StartInnovationPlanetSchöne, neue, cleane Welt – wie wir die Energiewende wirklich schaffen

Schöne, neue, cleane Welt – wie wir die Energiewende wirklich schaffen

Wenn es um die Energieversorgung geht, lässt sich die Zukunft nur gestalten, wenn wir bei uns selbst anfangen – sagt Susanna Zapreva, Vorständin von Österreichs führendem Stromunternehmen, der Verbund AG. Wie sie das genau meint, erklärt sie im Interview.

„Jetzt ist der Egoismus zurück auf der großen Bühne, es zählen nur noch die nackten Wirtschaftsinteressen, es zählt das Geld.“ Dieses Zitat wurde beim Weltwirtschaftsforum in Davos in Zusammenhang mit dem dort zurückgehenden Interesse an Klimathemen gebracht. Welche Beobachtungen machen Sie dazu?

Beim Thema Energie ist das Gleichgewicht des Dreiecks aus Ökonomie, Ökologie und Sicherheit in der Versorgung entscheidend. Wenn dieses Dreieck nicht mehr im Gleichgewicht ist, dann fehlt die Akzeptanz. Und wenn die Akzeptanz bei den Kund*innen fehlt, dann stößt es eine neue Entwicklung an. In den letzten Jahren haben wir dieses Gleichgewicht aus den Augen verloren: Das Thema Ökologie war sehr stark, und viele Menschen haben das im Sinne der Ökonomie interpretiert und geglaubt, dass die Ökologie die Preise unleistbar macht. Dadurch ist uns die Akzeptanz abhandengekommen.

Ein schwerer Kommunikationsfehler…

Genau. Hinzu kommt noch, dass wir eine Zeit erlebt haben, in der die gewohnte Stabilität ins Wanken geriet. Die Versorgungssicherheit, insbesondere in Hinblick auf Gas, war in erheblichem Maße durch den Ukraine-Krieg und die Zerstörung der Nordstream-Pipeline bedroht. Diese Entwicklungen haben nicht nur unsere Energieabhängigkeit, sondern auch das Vertrauen in unsere Infrastruktur auf eine harte Probe gestellt. Dann steht auch noch die Frage der Leistbarkeit im Raum. Die Preise sind speziell im deutschsprachigen Raum auf einem alarmierend hohen Niveau. Damit haben wir das fragile Gleichgewicht des Dreiecks aus den Fugen geraten lassen. Nun müssen wir es wiederfinden. In Spanien zum Beispiel liegen die Energiepreise bei der Hälfte unserer. Das macht deutlich, dass die Herausforderungen nicht nur strukturell, sondern auch regional sehr unterschiedlich sind.

Was genau ist denn unser Problem?

Die Energieversorgung unserer Gesellschaft ist nicht resilient aufgestellt. Wir sind sehr stark abhängig von Importen. Die Größenordnungen in Österreich und Deutschland liegen bei 60 beziehungsweise 70 Prozent. Diese Importe sind zu einem Großteil fossil, der Anteil der Erneuerbaren ist vergleichsweise gering.

Eine Regierungskoalition mit der windkraftgegnerischen AfD konnte vorerst abgewendet werden. Wie geht es Ihrer Einschätzung nach mit der Energiewende weiter?

Irgendwann müssen wir beim Thema Energie aufhören, ständig zu schauen, was die nächste Regierung machen könnte. Das Energiegeschäft ist sehr langlebig. Deshalb ist es nicht sinnvoll, alle vier Jahre, nach jeder Wahl, eine Richtungskorrektur vorzunehmen. So entwickle ich kein nachhaltiges System. Es muss gelingen, überparteiisch drei Dinge außer Streit zu stellen. Wir müssen die Effizienz der Energienutzung erhöhen, denn wir verbrauchen viel zu viel Energie. Unser Wirtschaftswachstum muss vom Energieverbrauch entkoppelt werden. Und es muss uns gelingen, das System erneuerbar zu gestalten. Das, was wir haben, sind Wasser, Sonne und Wind. Daher können wir die Resilienz unserer Gesellschaft nur durch Erneuerbare Energien erhöhen. Für uns in Europa ist es der einzige Weg, wie wir die Importabhängigkeit reduzieren können. Und wenn wir das System transformiert haben, werden auch die Energiepreise runtergehen.

