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„Lieber unromantisch als arm“

Schon in den 1980er Jahren machten ihre Texte Lärm. Helma Sick war in Deutschland die erste „Geld-Kolumnistin“, die Frauen davor warnte, dass ein Ehemann keine Altersvorsorge sei. Heute, mit 81 Jahren, ist sie immer noch ein Fixstern unter den Finanzberaterinnen. Sie schreibt Bücher, hält Vorträge und kämpft weiter für die Unabhängigkeit der Frau.

Helma Sick, die bereits in den 1980er Jahren die erste Finanzberatung für Frauen gründet, obwohl dieser Berufsstand zu dieser Zeit einen denkbar schlechten Ruf hat: „Geld, das war schnöde. Gar über eine FINANZIELLE Eigenständigkeit nachzudenken, war damals fast absurd.“ Helma Sick, die seit Mitte der 1990er regelmäßig eine „Geldseite“ für die Frauenzeitschrift Brigitte schreibt und darin Frauen Tipps gibt, wie sie am besten ihr Geld anlegen. Helma Sick, der es in ihren Beratungsaktivitäten von Anfang an darum geht, ihren Kundinnen deutlich zu machen, dass Geld weder gut noch schlecht ist, sondern dass es darauf ankommt, was man mit Geld macht.

Unter dem Banner „Ein Mann ist keine Altersvorsorge“ kämpft sie dafür, dass Frauen ihre Absicherung selbst in die Hand nehmen. Sie wird zur Pionierin und Grande Dame der weiblichen Finanzberatung, zur gefragten Rednerin, Autorin, Interviewpartnerin und nicht zuletzt bekennenden Feministin – als Wachrüttlerin und zugleich Anklägerin der politischen Situation und gesellschaftlicher Stereotype, die Frauen benachteiligen.

Ihr Weg beginnt in der Kriegsund Nachkriegszeit im tiefsten Bayerischen Wald, in einer Zeit, als die Devise für Mädchen lautet: Du heiratest so schnell wie möglich, und bis dahin gehst du ins Büro. Die Mutter versucht mit psychischen und physischen Mitteln alles, um sie klein zu halten. „Von meiner Mutter hatte ich ja nur gehört: ,Du bist nichts, du kannst nichts, du taugst nichts.‘ Alles, was ich machte, war falsch“. Erst viele Jahrzehnte später erkennt sie mit Hilfe der Psychoanalyse, dass der Hass der Mutter nicht ihr, sondern dem Vater galt, der seine Tochter jahrelang sexuell missbraucht hat: „Da habe ich erst begriffen, dass meine Mutter gewusst haben muss, was mein Vater mit mir macht. Diese mörderischen Schläge haben eigentlich ihm gegolten.“

Die Erkenntnisse aus der Psychotherapie bezeichnet Helma Sick rückblickend als „die beste Investition meines Lebens“, haben sie doch letztendlich trotz all ihrer Schwere dazu geführt, dass sie heute sagen kann: „Ich reise mit leichtem Gepäck. Ich lebe das schönste Leben, das ich je hatte, weil ich mich den Dingen gestellt und sie nicht versteckt, vergraben habe.“

Von Jugend an bekommt sie auch mit, was Frauen in einer Partnerschaft aushalten, weil sie nicht weggehen können, weil sie kein Geld haben: „Ich hatte eine Tante, die war Bäuerin. Sie wurde von ihrem Mann mindestens einmal die Woche grün und blau geschlagen, wenn er betrunken aus dem Wirtshaus kam. Damals war ich ungefähr 16 und habe sie gefragt: ,Warum machst du das, warum lässt du dich so behandeln?‘ und da weinte sie und sagte: ,Was soll ich tun, ich habe ja nichts‘“.

Die Würde und das Geld

Ihre politische Heimat findet sie bei den SPD-Frauen, der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen und in der Frauenbewegung. In dieser Zeit hat sie das Erweckungserlebnis, dass das Private politisch ist: „Ich habe zum ersten Mal begriffen, dass das, was mir widerfahren ist, also die massive Benachteiligung als Mädchen, ein gesellschaftliches Problem ist, es nicht nur ein Einzelschicksal ist, sondern ganz vielen Frauen so ging.“

