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Kranke Führung

In Österreich fühlen sich nur 10 Prozent der Arbeitnehmer:innen ihrem Unternehmen emotional verbunden. Psychische Probleme als Ursache für Frühpensionen steigen. Zudem schmücken sich Unternehmenskulturen in Deutschland und Österreich nicht mit den Attributen innovativ und mutig. Liegt es an der Führung?

„Arbeit muss wieder Bock machen“, sagt Laura Bornmann in einer Gesprächsrunde bei Markus Lanz zum Thema Generation Z und schmettert den Vorwurf ab, junge Menschen wären arbeitsscheu und hätten im Berufsumfeld keinen Zug zum Tor. Bornmann weiß, wovon sie spricht. Mit gerade einmal 28 Jahren übernahm sie die Verantwortung für die Personalentwicklung von 18.000 Mitarbeiter:innen bei Rewe Dortmund.

„Wir brauchen empathische Führungskräfte.“

An der Führung müsse man ansetzen, sagt sie im Interview mit Sheconomy. „Wir brauchen empathische Führungskräfte, die in erster Linie mal Interesse an den Menschen haben“, ist Bornmann überzeugt. Und damit können sich viele identifizieren: „The Future of work is a matter of being human” steht als Headline über Bornmanns LinkedIn Profil, dem mittlerweile 90.000 Menschen folgen. Aber ist es so einfach? Haben das Aufbäumen der Jungen, Dienst nach Vorschrift und frühzeitige Pensionierungen als gemeinsamen Nenner wirklich einfach schlechte Führung?

Fehlerkultur: Österreich versus Silicon Valley

Wer Fehler macht, kann aus ihnen lernen. So platt, so gut. Dass ein entspannter Zugang zu Trial and Error keine Stärke der Deutschen und Österreicher:innen ist, ist ebenfalls eine Binsenweisheit. Laura Bornmann ortet gar eine „German Angst statt German Mut“ als Taktgeber der (Arbeits-)Kultur. Nirgends wird das offensichtlicher als in Vergleichen mit einer Mentalität, die das Credo „Fail often, fail fast“ geboren hat: Das Silicon Valley ist die Wiege der Innovation, was Bereiche wie Künstliche Intelligenz, Synthetische Biologie oder selbstfahrende Autos betrifft. Kurz: Alles, was noch nicht da war und von Grund auf neu erdacht werden muss. Um das zu leisten, braucht es die Bereitschaft, Fehler zu machen.

„Wenn dein Start-up im Silicon Valley scheitert, schreckt das Investor:innen nicht ab. Die wollen nur wissen, ob du aus deinen Fehlern gelernt hast. Wenn du in Österreich scheiterst, bist du erledigt“, sagt Natasha Chatlein, Programverantwortliche der Außendelegation der WKO in San Francisco. „Hier macht dich niemand für eine Idee lächerlich“, antwortet Chatlain auf die Frage, warum Innovation in den USA und vor allem im Silicon Valley so viel schneller vorangetrieben werden als in Europa. Chatlein fasst zusammen, was neben Laura Bornmann auch noch zwei weitere Expert:innen ins Treffen führen werden: Wenn die Führung will, dass Mitarbeiter:innen innovativ sind, sich ins Unternehmen einbringen und sich dem Arbeitgeber, der Vision und dem Job verbunden fühlen, muss sie zuerst für psychologische Sicherheit sorgen.

Peter Rieder, Berater und Mitgründer des Diversity Thinktanks

Trau dich! Psychologische Sicherheit als Innovations-Boost

Eine Grundvoraussetzung für gute und innovative Performance von Teams ist, dass Teammitglieder sich sicher genug fühlen, um ihre Meinung zu sagen: „Psychologische Sicherheit bedeutet, ich werde gehört, ich darf Fehler machen, ich kann auch einmal ansprechen, wenn etwas nicht so gut gelaufen ist. Führungskräfte haben da einen ganz starken Einfluss, indem sie Raum und Zeit geben oder eingreifen, um Redezeiten zu moderieren und für Ausgleich unter Teammitgliedern zu sorgen“, erklärt Peter Rieder, Berater und Mitgründer des Diversity Thinktanks. So entsteht emotionale Verbundenheit.

Und von der gibt es in Österreich wenig: Nur 10 Prozent der Arbeitnehmer:innen fühlen sich nach eine aktuellen Studie von Stepstone ihrem Arbeitgeber emotional verbunden, nur 18 Prozent sind mit dem Unternehmensklima zufrieden. Ein erster Schritt für Führungskräfte wäre also zu überdenken, ob sie mit ihrem Verhalten ihre Mitarbeiter:innen ermutigen, sich einzubringen. Die Frage, „schaffe ich ein Klima, in dem sich alle trauen, innovative Gedanken zu äußern und Probleme anzusprechen“, wäre ein möglicher Startpunkt.