Was fehlt uns dazu?

Vielleicht das richtige Mindset. Ich halte mir immer vor Augen, dass wir die Generation sein werden, die den Wandel gestaltet hat. Das ist ein schöner Gedanke, der auch hilft, den Blick für das große Ganze nicht zu verlieren. Den müssen wir uns bewahren. Ich sehe es auch nicht als so schlecht an, dass Amerika in diesem Punkt an Geschwindigkeit verliert – es gibt uns nämlich die Möglichkeit, die Dinge richtig zu machen und wieder die Vorreiterrolle einzunehmen. Wenn man in 50 Jahren einmal zurückblickt, werden wir die Generation sein, die die Systeme neu gebaut hat. Wir werden diejenigen sein, die die Welt energietechnisch …

… richtig umgewandelt haben?

Das Problem, das ich in unserer Gesellschaft beobachte, liegt in einer Haltung der Passivität und der Tendenz, ausschließlich auf die Politik zu warten. Mein Ansatz ist ein anderer. Wir müssen uns nicht darauf beschränken, auf eine Veränderung von außen zu warten. Jede*r von uns muss überlegen, was kann ich aus meiner Position heraus beitragen. Dann schafft es vielleicht auch die Politik, klarer und entschlossener zu handeln. Ich habe großen Respekt vor den Herausforderungen, vor denen Politiker stehen. Sie sind eingezwängt zwischen gegensätzlichen Interessen und dem ständigen Druck, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

„Die Zukunft gehört dem Strom.“

Wie lautet die meistgestellte Frage, die Sie im privaten Umfeld zum Thema Erneuerbare Energie bekommen?

Können wir uns das leisten? Und meine Antwort ist immer: Wir müssen uns das leisten, weil die Alternative dazu nicht leistbar ist.

Seit Energietransformationen ein Thema sind, sei aber der Bürokratieaufwand gestiegen, kritisiert die Industrie.

Das ist das, was ich meine. Es gelingt uns nicht, diese positive Geschichte nach vorne, diese Sehnsucht nach etwas Schönem zu vermitteln. Wir sind in einer Entwicklungsstufe angekommen, wo wir nur mehr auf den Nächsten hinhauen, Fehler suchen und uns damit eine riesengroße Chance, nämlich die Chance auf Innovation, nehmen.

Donald Trump will wieder mehr Erdöl fördern – ein Trend, der auch zu uns überschwappen wird?

Ich würde mir wünschen, dass Europa die Kraft aufbringt, der Entwicklung, die in den USA passiert, entgegenzutreten, indem wir weniger den Fokus auf fossile Energien legen, sondern auf ein nachhaltiges Energiesystem. Wenn wir diese Transformation weiter mit den richtigen Mitteln und dem richtigen Rahmen betreiben, dann haben wir die Nase vorne.

Würde eine europaweite Kampagne mit grenzübergreifenden Botschaften helfen, den Energiewandel positiv zu verkaufen?

Ich bin mir nicht sicher, ob eine zentrale Kampagne von der EU helfen würde. Ich kann die Welt nicht ändern, wenn ich mich nicht selbst ändere. Wir müssen bei uns selbst anfangen und überlegen: Welche Wirklichkeit schaffe ich? Und hier spielen Kultur, Sprache und Selbstbild eine wichtige Rolle. Das ist eine nationale Aufgabe.

Wie weit sind in Deutschland und Österreich Wind- und Sonnenkraft noch ausbaufähig?

