024). Talente achten dabei nicht nur auf einzelne Maßnahmen wie Abfallvermeidung oder Energiesparen, sondern auch auf eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie mit langfristigen Zielen“, so Corina Staniek.
Es ist für Unternehmen daher von existenzieller Bedeutung, die eigene grüne, nachhaltige Seite zu betonen. Und so werben Ölkonzerne mit Null-Emissions-Zielen und der Unterstützung von Klimaschutzprojekten, betonen Fastfood-Ketten und Fast-Fashion-Produzenten, wie sehr ihnen die Erhaltung der Natur am Herzen liegt. Im Bestreben, sich als nachhaltiges Unternehmen zu präsentieren und sich von Mitbewerbern abzuheben, stellen sich manche Firmen jedoch besser dar, als sie sind. Im „War for Talents“ wird oftmals übertrieben oder gar schamlos gelogen. Diese Schönfärberei wird „Greenwashing“ genannt.
Grosser Vertrauensverlust
Greenwashing kann sich negativ auf das Recruiting auswirken, wenn die Diskrepanz zwischen der Selbstpräsentation eines Unternehmens und der Realität offensichtlich wird. Bewerber*innen, die sich über Unternehmen informieren, können etwa durch Erfahrungsberichte und Bewertungen auf Plattformen wie kununu schnell herausfinden, ob die angegebenen nachhaltigen Praktiken tatsächlich umgesetzt werden.
„Ein solches Verhalten kann das Vertrauen in das Unternehmen untergraben und dazu führen, dass potenzielle Bewerber sich gegen eine Bewerbung entscheiden“, warnt Dario Wilding, und fügt hinzu: „Wir können durchaus beobachten, dass die Nennung des Begriffs ,Greenwashing‘ in unseren Bewertungen in der Häufigkeit ansteigt: Gab es in der Zeit vor Corona pro Jahr eine zweistellige Anzahl an Nennungen, bewegt sich dies in den letzten Jahren knapp am vierstelligen Bereich. Ein wenig muss dies aber in den Kontext gesetzt werden, dass bei kununu aktuell über 700.000 Bewertungen pro Jahr abgegeben werden.“
Eine vernichtende Bewertung auf kununu zu einem Greentech-Unternehmen, das sich auf die Energiewende spezialisiert hat, lautet zum Beispiel: „Micromanagement at its best! Moralisch nicht vertretbare Strukturen, Management hat jeden Bezug zur Realität verloren. Die indoktrinierte Weltrettung steht purer Profitgier gegenüber. Wer nicht liefert und gewissenlos verkauft ohne moralische Grundsätze, ist schneller abserviert, als er es merken kann. Er herrscht ein Klima der Macht des Stärkeren und der Unterdrückung jeglicher Moral. Ist bestimmt einmal aus einer guten Idee heraus entstanden, durch im Fokus stehende Investoreninteressen und Habgier der Gründer ist leider jeglicher Bezug zur Realität verloren gegangen. ,Business first’ lautet das Credo, obwohl es eigentlich lauten sollte, ,Nachhaltigkeit first’. Schade!“
Red Flags erkennen
Oft lässt sich Greenwashing bereits an Wischi-Waschi-Formulierungen, übertriebenen Aussagen oder einzelnen Maßnahmen, die als große Nachhaltigkeitsstrategie verkauft werden, erkennen. „Sätze wie, Wir setzen uns für eine nachhaltige Zukunft ein‘ klingen gut, aber ohne konkrete Maßnahmen bleibt es eine leere Floskel. Bewerber*innen fragen sich dann: Was genau tut das Unternehmen? Gibt es messbare Ziele, Erfolge oder Zertifizierungen?
Auch wenn Einzelmaßnahmen überbetont werden, würde mich das stutzig machen. Wenn in einer Stellenanzeige steht ,Dank unseres papierlosen Büros arbeiten wir umweltfreundlich‘, ist das zwar ein kleiner Schritt, aber noch lange keine echte Nachhaltigkeitsstrategie. Wirklich relevant wäre, ob das Unternehmen CO2-Emissionen reduziert, auf erneuerbare Energien setzt oder nachhaltige Lieferketten hat“, so die Expertin von Stepstone. Hilfreich sind hier zum Beispiel objektive Beurteilungen und Auszeichnungen. Zu behaupten „Wir sind ein grünes Unternehmen“ oder „klimaneutral“, ohne dass klar wird, wie das erreicht wird, ist ebenfalls eine Red Flag.
Als Beispiel für Greenwashing ist ein Unternehmen zu nennen, das in seiner Werbung betont, dass es umweltfreundliche Verpackungen verwendet oder sich für Nachhaltigkeit engagiert, während gleichzeitig seine Produktionsmethoden oder die gesamte Lieferkette erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Es werden hohe Mengen an Ressourcen verbraucht oder umweltschädliche Praktiken in der Herstellung genutzt, ohne diese Probleme ausreichend anzugehen.

Anja Abicht, Gründerin & CEO The Tomorrow Academy, kennt weitere Beispiele: „Ein klassisches Beispiel für Greenwashing ist die ,Conscious Collection‘ von H&M. Die Modekette bewarb diese Kollektion als besonders nachhaltig, doch Untersuchungen ergaben, dass viele Materialien kaum umweltfreundlicher waren als in der regulären Produktion. Zudem wurde kritisiert, dass die Fast-Fashion-Strategie grundsätzlich wenig nachhaltig ist.