Führung braucht Zeit

Doch diese Vorgehensweise setzt Zeit fürs Führen voraus – und die gibt es in den wenigstens Organisationen: Bisher werden diejenigen zu Vorgesetzten, die am meisten Fachkompetenz haben oder den Job schon am längsten machen, stellt Rieder in seiner Arbeit fest. Und das, konstatiert er, „obwohl man gerade in eine Phase kommt, wo Führung ein eigener Job sein sollte.“

Führungskräfte müssten sich bewegen, um zu einem modernen, inklusiven Führungsstil zu finden.

Immer wieder klagen Führungskräfte über die Einstellung junger Arbeitnehmer:innen. Es sei schwierig, sie zum Arbeiten zu bringen und Commitment und Solidarität gegenüber den Arbeitgebern sei von der Generation Z schon gar nicht zu erwarten. Diese wolle nur mit Samthandschuhen angefasst werden, mit Autorität könne sie wenig anfangen. HR-Expertin Laura Bornmann bricht eine Lanze für die Jungen: Nicht die Generation Z könne für den traurigen Zustand des Fachkräftemangels verantwortlich gemacht werden, nur weil sie nicht mehr unter denselben Bedingungen arbeiten möchte wie ihre Eltern.

Führungskräfte – die meisten von ihnen sind nun einmal älter, männlich und unter anderen Bedingungen aufgewachsen – müssten sich bewegen, um zu einem modernen, inklusiven Führungsstil zu finden: „Und da rede ich nicht von Chiller-Ecken und dem Arbeitsplatz als Feel-Good-Oase. Leistung und der Unternehmenszweck müssen immer noch im Mittelpunkt stehen. In der Wirtschaft muss ankommen, dass gute Führung auch zu besserer Leistung führt“, sagt Bornmann. Harte Entscheidungen und Empathie sind keine gegensätzlichen Pole.

Wissen Führungskräfte, was auf sie zukommt?

Die Führung hat also einiges nachzuholen. Dass sich in Österreich so viele Menschen (vorwiegend Männer) in den frühzeitigen Ruhestand verabschieden, ist ein Problem, das nicht nur das Pensionssystem belastet. Auch die Unternehmen schnaufen unter den Anstrengungen, bestehendes Personal zu halten oder neues zu finden.

Zwei Lösungen werden von Expert:innen dabei immer wieder ins Treffen geführt: Ältere sollen länger arbeiten – gerne auch unter flexibleren, zeitreduzierten Umständen – und die Zusammenarbeit zwischen Jüngeren und Älteren soll besser in Unternehmen verankert werden. Und das ist – erraten – wieder einmal Aufgabe der Führung.

Dabei haben die Personalabteilungen oft ein gutes Bild vom demografischen Aufbau der Mitarbeiterstruktur, Führungskräfte tun sich aber oft schwer, dieses Bild auch in eine Gesamtstrategie zu gießen. Das hieße nämlich Jobmapping, klares Abstecken von Stellen, die bei Pensionierungen nachbesetzt werden müssen und daraus abgeleitete Recruiting Strategien. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Oft beginnen die Probleme schon im mittleren Management, weil es an Bewusstsein für unterschiedliche Anforderungen der Mitarbeiter:innen geht.x

Katrin Hintermeier, Managerin im Bereich Social Innovation bei Deloitte Österreich

Gläserne Decke für Ältere

„Führungskräfte sollten in Generationenmanagement geschult werden, um ein Bewusstsein hinsichtlich verschiedener Bedürfnisse der Generationen und Reflexion der eigenen Stereotype zu schaffen“, sagt Katrin Hintermeier. Sie beschäftigt sich mit Generationsthemen am Arbeitsplatz und ist Managerin im Bereich Social Innovation bei Deloitte Österreich.

