StartErfolg"Nein" als Ja zu sich selbst

„Nein“ als Ja zu sich selbst

Zwischen „Sei nett“ und „Schütze dich selbst“ sagen wir viel zu oft Ja, obwohl wir Nein meinen. Maren Wölfl zeigt, warum klare Grenzen kein Egoismus sind – sondern Selbstachtung – und wie ein freundliches Nein stärkere Beziehungen schafft.

Mich hat mal eine Kollegin gefragt, ob ich im Sommer gemeinsam mit ihr Seminare für Kinder anbieten möchte? Ohne eine Sekunde zu zögern, kam aus mir raus: „Nein, sicher nicht!“ Nicht, weil ich Kinder nicht mag (ich habe ja selbst drei), sondern weil ich ganz klar wusste: Mein beruflicher Fokus liegt woanders. Ich brauche in meinem Job nicht auch noch Kinder in meiner Nähe.

Aber so klar bin ich nicht immer. Manchmal sitze ich konzentriert vor dem Computer, und meine Tochter fragt: „Mama, liest du dir bitte den Aufsatz durch?“ Und obwohl ich in mir denke „Echt jetzt?“, sage ich aus Liebe zu ihr trotzdem Ja. Ab und an sage ich für eine Abendveranstaltung zu, obwohl ich weiß, dass ich abends nur noch in Ruhe auf der Couch liegen möchte. Dann sitze ich in der U-Bahn, hundemüde, und frage mich: „Wieso hast du da wieder Ja gesagt?“

Ich glaube, wir alle kennen diese inneren Dialoge zwischen dem Engelchen und dem Teufelchen, zwischen „Sei nett“ und „Schütze dich selbst“.

Warum fällt es uns so schwer, Nein zu sagen?

Wir sind oft Weltmeisterinnen im JA obwohl wir NEIN meinen – das hat viel mit unseren inneren Antreibern und der Sozialisation zu tun: Sei nett, sei hilfsbereit oder sei flexibel. Und am besten: Mach’s allen recht!

Es gibt viele Gründe, warum wir Ja sagen, obwohl wir Nein meinen. Ich habe sie in vier Gruppen eingeteilt:

  1. Eigene Erwartungen: Wir glauben, alles schaffen zu müssen. Supermama, Superfrau, Superjob. Das bekannte „Helferlein-Syndrom“ lässt grüßen.
  2. Ängste: Wir fürchten uns vor einem Streit oder der fehlenden Harmonie, vor Ablehnung oder davor, nicht mehr dazuzugehören. Ich erinnere mich, wie ich ewig in einer WhatsApp-Gruppe geblieben bin, die mich nur genervt hat – weil ich dachte, sonst verpasse ich was. Spoiler: Hab ich nicht.
  3. Glaubenssätze: „Ich muss machen, was von mir erwartet wird.“, „Die Bedürfnisse der anderen sind wichtiger als meine.“ Diese Sätze begleiten viele Menschen ein Leben lang.
  4. Vorurteile: Wenn Frauen klar ihre Meinung sagen, gelten sie schnell als „zickig“. Männer sind „durchsetzungsstark“, Frauen „anstrengend“. (Mein Lieblingsspruch dazu: „I’m not bossy – I just have leadership skills.“)

Grenzen sind eine Form der Klarheit und Selbstachtung

Stell dir vor, du hast ein wunderschönes Grundstück mit einem Haus und rundherum befinden sich keine Zäune, keine Schilder. Alles ist offen und zugänglich. Da kommen Menschen vorbei, spazieren durch deinen Garten, pflücken deine Blumen oder stellen sogar ihre Müllsäcke bei dir ab. Klingt das nach einem absurden Gedanken? Im übertragenen Sinn passiert uns das ständig. Wenn du keine klaren Grenzen setzt, ist deine „Haustür“ sperrangelweit offen.

Grenzen sind nichts Kaltes, nichts Egoistisches – sie sind ein Zeichen von Selbstachtung.
Und sie helfen den anderen zu verstehen, wo dein Raum beginnt und wo er aufhört.

Vier Schritte, um Nein zu sagen

Vier Schritte, die helfen sollen, das Wort mit den vier Buchstaben auszusprechen, Klarheit geben und Grenzen zeigen:

