Die Erleichterung war groß, als die Inflationsdaten für den Monat Oktober aus den USA veröffentlicht wurden: Mit einem Plus von 3,2 Prozent im Jahresvergleich fiel der Zuwachs schwächer aus als erwartet. Auch in der Eurozone scheint – zumindest vorerst – das Schlimmste ausgestanden. Hier legte die Teuerung um 2,9 Prozent zu. Die Rückgänge sorgten auch für reichlich Euphorie an den Börsen. Dabei verlief das Börsenjahr 2023 nicht immer derart positiv.
In der ersten Jahreshälfte war die Sorge über weitere Zinsanhebungen groß, ein Umstand, der für Turbulenzen sorgte. Denn höhere Zinsen verteuern Finanzierungskosten und dämpfen die Investitionsfreude. Weil sich die Teuerung jedoch allmählich einbremst, entschieden sich die US-Notenbank sowie die EZB zuletzt gegen eine weitere Anhebung. Das sind auch gute Nachrichten für die Märkte.
Wie aber könnte es 2024 auf den Märkten weitergehen?
sheconomy sprach mit vier Expertinnen aus der Finanzbranche. Ihre Einschätzungen fallen teils unterschiedlich aus – ein Umstand, der angesichts zahlreicher Unsicherheitsfaktoren, so etwa die geopolitischen Spannungen, verständlich ist.
Vera Fehling, Senior Portfolio Manager bei der DWS, etwa gibt sich vorsichtig optimistisch und meint, „der Höhepunkt der Preissteigerungen dürfte in allen maßgeblichen Regionen deutlich hinter uns liegen. Für die USA rechnen wir 2024 mit einer Inflation von 2,8 Prozent, für die Eurozone mit 2,9 Prozent.“
Etwas zurückhaltender fällt die Einschätzung von BlackRock-Senior-Kapitalmarktstrategin Ann-Katrin Petersen aus. Es gebe zwar Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung, angesichts der Ereignisse im Nahen Osten bestünden kurzfristig jedoch Aufwärtsrisiken bei der Inflation, so etwa bei einem erneuten Anstieg der Energiepreise.
Unter anderem wächst die Sorge vieler Beobachter*innen, dass auch der Iran in den Konflikt involviert wird und deshalb die Straße von Hormus blockieren könnte. Dort werden immerhin rund 20 Prozent des globalen Ölangebots verschifft, die Folgen einer Blockade hätten spürbare Auswirkungen auf die Notierung.
„Der Höhepunkt der Preissteigerungen dürfte in den maßgeblichen Regionen hinter uns liegen“
Die Zinssenkung könnte dauern
Petersen verweist auf einen weiteren Aspekt, den Anlegerinnen ebenso wenig unterschätzen sollten: „Der zugrundeliegende Inflationsdruck in der Eurozone dürfte angesichts eines engen Arbeitsmarkts und gedämpfter Produktivität auf absehbare Zeit weiterhin hartnäckig hoch ausfallen.“ Die EZB dürfte deshalb erst spät in diesem Jahr eine Zinssenkung wagen, meint die BlackRock-Expertin.
Derzeit liegt der Leitzins bei 4,50 Prozent. In den USA liegt dieser in einer Spanne von 5,25 und 5,50 Prozent. Letztendlich habe sich der Fokus verlagert – von der Frage der Höhe der Leitzinsen hin zur Frage, wie lange diese auf restriktiven Niveaus verharren dürfen.
Die Megatrends liegen nicht in ferner Zukunft, sondern spielen sich bereits
heute ab.
Die BlackRock-Expertin erwartet jedenfalls kein baldiges Zurückrutschen ins Tal der Niedrigzinsen. Einzig, auch die Prognosen zum Wirtschaftswachstum fallen verhalten aus. In diesem Jahr seien die Volkswirtschaften noch erstaunlich resilient, zeigt Karola Gröger, Sales Director bei Fidelity, auf.
Während der Lockdowns hatten viele private Haushalte eine Menge Ersparnisse angehäuft. Sie wurden nach dem Ende der Maßnahmen kräftig abgebaut, ein Umstand, der die Wirtschaft ein gutes Stück ankurbelte. Doch allmählich gehe die Pandemie-Sparschwemme zu Ende, mahnt Gröger. „Die Aussicht auf eine Verlangsamung der Konsumtätigkeit im kommenden Jahr lässt für die Wirtschaft nichts Gutes verheißen.“
Doch wie lauten die Einschätzungen? Bei der Raiffeisen KAG wird 2023 für die USA zwar noch mit einem Plus von 2,4 Prozent gerechnet, die Dynamik dürfte sich 2024 aber deutlich abschwächen, das Plus bei nur noch 0,9 Prozent im Jahresdurchschnitt liegen. „Für die Eurozone sind nach 0,5 Prozent gut 0,6 Prozent für 2024 realistisch“, konstatiert Karin Kunrath, Chefanlagestrategin der Raiffeisen KAG.
