StartOpinionMitarbeiter verzweifelt gesucht: Personalmangel - die neue Realität und ihre Folgen

Mitarbeiter verzweifelt gesucht: Personalmangel – die neue Realität und ihre Folgen

Diese Momentaufnahme hat kein Happy End. Auch wenn wir es gerne hätten – die einfache Erklärung: Irgendwo hat es sich über Nacht aufgetan – quasi ohne Vorwarnung. Das große, schwarze Loch, in das sie gestoßen worden sind. Und aus dem es ganz offensichtlich keine Rückkehr gibt. Kein Unternehmen, das sich nicht auf der Suche befindet. Keine Branche in Deutschland und in Österreich, die nicht in das gleiche Klagelied einstimmt: „Wo sind unsere Mitarbeiter abgeblieben“? Und – wie bitte schön – bekommen wir sie zurück? Längst ist nicht mehr die Rede nur von qualifizierten Facharbeitern, an denen es mangelt. Ob im Handwerk, Bau, Handel, Verkauf, in der Industrie, bei Dienstleistern – ob auf dem Land oder in den Ballungszentren – MitarbeiterInnen, ob hoch qualifiziert oder für einfachste Tätigkeiten, werden geradezu verzweifelt gesucht. Schon längst jagen die Unternehmen nicht mehr nach den besten Talenten. „In Zeiten wie diesen geht jeder Bewerber, der nicht bei drei auf dem Baum sitzt, mit einer Zusage aus dem Bewerbungsgespräch nach Hause“, so ein Personaler kürzlich in einem Gespräch.

Die neue Realität in der Nach-Corona-Zeit oder besser seit der vorsichtigen Rückkehr zur Normalität: Restaurants verzichten auf das Mittagsgeschäft, Bäcker reduzieren ihr Angebot. Busse rollen nicht, Lastwagen bleiben in den Garagen, Flugzeuge heben nicht ab,  OP‘s werden verschoben… Und Betriebe müssen trotz gefüllten Auftragsbüchern unfreiwillig auf die Bremse treten. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Besonders fatal: die Qualität bleibt zwangsläufig mehr und mehr auf der Strecke. Fast zwei Millionen offene Stellen allein in Deutschland meldet das Statistische Bundesamt. Auch in Österreich erreichte die Zahl der offenen Stellen im zweiten Quartal mit 206 300 Vakanzen einen Höchststand. Die Zahl der Schulabgänger geht zurück, während das Angebot an Ausbildungsplätzen in neue Höhen steigt. Zweifellos – die globale Pandemie, der Angriffskrieg durch Russland auf die Ukraine und seine fatalen Folgen auf den europäischen Energiesektor, massive Störung von Lieferketten und selbst die in diesem Umfang nicht zu erwartende Inflation – unsere Gesellschaft wurde in der jüngeren Vergangenheit von geradezu dramatischen Entwicklungen kalt erwischt. Und ja – diese Krisen haben direkte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Viele Arbeitnehmer aus Osteuropa kommen – wenn überhaupt – nur eher zögerlich nach Corona wieder zurück nach Deutschland und Österreich. Und so mancher hat sich entschieden, dem Arbeitsleben vor Beginn des offiziellen Rentenalters den Rücken zu kehren. Damit konnte doch niemand rechnen, oder?

Doch! Denn Teil der Wahrheit ist auch, dass die Politik es sträflich versäumt hat, rechtzeitig und konsequent die Weichen für eine vorausschauende und dringend notwendige Zuwanderung zu stellen. Und ganz offensichtlich den Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung nicht die notwendige Beachtung geschenkt hat. Denn Deutschland muss sich – und das klingt eben nicht sehr populär – mit der Rolle als Einwanderungsland arrangieren. Ohne Einwanderung kein Wohlstand – so einfach ist das! Demographie ist eine Wissenschaft, die mit dem Blick in die Glaskugel nichts zu tun hat. Schon heute wissen wir sehr genau, dass es allein in Deutschland bis 2035 wesentlich mehr Menschen im Rentenalter geben wird. In Österreich zeigt eine Prognose der Statistik Austria, dass die Anzahl an Personen im Rentenalter bis 2050 um 9% von 8,92 Millionen in 2020 auf 9,63 Millionen in 2050 ansteigen wird. Die Zahl der Personen im erwerbstätigen Alter wird, so die Prognose, von 62% in 2020 auf 54% in 2050 sinken. Die Zahl der Personen in Deutschland im Alter ab 67 Jahren wird zwischen bis 2035 um 22 % von 16 Millionen auf voraussichtlich 20 Millionen steigen. Gleichzeitig wird es bis zum Jahr 2035 deutlich weniger Menschen im Erwerbsalter geben. Die Generation der Baby-Boomer wird in den 2020er-Jahren aus dem Erwerbsalter ausscheiden und die aufrückenden jüngeren Jahrgänge werden diese Lücke nicht schließen können. Bedeutet: wir erfahren derzeit einen bitteren Vorgeschmack auf das, was uns in den kommenden Jahren noch blühen wird. Und ehrlich – wer jetzt noch den Schalter umlegen und die Fehler der Vergangenheit korrigieren möchte, der schließt die Augen vor der Realität.

Das deutsche Statistische Bundesamt analysiert ziemlich nüchtern: „Um die Abnahme der erwerbsfähigen Bevölkerung bis 2035 zu kompensieren, bedürfte es unter Berücksichtigung des steigenden Renteneinstiegsalters jährlicher Wanderungsüberschüsse von durchschnittlich 480.000 Menschen im Erwerbsalter. Davon müssten 300.000 Personen zwischen 20 und 40 Jahren sein, wenn die Bevölkerungszahl in dieser Altersgruppe stabilisiert werden sollte.“ Im Klartext – gleichzeitig traurig und ehrlicherweise nicht zu ändern: wir erleben den Auftakt einer Entwicklung, die die Gesellschaft in unseren Ländern ganz maßgeblich beeinflussen wird. Es ist zu hoffen, dass die politisch Verantwortlichen nicht den gleichen Fehler bei der Bekämpfung der Klimakrise begehen und der Wissenschaft doch noch verstärkt Gehör schenken werden. In Sachen Bevölkerungsentwicklung dürfte das Kind bereits in den Brunnen gefallen sein.

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