  1. Beginne bei dir selbst: Bevor du überhaupt Nein sagen kannst, musst du wissen, wozu du eigentlich Ja sagen willst. Frag dich: Was ist mir wichtig? Wofür stehe ich gerade? Wenn du deine eigenen Prioritäten kennst, fällt es leichter, Entscheidungen zu treffen. Denn ein Nein ist in Wahrheit immer auch ein Ja – nämlich zu dir selbst, zu deiner Energie und zu dem, was dich wirklich weiterbringt. Wenn du das nicht weißt, wirst du zum Spielball der Erwartungen anderer und zerreißt innerlich im Spagat der vielen Anforderungen.
  1. Erkenne dein Muster und deine Gründe: Oft sagen wir Ja, obwohl wir Nein meinen – einfach, weil wir es gewohnt sind. Vielleicht willst du Konflikte vermeiden, Harmonie bewahren oder einfach dazugehören. Wenn du merkst, wann und warum du automatisch Ja sagst, kannst du diesen Moment bewusst unterbrechen. Das ist der erste Schritt aus dem Autopilot-Modus hin zu echter Selbstbestimmung.
  2. Erkenne den Nutzen deines Neins: Ein Nein fühlt sich im ersten Moment vielleicht unangenehm an. Bei genauerer Betrachtung wirst du noch eine andere Seite sehen: Was gewinnst du dadurch? Vielleicht mehr Ruhe, mehr Fokus oder mehr Selbstachtung. Und langfristig geht es definitiv um Respekt für dich und auch für die anderen. Überlege dir mal, deine Meinung zu Menschen, die alles für die anderen tun und springen und sich dabei selbst verlieren? Das ist uns meist sehr klar. Menschen, die klar kommunizieren, sind verlässlicher. Ein ehrliches Nein stärkt Beziehungen – weil es Klarheit gibt anstatt unausgesprochene Erwartungen zu erzeugen.
  3. Übung macht die Meisterin: Fang klein an und sag freundlich Nein zu Dingen, die nicht deine Aufgabe sind. Du musst dich nicht rechtfertigen, und du darfst dir Zeit nehmen, bevor du entscheidest. Ein einfaches „Ich überlege es mir und melde mich“ verschafft dir Luft, und ist oft der Start in ein neues, souveränes Kommunikationsverhalten. Je öfter du übst, desto natürlicher wird das Setzen von deinen Grenzen und das Einstehen für deine Haltung: freundlich, klar und kraftvoll.

Das berühmte „Bäckerei-Beispiel“

In einem meiner Lieblingsvideos erzählt Rene Borbonus eine herrliche Geschichte: Ein Mann will Brötchen von heute für morgen kaufen – weil sie dann „von gestern“ sind und nur die Hälfte kosten. Die Verkäuferin versucht, es zu erklären – und verfängt sich jedes Mal im eigenen Grund. Das Ergebnis: Er kriegt die Brötchen geschenkt.

Die Lektion: Wenn du ein Nein begründest, geht es nicht mehr um das Nein – sondern nur um den Grund. Sag also freundlich Nein, ohne dich zu rechtfertigen.

Zum Beispiel so: „Danke für die Anfrage. Ich kann das leider nicht machen. Alternativ kann ich es gerne bis Montag liefern.“

Oder: „Ich kann an dem Termin leider nicht teilnehmen. Alternativ schlage ich Montag, 16 Uhr vor.“

Ein Nein darf freundlich, klar und respektvoll sein – aber es braucht keine Erklärung.

Ein paar Tipps zum Schluss

  • Biete Alternativen an. Das hält die Beziehungsebene aufrecht, auch wenn du Nein sagst.
  • Verschaffe dir Zeit. Sag: „Ich überlege es mir und gebe dir Bescheid.“ – das schützt dich vor spontanen Zusagen.
  • Kläre Erwartungen an dich selbst und von anderen. Viele glauben nur, dass etwas von ihnen erwartet wird – ohne je nachzufragen.
  • Erlaub dir, Nein zu sagen. Niemand außer dir kann deine Grenzen setzen.
  • Bleib neugierig. Was passiert, wenn du das nächste Mal eine Grenze setzt? Vielleicht nichts Schlimmes – vielleicht aber etwas Befreiendes.
  • Clear is kind. Wie Brené Brown sagt: Klarheit ist Freundlichkeit. Wenn du innerlich klar bist, sind deine Neins nicht hart, sondern ehrlich.

Und bitte vergiss nicht: Die größten Profiteure deiner fehlenden Grenzen sind meist jene, die sich am meisten über dein Grenzen aufregen.

Mein Fazit:

Grenzen zu setzen bedeutet nicht, weniger nett, liebevoll oder freundlich zu sein. Das Einhalten von Grenzen ist auch kein Zeichen von Härte, sondern es geht um innere Klarheit, Haltung und dem Vertreten deiner Werte. Es bedeutet, dich selbst ernst zu nehmen und damit auch die anderen. Und manchmal ist das deutlichste Zeichen von Liebe, Fürsorge und Respekt einfach ein leises, aber klares: „Nein.“


Über die Autorin:

Maren Wölfl ist Expertin für Female Leadership, Unternehmerin des Jahres, Buchautorin und eine starke Stimme auf LinkedIn. Mit den (FE)MALE WAKE-UP CALLs unterstützt sie viele Unternehmen und Frauen auf dem Weg zu einer besseren (Arbeits)-Welt von morgen. Im Mai 2026 wird ihr zweites Buch erscheinen. femalewakeupcall.com

Fotomaterial(c) Nicole Stessl

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