Wie funktioniert Macht, die Räume öffnet und gestaltet, statt nur Raum einnimmt? Top-Managerinnen und -Politikerinnen zeigen mit überraschenden Einblicken, wie sie an der Spitze navigieren und welche Skills sie stärken.
Wir könnten in den kommenden Jahren einen Machtwechsel erleben. Denn zum ersten Mal in der Geschichte werden Frauen über die Hälfte des weltweiten Vermögens verfügen – Expertinnen wie Ida Liu von der Citi Private Bank rechnen damit, dass Frauen bis 2030 rund 30 Billionen US-Dollar erben oder verwalten Wenn Frauen also mehr besitzen, als je zuvor – werden sie damit auch mehr Einfluss auf Märkte, Innovation und vor allem Transformation haben? Werden sie die damit verbundene Macht nutzen?
Derzeit erscheint dies noch wie eine utopische Vorstellung. Toxische Männlichkeit dominiert die Weltpolitik, und die Systeme, in denen dieses Kapital wirken kann, sind noch immer auf männliche Logiken ausgerichtet. Sicher geglaubte Fortschritte stehen auf der Kippe: Quoten werden infrage gestellt, Diversity-Programme ausgesetzt, Jobs für Frauen in Führung gestrichen. Laut einer sheconomy-Umfrage gilt Macht noch immer als männliche Eigenschaft.
Sabine Pfeffer, Vorstandsmitglied der UNIQA Österreich Versicherungen AG, teilt diese Beobachtung: „Wenn ein Mann bestimmt auftritt, gilt er als führungsstark. Wenn eine Frau dasselbe tut, wird sie nicht selten als überambitioniert wahrgenommen. Diese Zuschreibungen passieren oft unbewusst, aber sie zeigen: Macht wird bei Frauen immer noch mit anderen Maßstäben gemessen.“
Sabine Pfeffer, Mitglied des Vorstands Kunde & Markt Bank Österreich der UNIQA Österreich Versicherungen AG
„Macht heißt nicht Härte.“
„Wir müssen aufhören, Macht mit Härte zu verwechseln – ein Bild, das lange vor allem männlich geprägt war. Für mich bedeutet Macht heute: Verantwortung übernehmen, anderen Vorbild zu sein und dabei so zu führen, dass man jeden Tag mit gutem Gefühl in den Spiegel schauen kann, im Einklang mit den eigenen Werten. Bodenständigkeit und Authentizität sind für mich keine Schwächen, sondern Stärken – gerade in Machtzirkeln, die oft von Inszenierung und Konkurrenz geprägt sind.“
Die Finanz- und Versicherungsexpertin hat es trotzdem ganz nach oben geschafft, und das mit einem bodenständigen Führungsstil. Wie passt das in die von Testosteron gesteuerte Machtzirkel? „Diese Eigenschaften sind für mich keine Schwächen, sondern Stärken“, betont Sabine Pfeffer, die „echte Veränderungen im System“ bewirken will.
Ihre Devise: Mehr Sisterhood statt Catfight. „In meiner Karriere habe ich erlebt, dass Frauen zwar aufsteigen dürfen – aber nur, wenn sie sich anpassen. An Strukturen, die lange von männlichen Führungsbildern geprägt waren. Umso wichtiger ist es, Möglichkeiten zu schaffen, in denen Frauen nicht in Konkurrenz zueinander gedrängt werden, sondern sich bewusst vernetzen und gegenseitig stärken. Wenn wir wollen, dass Frauen Unternehmenskultur mitgestalten reicht es nicht, ihnen die Tür zu öffnen – wir müssen auch zulassen, dass sie sie auf ihre eigene Art durchschreiten.“ Bei UNIQA, betont Pfeffer, werde das gefördert.
Dorothee Bär, Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt der Bundesrepublik Deutschland (CSU)
„Macht bedeutet gestalten zu können, etwas bewegen zu können. Dass ich meine Ideen umsetzen kann.“
„Nur eine Welt, in der Frauen und Männer gleichermaßen entscheiden ohne strukturelle Ungleichheit, wird eine Welt sein, wie wir sie unseren Kindern hinterlassen wollen. Da will ich als Ministerin einiges tun, um Frauen in Forschung, Technologie und Raumfahrt zu stärken. Ich möchte den Frauenanteil in wissenschaftlichen Führungspositionen weiter erhöhen. Ich möchte, dass noch mehr Mädchen und Frauen sich für spannende Tätigkeiten im MINT-Bereich entscheiden.“
Spaß an der Macht
Als die Top-Managerin Vera Schneevoigt in Tech-Konzernen wie Siemens, Fujitsu oder Bosch Verantwortung trug, war sie häufig die einzige Frau am Tisch. „Mir fehlten damals weibliche Macht-Vorbilder“, sagt sie und schmunzelt: „Eigentlich gab es da lange nur Angela Merkel.“ Schneevoigt setzte auf ihre gewachsene Resilienz, und auf begleitendes Executive Coaching, um ihren Weg zu gehen.