Ein weiteres Beispiel ist KLMs ,Fly Responsibly‘-Kampagne. Die Fluggesellschaft warb mit dem Slogan, dass Kund*innen durch CO2-Kompensation umweltfreundlicher fliegen könnten. Tatsächlich bleiben Flugreisen jedoch eine der größten CO2-Quellen im Verkehrssektor. Verbraucherschützer und Umweltorganisationen klagten, da die Werbung suggerierte, man könne klimaneutral fliegen – was faktisch nicht möglich ist. Dies führte zu massiver Kritik und einem Vertrauensverlust, sowohl bei Kund*innen als auch potenziellen Mitarbeitenden.“ Natürlich hätte uns auch die Sicht der Unternehmen interessiert. Von uns angefragte Firmen, die sich bereits mit Greenwashing-Vorwürfen auseinandersetzen mussten, wollten sich zu diesem Thema jedoch nicht äußern oder ließen unsere Anfragen unbeantwortet.
Gut informiert mit Rückgrat
Die negativen Auswirkungen von Greenwashing beim Recruiting sind klar erkennbar. Eine Untersuchung von KPMG aus dem Jahr 2023 ergab, dass 20 Prozent der Arbeitnehmenden bereits ein Jobangebot abgelehnt haben, weil sie die Nachhaltigkeitsbemühungen des Unternehmens als unzureichend empfanden. Ebenso haben 20 Prozent aus denselben Gründen bereits gekündigt; bei den 18- bis 24-Jährigen liegt dieser Wert sogar bei 33 Prozent. Dieses Phänomen wird als „Conscious Quitting“ bezeichnet.
„Greenwashing ist ein massives Risiko für das Employer Branding. Wer Nachhaltigkeit nur vorgibt, wird spätestens dann entlarvt, wenn Mitarbeitende oder Bewerber*innen hinter die Fassade blicken. Das schadet nicht nur der Glaubwürdigkeit, sondern auch der Attraktivität als Arbeitgeber“, so Abicht. Bewerber*innen sind heute gut informiert und erkennen schnell, ob Nachhaltigkeitsversprechen Substanz haben oder nur PR sind. Und selbst, wenn ein Unternehmen es schafft, Talente durch geschicktes Marketing zu gewinnen: Spätestens mit dem ersten Arbeitstag zeigt sich, ob die Nachhaltigkeitsstrategie wirklich gelebt wird.
Transparenz und echte Veränderungen
Ein schlechter Ruf im Bereich Nachhaltigkeit kann von betroffenen Unternehmen wieder repariert werden, verlangt jedoch ernsthaftes Engagement und transparente Maßnahmen. „Es erfordert konsequentes Handeln statt bloßer PR. Unternehmen müssen echte, messbare Veränderungen umsetzen und transparent darüber kommunizieren – idealerweise mit unabhängigen Zertifizierungen oder Berichten. Wichtig ist, Fehler einzugestehen und glaubwürdig zu zeigen, dass man es besser macht“, so Abicht, und weiter: „Das Wiederherstellen von Vertrauen ist ein echter Marathon und dauert um ein Vielfaches länger als seine Zerstörung. Und manchmal klappt es trotz intensiver Bemühungen nicht wirklich.
Beispielsweise hat Nestlé und sämtliche seiner Marken heute immer noch mit einem Reputationsproblem zu kämpfen, weil vielen Menschen sofort die Babymilch- und Wasserskandale einfallen. Dass Nestlé nebenbei eine relativ umfangreiche Nachhaltigkeitsstrategie hat und auch wirklich vieles umsetzt, gelangt gar nicht ins öffentliche Bewusstsein. Das ist auf jeden Fall ein Problem, das Unternehmen auf dem Schirm haben sollten.“ Karin Krobath stimmt ihr zu: „Natürlich kann man einen schlechten Ruf reparieren, die Frage ist halt: Wie lange braucht es und was kostet es? Und wie sehr hängt es von einer Änderung der Produktionsverfahren oder Business-Modelle ab. Unternehmen wie Lenzing haben das eindrucksvoll gezeigt, die OMV steht quasi noch mittendrin.“
Wie können sich Unternehmen beim Recruiting als nachhaltig präsentieren und ihre Projekte hervorheben, ohne zu schummeln?
Der wichtigste Grundsatz ist immer ehrlicher Hausverstand. Es gibt Branchen, da wirkt das wortreiche Commitment zu Nachhaltigkeit einfach nicht. Aus meiner Sicht wäre es dort viel besser, über Technologie-Führerschaft zu schreiben, über nachweislich gute Karrierewege für Frauen oder über KI-Modelle, die man als Erstes zur Anwendung bringt. Jedes Unternehmen hat für Arbeitnehmer*innen einen USP, es muss nicht auf Biegen und Brechen das Trendthema Nachhaltigkeit sein. Wichtiger sind vielleicht heute auch die Wege, die Produkte und Forschungsergebnisse nehmen. Landen sie direkt oder indirekt in Kriegsgebieten? Also nicht nur die Lieferkette, die vor meinem Job liegt, sondern auch danach.