Für Anlegerinnen sieht Kunrath dennoch Chancen für Renditen 2024 an den Börsen. „Zwar droht in Europa und den USA eine Rezession. Dies sollte aber die Notenbanken dazu veranlassen, die Zinsen wieder zu senken, was für die Aktienmärkte positiv sein sollte.“
Nur im Falle einer lang andauernden tiefen Rezession seien der Raiffeisen-Expertin zufolge die Aussichten für Aktien weniger optimistisch. Dies sei jedoch nicht das Basisszenario.
KI als Treiber für Renditen 2024
In diesem Zusammenhang lohnt auch der Blick auf aktuelle Bewertungen. „Die Märkte sind derzeit nicht besonders teuer“, konstatiert Kunrath und verweist auf einen wichtigen Maßstab, das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Hierzu wird der Aktienkurs in Verhältnis zum Gewinn je Aktie gesetzt. Ein hohes KGV bedeutet, dass Anlegerinnen bereit sind, einen verhältnismäßig hohen Preis für die Aktie zu bezahlen. Dabei gibt es allerdings regionale Unterschiede: Das KGV für den US-Index S&P 500 liegt bei rund 20 und ist höher als in Europa, wo die Kennzahl – etwa am Stoxx 600 – bei gut 12 liegt.
Der Grund: Jenseits des Atlantiks notieren jede Menge große Technologiewerte, die jüngst zum Teil von dem kräftigen Aufschwung in der Künstlichen Intelligenz (KI) profitiert haben. Die Chancen im KI-Bereich seien weiterhin intakt, findet dabei Petersen von BlackRock.
Ihr gefallen auch die Perspektiven im Bereich der digitalen Disruption, der Neuverkabelung globaler Lieferketten aufgrund geopolitischer Umbrüche und wirtschaftlichen Wettbewerbs, des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft sowie der demografischen Entwicklungen. „Diese Megatrends liegen nicht in ferner Zukunft, sondern spielen sich bereits heute ab.“
Bei der DWS sieht man zudem weitere regionale Trends. Fehling sagt, „für europäische kleine und mittlere Unternehmen wie auch für japanische Aktien sind wir aufgrund ihrer deutlichen Unterbewertung optimistisch“.
Fidelity-Expertin Gröger verweist in Japan dazu auf eine Reihe jüngster aktionärsfreundlicher Maßnahmen. So schütten immer mehr Firmen nunmehr Dividenden aus und kaufen eigene Aktien zurück – ein Umstand, der oftmals eine wichtige Kursstütze ist. Zudem rechnet man bei Fidelity mit einem Anstieg des Yen. Für Anlegerinnen aus Europa würde dies ein Japan-Investment aufwerten.
Immer mehr japanische Firmen schütten Dividenden aus und kaufen eigene Aktien zurück.
Schwellenländer als Beimischung
Freilich, auch die Schwellenländer sollte man in einem breit gestreuten Portfolio nicht außen vor lassen. DWS-Expertin Fehling meint, Aktien aus Schwellenländern dürften besonders stark von möglichen Zinssenkungen in den USA profitieren. Damit vergünstigen sich etwa deren Dollarschulden, das stützt die regionale Wirtschaft. Und wie sieht es bei Anleihen aus? Trotz des jüngsten Inflationsrückgangs sollte die Gefahr eines erneuten Anstiegs nicht ganz außer Acht gelassen werden.
Bei Fidelity verweist man deshalb auf eine Beimischung inflationsgeschützer Anleihen. Solche Papiere werden meist von Staaten begeben. Kuponzahlung und Nominale werden an die Inflationsrate angepasst. Zudem steigen die Kurse solcher Papiere, wenn auch die Nachfrage zunimmt. Doch damit ist längst Schluss. Weil die Renditen in den vergangenen Monaten kräftig gestiegen sind, sieht Fehling Ertragschancen insbesondere bei hochqualitativen Unternehmensanleihen.
Sie hält derzeit das Rendite-Risikoprofil in Hinblick auf solide Bilanzen für attraktiv. Unternehmensanleihen dürften zudem – wie auch Staatsanleihen – von den erwarteten Zinssenkungen profitieren. In solch einem Umfeld sind grundsätzlich bestehende Papiere höher verzinst als jene, die nach der Zinssenkung begeben werden und somit weniger wert sind.
Interessant ist auch der Blick auf Gold
Expert*innen raten grundsätzlich, einen Teil des Portfolios darin als Krisenschutz zu investieren. Der Ansatz hat sich jüngst angesichts des Ukraine-Kriegs und des Nahost-Konflikts ausgezahlt. Der Kurs touchierte zuletzt die Marke von 2.000 US-Dollar. Auch die Aussicht auf sinkende Zinsen sind für ein – zinsloses – Goldinvestment eine Stütze.
Kunrath von der Raiffeisen KAG sagt, „unter der Annahme, dass 2024 der nächste Zinssenkungszyklus beginnt, kann man für den Goldpreis eine positive Erwartung formulieren.“
Der Beginn eines neuen Zinssenkungszyklus 2024 wäre positiv für die Goldpreiserwartung.
Alles in allem sollten Anlegerinnen auch im kommenden Jahr breit gestreut investieren und mögliche Risiken, so etwa eine Verschlechterung der geopolitischen Lage, gut im Auge behalten.