Sie wirkte mit einem partizipativen, menschenzentrierten Ansatz und hatte schon immer Spaß an Macht – vielleicht, weil sie schon an ihrem Vater, dem Politiker, im Wohnzimmer miterlebte, wie sich Dinge gestalten lassen. Dort sah sie aber auch, dass sie in Macht- und Männerzirkeln keine echten Freunde finden würde. „Die habe ich im Privatleben.“ Trotz Gegenwind und schwierigen Entscheidungen, etwa der Schließung und Verlagerung von Werken in ihrer Laufbahn, sagt sie: „Es macht Spaß, Macht einzusetzen, und auch in schwierigen Zeiten gestalterisch Einfluss nehmen zu können.“ In ihrem aktuellen Buch „Wir können Zukunft“ (Haufe) appelliert sie heute an die Kraft des Zusammen-Wirkens. „Wir müssen uns verbünden, um etwas zu erreichen.“
Vera Schneevoigt, Geschäftsführende Gesellschafterin der Guiding for Future GmbH, Autorin – zuvor u.a. Chief Digital Officer bei Bosch Security & Safety Systems und Senior Vice President Engineering und Managing Director bei Fujitsu Global
„Nie Angst vor Auseinandersetzungen.“
„Machtzirkel aufzubrechen kann schwer sein – manchmal reicht es schon, eine andere Sprache zu sprechen oder die einzige Frau im Raum zu sein. Ich hatte nie Angst vor Auseinandersetzungen und bin in meiner Laufbahn immer meinem eigenen Kompass gefolgt. Ich glaube, dass wir heute noch viel stärker als je zuvor auf die Macht des ‚Wir‘ setzen müssen. Noch ist diese Macht nicht stark genug ausgeprägt. Aber Menschen sind soziale Wesen. Wir müssen uns verbünden, um etwas zu erreichen.“
Diese Kompetenz haben Frauen längst nicht nur in der Geschäftswelt ausgebildet: Sie navigieren durch Systeme, die nicht für sie gemacht wurden. Sie schaffen Allianzen und haben erkannt, wie wichtig Netzwerke sind. Geht es um „gute Führung“, schneiden weiblich geprägte Führungsstile am besten ab – besonders in Krisen, zeigen Studien. Hier setzt auch Vera Steinhäuser mit ihrer Arbeit als Business Coachin und Podcast Host von „Die
Macht Zentrale“ an. Ihre Leitfrage: „Wie kann female leadership dazu beitragen,
dass es allen besser geht?“
„Die Macht verschwindet nicht, wenn wir sie ignorieren, sondern findet ohne uns statt.“
Vera Steinhäuser, Psychologin, zertifizierte Business Coachin und Gründerin der Kommunikationsberatung Sie&Ich.
Steinhäuser sieht, dass die Grundlagen für Macht schon früh gelegt werden. Während Jungs unter anderem durch ihre Hormonschübe schneller ins Risiko und in den Wettbewerb gehen, achten Mädchen eher darauf, in einer Gruppe nicht aufzufallen. Umso wichtiger, die medialen Hebel nicht der „männlichen Mittelfinger-Mentalität“ zu überlassen und lauter zu werden, mahnt Steinhäuser. Dazu gehöre es, häufiger über die eigenen Erfolge zu sprechen – auch, wenn das Gegenwind auslöst. „Wer Macht ergreift, hat dafür einen Preis zu zahlen – aber Preis für Frauen ist höher“, weiß Steinhäuser.
Sabine Pfeffer hat sie trotzdem ergriffen. „Macht hat mir im Laufe der Jahre ganz viele Möglichkeiten des Gestaltens eröffnet. Die Frage ist nicht, ob du Macht hast, sondern wofür du sie nutzt.“ Wahre Stärke liegt für sie nicht im Durchsetzen, sondern im Verstehen. „Nutze die Macht nicht, um den Raum zu dominieren, sondern um ihn mit Klarheit zu füllen, die Orientierung gibt, und wo andere mit dir wachsen können.“
Dass Sachlichkeit und Bodenständigkeit jedoch manchmal nicht ausreicht, um ein Ziel zu erreichen, hat Silvia Kaupa-Götzl, langjährige Vorständin der Österreichischen Postbus AG erfahren. „Plötzlich und aus unsachlichen Gründen wurde eine Tür zugeschlagen, die davor weit offen war.“ Ihr Learning daraus: „Man muss auch Dinge, die unter dem Eisberg
liegen, erkennen und darauf eingehen, dazu gehören Machtverhältnisse.“
Silvia Kaupa-Götzl, langjährige Vorständin der Österreichischen Postbus AG, heute Of Counsel bei der Wiener Kanzlei HHLE Rechtsanwälte
„Macht ist nur geborgt.“
„Macht hat kein gutes Image, weil sie oft missbraucht wird. Wenn man aber in einem Unternehmen etwas verändern, bewirken, erreichen möchte, braucht man Macht. In meiner ersten Führungsfunktion habe ich lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass ich die Chefin bin und diese Macht habe. Ich habe im Lauf meiner Karriere dann schrittweise gelernt, dass dies auch gut und wichtig ist. Allerdings: Die Macht als Führungskraft ist geborgt. Wenn man dieses extrem wichtige Grundprinzip verinnerlicht, verliert man auch nicht die Bodenhaftung.“
Auch Kaupa-Götzl folgte immer ihrem eigenen Kompass. Wenn sie nicht mehr weiterkam, suchte sie Unterstützung im Außen. „Manchmal habe ich bewusst um Hilfe gefragt. Oft kamen die Hilfestellungen aber auch in Gesprächen, die sich ganz zufällig ergeben haben. Daher bin ich so ein Fan von Netzwerken und von offenem Austausch mit anderen. Um Hilfe zu fragen ist keine Schwäche, wenn man Macht hat, sondern genau das Gegenteil.“
Macht ist heute dezentraler und fluider denn je, und in Zeiten von wachsender Komplexität ist die Zeit der Einzelkämpfer zumindest angezählt. Doch um die aktuellen Strukturen zu verändern, sollten wir uns nicht scheuen, Macht anzunehmen, so Vera Steinhäuser: „Die Macht verschwindet nicht, wenn wir sie ignorieren, sondern sie findet ohne uns statt.