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Portfolio für den Paradigmenwechsel

Von Raja Korinek

Erstmals seit Jahrzehnten springt die Inflation weltweit wieder an – mit weitreichenden Folgen für die globalen Finanzmärkte. SHEconomy erklärt, was der Paradigmenwechsel für Anlegerinnen bedeutet und worauf es bei der Zusammenstellung ihrer Portfolios ankommt. 

Es war eine Stützungsmaßnahme gigantischen Ausmaßes: Mitte März boxte US-Präsident Joe Biden überraschend schnell sein ambitioniertes Fiskalpaket in Höhe von 1,9 Billionen US-Dollar durch den US-Kongress. Ein guter Teil der Staatsschulden, die dafür eigens aufgenommen werden, sollen direkt an private Haushalte ausbezahlt werden. Damit ist auch die Hoffnung groß, dass diese Gelder den Konsum, somit die Konjunktur wieder ankurbeln.

Mit den wachsenden Konjunkturhoffnungen steigen allerdings auch die Inflationssorgen vor allem in den USA. Der Grund? In einem Umfeld des Wirtschaftswachstums stellen Unternehmen mehr Menschen ein, womit auch das allgemeine Lohnniveau anzieht und letztendlich mehr Geld ausgegeben wird. Doch auch der steigende Ölpreis ist ein Belastungsfaktor, der schon jetzt die Inflation nach oben treibt. Damit erlebt die Weltwirtschaft erstmals seit Jahrzehnten einen bedeutenden Paradigmenwechsel. Freilich, wie stark sich der Alltag noch verteuern wird, bleibt abzuwarten. 

Allerdings schlägt sich die steigende Inflation nicht nur in der Real- sondern auch in der Finanzwirtschaft durch. Bei der Zusammensetzung eines Portfolios sollten Anlegerinnen deshalb einige Punkte genau beachten. Und vor allem das Geschehen an den Anleihemärkten gut im Auge behalten. Dieses Marktsegment ist schon jetzt von den steigenden Inflationssorgen besonders betroffen. 

Um diesen Zusammenhang zu verstehen, muss man ein wenig zurückblicken: Aufgrund der jahrelangen tiefen Zinsen sind Anleihen mit sehr niedrigen Kupons ausgestattet, die schon jetzt nach Abzug der aktuellen Inflationsrate praktisch keinen realen Ertrag mehr liefern. Dieser Umstand verschlimmert sich bei einer steigenden Inflationsrate. Viele Anleger trennten sich deshalb zuletzt von ihren Bonds, um nicht noch größere reale Einbußen zu riskieren. Das führte zu größeren Kursverlusten vor allem bei Staatsanleihen, etwa aus den USA, aber auch aus Europa. 

Doch wie ernst ist die Lage tatsächlich? Karin Kisling, Geschäftsführerin des Online-Vermögensverwalters Savity meint, dass die Inflation in diesem Jahr zwar kurzfristig steigen werde, da sich aus der Erholung heraus ein Nachfrageüberhang ergeben werde und gleichzeitig Engpässe in den globalen Lieferketten zu erwarten seien. „Mittelfristig sehen wir nach wie vor aber wenig Inflationsgefahr, weil vor allem in Europa die Überschusskapazitäten sehr hoch sind“. Kisling verweist dabei auf aktuelle Marktprognosen: Derzeit sei in den USA eine Inflationserwartung von durchschnittlich zwei Prozent und in Europa von einem Prozent auf die kommenden zehn Jahre eingepreist. 

Das Umfeld bleibt damit vor allem für die Anleihemärkte knifflig, zumal die Zinsen in den USA und in der Eurozone noch länger tief bleiben dürften. „Erst nach Ende der Pandemie und im Zuge einer nachhaltigen Konjunkturerholung kommt eine Anhebung in Frage“, konstatiert Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege Privat- und Firmenkunden Deutsche Bank. Er meint, bis auf Weiteres laufen die Krisenprogramme – bei denen die Märkte mit billigem Geld geflutet werden – der US-Notenbank und der Europäischen Zentralbank weiter. 

Damit bleibt noch die Frage, wie man sein Geld laut den Experten am besten streut. Philip Gisdakis, Chefanlagestratege HypoVereinsbank Wealth Management & Private Banking, liefert ein klares Fazit und sagt, „die jüngsten Ereignisse, wie etwa die anlaufenden Massenimpfungen, die zusätzlichen fiskalischen Impulse der USA sowie die robuste Erholung in China, unterstützen unsere Präferenz für risikobehaftete Anlagen“. Das bedeutet, Aktien werden im Vergleich zu Anleihen bevorzugt. Besonderen Gefallen findet der erfahrene Banker derzeit an Titeln und Branchen, die von der Wirtschaftserholung profitieren. In diesem Zusammenhang hebt Gisdakis regional vor allem die Schwellenländer und Europa hervor. In letzterer Region sind vor allem viele zyklische Unternehmen an den Börsen notiert, zu denen beispielsweise Industrie- und Rohstofftitel zählen. All das sind Bereiche, die von einem Konjunkturaufschwung besonders kräftig profitieren. Auch den Schwellenländern wird in wirtschaftlich guten Zeiten besonders großes Potential eingeräumt. 

