StartBalanceLifestyle & Art"Schuld war das Pionier-Gen"

„Schuld war das Pionier-Gen“

An den Wochenenden im Weingarten aushelfen, im Sommer Gästen den elterlichen Wein ausschenken während die Freundinnen am See liegen – für Winzerstocher Birgit Braunstein war klar: Überall will sie hin, nur nicht in den Weinbau. Heute sind ihre Weine vielfach ausgezeichnet und sie gilt als Vorreiterin des biodynamischen Weinbaus in Österreich. Einfach war das für die Alleinerzieherin nicht immer.

24 Hektar bewirtschaftet die Winzerin und Unternehmerin Birgit Braunstein im Burgenland. Sechs Angestellte, zwei Kinder, ihre eigenen Eltern, ein paar Dutzend Hühner, Ziegen, Schafe, Hasen und 15 Bienenvölker gehören zum Unternehmen und irgendwie auch zum Inventar.

Seit 400 Jahren existiert das Weingut in Purbach im Burgenland nun schon. Und noch nie hat es so viel Veränderung miterlebt wie in den letzten 20 Jahren, seit Braunstein das Ruder in die Hand genommen hat.

Vom Ausziehen und Lernen

„Wien war eigentlich nur ein Zwischenstopp“, sagt Birgit Braunstein. Und meint damit den Lebensabschnitt, der sie nach der Schule an die Wirtschaftsuniversität gehen ließ, um BWL zu studieren und danach als Beraterin zu arbeiten. Aber es sei ein notwendiger Zwischenstopp gewesen, sagt sie.

Hätte Braunstein den Betrieb gleich übernommen, wäre sie um viele Erfahrungen umgefallen: „Ich hätte weniger Ahnung vom Leben gehabt, mich nicht getraut so viel zu hinterfragen und wäre meinem Vater mit meinen Ideen nicht so auf den Geist gegangen.“

Heute ist dort, wo sich einmal die denkmalgeschützten Stallungen befanden und sich das Stroh für das Vieh und Maschinen für die Landwirtschaft türmten, die Fasslagerstätte für Braunsteins Weine. Aus der Sommerküche wurde der Verkosteraum.

Die Winzerin will erhalten und sanieren, von Wegreißen und Neu-Aufstellen hält sie nicht viel. „Das eine ist die nachhaltige Überlegung: Warum nicht mit dem arbeiten, was da ist?“ Das andere sei das Ortsbild, sagt Braunstein: Der burgenländische Langstreckhof befindet sich mitten im Ortsgebiet. Das Haus passt sich genauso der Umgebung an, wie das Leben sich über die Jahre den veränderten Bedingungen in ihren Weinreben angepasst habe.

Winzerin auf Umwegen

Während ihres mehrjährigen Zwischenstopps in Wien hat Braunstein bemerkt, wie sehr ihr die Natur fehlt. 1995 kehrte sie schließlich an den elterlichen Betrieb zurück und beschloss: Sie übernimmt das Weingut. Lernen musste sie als halbe Quereinsteigerin allerdings genug. Zwar hatte Braunstein ein wenig Wissen vom Vater aufgeschnappt, die ersten Jahre musste sie sich jedoch viel Know-How selbst aneignen.

Sie ging nach Bordeaux, wo gerade die Biodynamie-Bewegung zum Leben erwachte: Eine ganzheitliche Weinbaumethode, die ohne chemische Dünge- und Spritzmittel auskommt, Wert auf Biodiversität im Weingarten legt und so gut wie möglich dem natürlichen Kreislauf der Natur folgt: „Dort gab es so viel Vielfalt. So viele Gräser, Kräuter, Insekten im Weingarten. Alles roch nach Humus. Das hat einen Wein ermöglicht, der einen ganz eigenen Geschmack, eine Spannung und einen Ausdruck hatte. Da wusste ich – das mache ich auch so“, lässt Braunstein ihre Lernjahre Revue passieren.

Mikrobiologie als Bettlektüre

Darauf folgten intensive Jahre der Veränderung. Als alleinerziehende Mutter erlas sich Braunstein Wissen über Mikrobiolgie und Chemie abends im Bett, während ihre Kinder schliefen. Braunstein plädiert außerdem dafür, bei grundsätzlichen Veränderungen auch Expertise von außen hinzuzuziehen und nicht alles alleine zu stemmen.