Ich bin überzeugt, dass wir große Fortschritte sehen werden. Ich erzähle immer gern: Als ich an der TU Wien studiert habe, habe ich Photovoltaik als Weltraumtechnologie gelernt. Weltraumtechnologie! Damals hatte PV so geringe Wirkungsgrade, da wurde durch die Herstellung der Paneele mehr CO2 produziert, als über deren Lebensdauer eingespart werden konnte. Das war im Jahr 2000. Jetzt, 25 Jahre später, schaue ich mir an, wo wir stehen: Heute sind auf vielen Dächern PV-Anlagen. Deswegen glaube ich, dass wir technologisch mindestens so einen Sprung erleben werden, wie wir ihn in den letzten 25 Jahren gesehen haben. Wir müssen nur geduldig sein und schauen, dass wir Kräfte entfalten, die Innovation fördern und Mut machen.

„Der wahre Wandel wird in einer Veränderung unseres Umgangs mit Energie liegen“

Welche Rolle spielen hier Deutschland oder Österreich?

Deutschland hat in der Photovoltaik sehr viel Innovationsarbeit geleistet, aber dann hat sich die ganze weitere Entwicklung nach China verlagert. Hätte Deutschland anfänglich nicht viel Geld in diesen Bereich gesteckt, hätte es diese Entwicklung weltweit nicht gegeben. Jetzt kann man Deutschland dafür kritisieren – oder danke sagen, dass sie diese Pionierarbeit geleistet haben.

Grüner Wasserstoff, ein sehr aktuelles Thema, ist auch an Sonne und Wind gekoppelt. Wie sieht hier die Lage aus?

Ich sehe für grünen Wasserstoff zwei wichtige Anwendungsgebiete: einmal in der Industrie, wo im Prozess die CO2-Emissionen reduziert werden können, und in der Mobilität. Der Anteil an Gasen und damit auch Wasserstoff wird bei zehn bis 15 Prozent des Energieverbrauchs sein. Der Rest wird zum großen Teil durch Strom gedeckt, weil Strom die effizienteste Form ist.

Wird sich auch im Personenverkehr Strom am stärksten durchsetzen?

Ich glaube fest daran. Der Wirkungsgrad eines Diesel oder Benziners liegt bei fünf Prozent, wenn Sie durch die Stadt fahren. Anders gesagt: Wir nutzen nur fünf Prozent von dem Diesel, den wir tanken. Auf der Autobahn sind es immerhin 30 Prozent – je nach Geschwindigkeit. Das Elektroauto nutzt mehr als 90 Prozent, egal, wo Sie es fahren. Durch diese Wirkungsgradverbesserung spart man extrem viel Energie.

Werden die fossilen Brennstoffe überhaupt ganz verschwinden?

Ich schätze, dass vielleicht fünf Prozent übrigbleiben und wir auf jeden Fall mit nachhaltigen Energien über die 90-Prozent-Grenze kommen werden.

Um den thematischen Bogen zu schließen: Was kann ich machen, um meinen Energieverbrauch möglichst schmerzlos und schnell zu reduzieren?

Wenn man sich einen durchschnittlichen Haushalt anschaut und betrachtet, wofür Energie verbraucht wird, wird deutlich, dass nur wenige Prozent auf den Strom entfallen. Das meiste brauchen wir für Wärme und Warmwasser. Daher werden die Heizungssysteme der Zukunft entscheidend sein. Mit den richtigen Systemen lässt sich extrem viel Energie reduzieren – bis zu 70 Prozent. Schon eine scheinbar kleine Veränderung, wie das Herunterdrehen der Heizung um einen Grad, bewirkt viel mehr als das bloße Ausschalten des Lichts. Wir haben noch viel an Aufklärung vor uns. Wenn ich Menschen frage, wo sie Energie sparen, fällt die Antwort häufig auf einfache Maßnahmen wie das Ausschalten von Licht oder das Deaktivieren vom Standby-Modus. Das ist sicherlich ein guter Schritt, aber der wahre Wandel wird in einer grundsätzlichen Veränderung unseres Umgangs mit Energie liegen. Die Zukunft gehört dem Strom – denn Strom ist die effizienteste Form der Energie.

Fotomaterial(c) VERBUND

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