Das sind aber nicht die einzigen Chancen, die der HypoVereinsbank-Profi sieht. Er verweist auch auf die Technologie- und Gesundheitssektoren. „Sprachen schon die langfristigen Trends für diese Branchen, wurden sie nun durch die Pandemie weiter aufgewertet“. Allein für die Umrüstung auf das Home-Office ist der Einsatz jeder Menge Technologie gefordert. Und im Gesundheitssektor verleiht die Suche nach einem Covid-19-Impfstoff entsprechenden Konzernen Rückenwind, ebenso wie Produzenten von Schutzausrüstungen, zu denen beispielsweise Masken zählen. Doch auch das Thema „Nachhaltigkeit“ sollte man Gisdakis zufolge keinesfalls außen vorlassen. „Die Einigung über das EU-Wiederaufbauprogramm und Bidens Entscheidung, die USA wieder in das Pariser Klimaabkommen zurückzuführen, verstärken zudem unsere strategische Ausrichtung auf nachhaltige Themen.“ 

Ähnlich lautete der Tenor etwa bei der Hypo Vorarlberg. Roswitha Klein, Regionaldirektorin in Wien, meint, ein wichtiger Kern der Anlagestrategie im Haus sei die Veranlagung in Unternehmen, denen die Zukunft gehört. In diesem Zusammenhang beobachte man eine Veränderung von Prioritäten innerhalb der Gesellschaft, „die durch Innovationen sowie neue Geschäftsmodelle weiter vorangetrieben wird“. Und deshalb habe man bei der Aktienstrategie vor allem drei Themen im Fokus. „Dazu gehören Investitionen in Healthcare Innovation, die wir bereits im Herbst 2019 aufgebaut haben, Clean Energy als Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie sowie Cloud-Computing aufgrund der pandemiebedingten Nachfrage“. Bei der Cloud handelt es sich um virtuelle Datenspeicher im Internet, die unter anderem von bekannten Firmen wie Amazon, Microsoft und Google angeboten werden. 

Auf eine Streuung mit weiteren Anlageklassen sollte trotzdem nicht vergessen werden, wenn auch das Umfeld für ein Bondinvestment derzeit wenig attraktiv ist. Doch gerade solide Schuldner schwanken in Krisenzeiten meist weniger als es Aktien tun und sind deshalb ein ebenso wichtiger Baustein in einem Gesamtportfolio. Klein von der Hypo Vorarlberg verweist in diesem Zusammenhang auf die „ausgewogene“ Strategie in Ihrem Haus, quasi die goldene Mitte zwischen einer sehr konservativen, und einer sehr offensiven Portfolio-Strategie. Solch ein Spektrum an Strategien bieten praktisch alle Geldhäuser an. 

Bei der Hypo Vorarlberg entfallen in der „ausgewogenen“ Strategie aktuell rund 35 Prozent auf Anleihen. Klein präzisiert: „Staatsanleihen spielen eine zentrale Rolle in der Risikosteuerung und gehören deshalb dazu“. Doch nicht nur. Selektiv wird in solide Unternehmensanleihen investiert, die eine klein wenig höhere Verzinsung bieten. Hinzu kommt eine Beimischung von Bonds, die etwas riskanter sind. Dazu zählen Emittenten, die eine etwas schlechtere Bonität haben, dafür höhere Zinsen zahlen, sowie Anleihen aus den Schwellenländern. Mit letzteren Papieren kann man immerhin zusätzlich Chancen aus der Wertentwicklung nutzen – wenn auch das Risiko aufgrund der Devisenkursschwankungen höher ist. Savity-Boss Kisling sieht derzeit allerdings ein Aufwertungspotential: „Lokalwährungen sind weiterhin günstig bewertet“. 

Sie findet zudem, chinesische Staatsanleihen würden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Und selbst für die aufkeimende Inflation liefert Kisling eine Antwort: „Vor einigen Monaten haben wir begonnen, inflationsgebundene Anleihen beizumischen“. Diese richten die Kupon- und Rückzahlung an die Inflationsrate, wobei schon allein die Sorge ausreicht, um die Nachfrage und damit den Wert dieser Anleihen anzutreiben. Auch eine Beimischung an Infrastruktur- und Rohstoffinvestments seien ein interessanter Inflationsschutz, ergänzt Kisling. 

Und wie sieht es mit Gold aus? „Dies bleibt ein elementarer Bestandteil unserer Allokation, da das Edelmetall in weiten Teilen negativ zu anderen Assetklassen korreliert und ein stabiler Werttreiber ist“, zeigt Klein von der Hypo Vorarlberg auf. Allerdings sieht man in ihrem Haus derzeit von einer hohen Gewichtung ab, da andere Anlageklassen bessere Gelegenheiten böten. Tatsächlich hat der Preis des gelben Edelmetalls seit Ende 2018 einen fulminanten Aufstieg zurückgelegt und im August 2020 ein neues Rekordhoch von knapp mehr als 2.000 US-Dollar je Unze erzielt. Gut möglich, dass die Notierung zunächst korrigieren könnte.

Alles in Allem bleibt eine breite Streuung zentrales Element eines soliden Portfolios. Bei der Zusammenstellung rät Klein jedenfalls nicht in den „Rückspiegel“ zu blicken und sich bei der Veranlagung an die historische Entwicklung der Märkte zu orientieren. „Dabei wird gerne vergessen, dass sich der Kapitalmarkt stark verändert hat und sich die Unternehmenswelt nach der Corona-Pandemie in einigen Bereichen neu ordnen wird“. Sie rät, sich verstärkt die Frage zu stellen, welche Geschäftsmodelle für die Zukunft gewappnet sein werden. 

Fotomaterial© unsplash.com

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