Ihr Job (Chefsekretärin in der größten Wohnbaugesellschaft Deutschlands, „Neue Heimat“, Anm.) befriedigt sie nicht mehr, obwohl sie gut verdient und sehr angesehen ist. Fasziniert vom neu aufgekommenen Konzept der Frauenhäuser als Zufluchtsstätte bewirbt sie sich initiativ und wird zur kaufmännischen Geschäftsführerin des ersten Münchner Frauenhauses. Die Erlebnisse und Beobachtungen in ihrer neuen Arbeitsstelle fügen sich nun mit denen ihrer Jugend im Bayerischen Wald wie in einem Mosaik zusammen: Wie todunglücklich viele Frauen dort waren, aber in der Ehe gefangen waren. Sie erkennt den Zusammenhang zwischen körperlicher Gewalt und Geldentzug. Im Frauenhaus wird ihr endgültig klar, jede Frau muss eine FINANZIELLE Basis haben.

Die Erkenntnis vom Zusammenhang zwischen Würde und finanzieller Unabhängigkeit motiviert sie und treibt sie an. Sie studiert Betriebswirtschaft und schließt mit Mitte vierzig ihre erste Berufsausbildung mit „sehr gut“ ab. 1987 gründet sie unter dem Firmennamen „frau & geld“ eine der ersten Finanzberatungen für Frauen in Deutschland. Parallel dazu beginnt sie, Artikel zu diesem Thema zu veröffentlichen, ein paar Jahre später erhält ihre Kolumne in Brigitte einen festen Platz.

Hohn und Spott

In der Branche stößt ihr Unterfangen, speziell Frauen zum Thema Finanzen und finanzielle Unabhängigkeit zu beraten, auf Hohn und Spott: „Frau und Geld, das passt doch überhaupt nicht zusammen“, ist einer von vielen Sprüchen, die sie zu hören bekommt. Unter Frauen erlangt sie jedoch schnell Bekanntheit und Ansehen.

Bis heute treibt Helma Sick die Frage um, warum sich Frauen immer noch häufig blauäugig gegenüber Geld und finanziellen Dingen verhalten, insbesondere, wenn sie in einer Beziehung leben. Beratungssituationen wie folgende sind nach wie vor aktuell: „Eine Frau kommt in unsere Beratung. Ihr Mann verdient als Manager sehr viel Geld. Die beiden haben ein Kind. Sie hat so eine ,kleine Hobbytätigkeit‘. Dann stellt sich heraus: Der Mann hat sich und die Tochter abgesichert bis über beide Ohren  – und sie hat überhaupt nichts. Dann legt ihr die Beraterin das dar und die Frau antwortet: ,Mein Mann hat gesagt, wenn er stirbt, bekommen meine Tochter und ich jeweils die Hälfte.‘ ,Ja‘, wird die Beraterin sagen, ,wenn er stirbt. Aber vorher haben Sie nichts. Oder, wenn er weggeht, die Scheidung will …‘“

„Begreifst du, was du da tust?“

Parallel dazu beobachtet sie einen erneuten Rückzug gerade von privilegierten Frauen und Akademikerinnen ins Private: Sie ziehen sich wieder zurück, machen sich wieder abhängig von ihrem Partner. Die Finanzexpertin ist geradezu wütend darüber, wie leichtfertig Frauen bei solch einer Entscheidung mit dem von der Gesellschaft in sie investierten Wissen umgingen: „In Deutschland kostet ein Medizinstudium circa 200.000 Euro, das die Steuerzahler*innen, also wir alle, finanzieren. Und dann wird sie die promovierte Hausfrau. Die möchte ich echt schütteln und sagen: ,Begreifst du, was du da tust?‘“

Die zwei wichtigsten Lektionen ihres Lebens – „Erstens, nicht darauf zu warten, dass andere etwas für mich tun, nicht auf das Glück zu vertrauen, sondern die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, und zweitens, sich nicht von einer Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft abhängig zu machen“ – gibt Helma Sick bis heute unermüdlich weiter. Sie rät insbesondere jungen Frauen: „Freuen Sie sich über Ihre Partnerschaft, aber behalten Sie Ihren Job“. Getreu dem Motto: „Lieber heute unromantisch als später arm.“


Über die Autorin

Sissi Banos ist Gender und Diversitäts-Expertin. Als solche war sie auch viele Jahre beim Hauptvorstand der deutschen IG Metall tätig. Heute berät sie Unternehmen, NPOs, ist aktives Mitglied bei FidAR (Frauen in die Aufsichtsräte e.V.) und lebt in München.


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