Ein frischer Wind und neue Sichtweisen seien oft was es braucht, um aus dem eigenen, über Jahrzehnte angelernten Korsett aus Gewohnheiten und Stehsätzen auszubrechen. Denn die Umstellung von konventionell auf bio, so Braunstein „die passiert zu allererst einmal im Kopf.“

Role Model aus der eigenen Familie

Dass sich Braunstein getraut hat, im Weinbau auf solch unbeschrittenes Terrain vorzudringen, verdankt sie ihrer eigenen Mutter. Diese führte das Restaurant und war mutige Vorreiterin, was den überregionalen Austausch mit anderen Frauen aus der Branche anging. In einer Art Netzwerktreffen scharte sie regelmäßig Menschen um sich, die der damals jungen Birgit einen Blick in eine andere Welt eröffneten: Die Welt außerhalb des eigenen Familienbetriebs und somit immer neue Ideen und Impulse. Auf ihre Mutter führt sie auch zurück, dass die Lust auf Neues immer stärker war als die Angst vor Neuem: „Schuld ist da wohl das Pioner-Gen!“

Ohne den Rückhalt ihrer Familie hätte sie ihren Weg allerdings nicht einfach so beschreiten können: „Als alleinerziehende Mutter hat man sehr viel Verantwortungsgefühl.“ Früher war Braunstein verantwortlich fürs Weingut und ihre Kinder. Heute fürs Weingut und ihre Eltern – die Familie lebt in einem Drei-Generationen-Haus. Gejammert habe sie nicht viel, sagt Braunstein. Dann schon lieber Lösungen gesucht.

„Landwirtschaft ist nicht sexy“

Aus Jux und Tollerei stellt keine Betriebswirtin einfach ein jahrelang gewachsenes Konzept um. Das muss sich auch wirtschaftlich tragen. Das denken sich auch die Mitarbeiter:innen von Braunstein. Einige von ihnen arbeiten seit 20 Jahren auf dem Hof, und das während des vielbeschworenen Facharbeitermangels und in einer Branche, die nicht gerade beliebt ist bei Arbeitnehmer:innen: „Landwirtschaft ist nicht sexy. Dafür bekommst du in Österreich kaum Leute“, gibt Braunstein zu.

„Dieselben Angestellten über 20 Jahre zu haben – das ist wahrer Luxus“

Dass sie sich trotzdem seit Jahren auf ihre Belegschaft verlassen kann, liegt unter anderem an der durchgehenden Anstellung ihrer Mitarbeiter:innen. Am Weingut Braunstein werden die Angestellten nicht nach der Saison wieder gekickt.

Das sei eine Investition in den eigenen Betrieb, so Braunstein: „Wie soll das denn anders gehen? Wir wenden Methoden an, die jahrelanges Lernen und Einschulen voraussetzen. Ich brauche gute, verlässliche Leute, und das nicht nur für eine Saison. Dieselben Angestellten über 20 Jahre zu haben – das ist wahrer Luxus“, sagt die Winzerin. Über eine Stunde pendeln vier ihrer Angestellten jeden Tag aus Ungarn nach Purbach.

Green Care Award für enkeltaugliches Weingut

Ihre Wirtschaftsmethode beschreibt Braunstein als „enkeltauglich“. Dafür hat Braunstein am 12. April die Auszeichnung zum „Gartenhof“ vom Verein Green bekommen, einem Projekt im Rahmen des österreichischen Programms für ländliche Entwicklung. Das Business muss auch die Familie tragen, und das am besten über Generationen hinweg.

Die beiden Söhne rücken bereits nach. Jeder mit seinem eigenen Kopf und seinem eigenen Weingarten, um sich entfalten zu können. Weinstöcke sollen auf den Kalk- und Schieferböden des Weinguts Braunstein ihre volle Lebensdauer bis 100 Jahre ausschöpfen. Nur so gelingt das Keltern von sogenannten großen Weinen mit hoher Komplexität im Geschmack und guter Lagerfähigkeit. Das Gelingen will Braunstein bald ihren Söhnen überlassen. In den nächsten fünf Jahren wolle sie sich aus dem Wein-Business zurückziehen, sagt Braunstein. Reich werde man mit dem Weinbau nicht, das habe sie ihren Söhnen schon klargemacht.

Zeit für guten Wein

Samtige Tannine bei den roten, Komplexität ohne Schwere bei den weißen Weinen, so beschreibt Braunstein ihre Produkte. Die schiefer- und kalkhaltigen Böden des Weinguts seien ideal, um große, lagerfähige Weine zu keltern. Vergleichbare Böden finden sich etwa in Burgund, rund um Rhone oder an der Mosel und im Rheingau – alles Gebiete, deren Namen einige der weltweit feinsten Weine zieren.

Während in den späten 90er- und frühen 2000er-Jahren eher schwere Rotweine in Mode waren, sind es heute leichte, trinkfreudige Weine, die mit geradlinigem, animierenden Geschmack punkten: „Jetzt ist unsere Zeit“, sagt die Winzerin. Denn in diese Kategorie fallen die Weine, die Braunstein am Leithagebirge seit 20 Jahren produziert. Und wenn alles gut geht, steht auch den nächsten 20 Jahren nichts mehr im Weg.


Mehr Info zum biodynamische Weingut von Birgit Braunstein unter: https://www.weingut-braunstein.at


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Wein wird weiblich

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