Hintermeier nimmt Talent Management noch sehr jugendzentriert wahr: „Best Ager oder Empty Nester, die sich nochmal voll und ganz auf ihre Karriere konzentrieren wollen, werden in diesem Zusammenhang häufig vernachlässigt. Fakt ist, dass die Weiterbildungstage pro Jahr im Alter abnehmen. Dabei wäre es gerade mit zunehmendem Alter wichtig, durch Lernen die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten – Stichwort ‚Lebenslanges Lernen‘.“

Auch Irène Kilubi ortet Altersdiskriminierung in vielen Unternehmen. Kilubi kooperiert als Initiatorin der Social Impact Initiative Joint Generations mit verschiedenen Stakeholdern aus Wirtschaft, Politik, Medien und Gesellschaft, um Brücken zwischen Jung und Alt zu bauen. Ihr Buch „Du bist mehr als eine Zahl“ zum Thema Altersdiskriminierung erscheint im Februar 2024. Die gläserne Decke für den Aufbau von Regelaufbahnen, Führungslaufbahnen oder generelle Karriereentwicklung liegen laut Kilubi bei 50, teilweise bereits bei 45 Jahren. „Danach passiert, sofern man davor nicht schon Führungskraft war, eigentlich nicht mehr viel.“ Das steht den Forderungen von Pensionsexpert:innen, die Lebensarbeitszeit auch an die Lebenserwartung anzugleichen, diametral gegenüber. Gibt es dafür einen Ausweg?

Fehlende Wertschätzung rangiert seit Jahren ganz oben auf der Liste der Kündigungsgründe.

Ohne Augenhöhe wird’s wohl nix

Augenhöhe zwischen unterschiedlichen Hierarchien ist trotz regelmäßiger Seitenhiebe der Generation Boomer nicht nur für die Jungen eine Voraussetzung dafür, sich am Arbeitsplatz wohlzufühlen: Fehlende Wertschätzung rangiert seit Jahren ganz oben auf der Liste der Kündigungsgründe. Unzufriedenheit mit Führung und Unternehmenskultur schafft es regelmäßig mit dem Wunsch nach mehr Gehalt und dem Bedürfnis nach neuen Aufgaben unter die Top Drei Gründe, sich neu zu orientieren, und das quer durch alle Altersschichten.

Wer über 60 ist und genug hat, sucht sich in Österreich nicht unbedingt einen neuen Job – immer noch ist das Modell Frühpension trotz Abschlägen bei Pensionshöhe und Problemen fürs Pensionssystem sehr beliebt. Das tatsächliche Pensionsantrittsalter der Männer liegt mit 62 drei Jahre unter dem gesetzlich vorgesehenen. Ein Drittel gibt die Gesundheit, die meisten davon psychische Probleme als Grund für die Frühpension an. Hier könnten wir von den nordischen Ländern lernen. Finnland, Schweden, Norwegen und Island schaffen es, ihre Belegschaft weit länger im Arbeitsprozess zu halten.

Kein Wunder, sagt Irène Kilubi. Dort sind nicht nur Gesundheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz verbreitet und werden von der Belegschaft auch angenommen, „in Skandinavien gibt es diese starken Hierarchien nicht so wie bei uns. Der Arbeitsprozess findet viel eher auf Augenhöhe statt.“ Und diese ist eines der positiven Ergebnisse psychologischer Sicherheit. Es setzt das Gefühl der Gleichwertigkeit voraus. Die gute alte menschliche Wertschätzung also.

Irène Kilubi, Initiatorin des Programms Joint Generations

Führung in der Krise

Irgendwo ist die Führung im deutschsprachigen Raum also falsch abgebogen. Von Arbeitnehmer:innen wird zwar Flexibilität verlangt, selbst scheint man aber noch in alten Mustern und Manieren verhaftet zu sein. Ja, den Fachkräftemangel gibt es. Ja, wir haben ein Problem, wenn zu viele Menschen zu früh aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Aber ziehen wir auf voller Linie daraus die Konsequenzen?

„Die Jungen leiden nicht mehr. Sie gehen.“

Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten 10 Jahren zugunsten der Arbeitnehmer:innen verschoben. Bisher war es umgekehrt. „Wer zahlt, schafft an“, gilt noch in einigen Bereichen. Mit der Generation Z, die sich aufgrund hoher Kreditraten und den Burnouterlebnissen ihrer Eltern nicht mehr den Rücken für ein Eigenheim krumm arbeiten, hört dieses Machtgefälle langsam auf zu wirken. „Die Jungen leiden nicht mehr. Sie gehen“, bringt es Peter Rieder auf den Punkt. Was braucht es also, wenn Arbeitnehmer:innen nicht nach einem Jahr wieder davonlaufen sollen?

Mehr Empathie, die trotz allem klare Grenzen und einen eindeutigen Leistungskorridor vorgibt. Seit Jahren reden sich Berater:innen den Mund fusselig, indem sie Geschäftsführer:innen zum Aufbau einer gesunden, wertschätzenden Unternehmenskultur raten, wo Mitarbeiter:innen Verantwortung und Gestaltungsspielraum bekommen. In Zukunft wird es Aufgabe der Führung sein, sich neue Modelle der Beurteilung von Leistung und Produktivität zu überlegen. Anwesenheit und Stundenanzahl sind mit der Qualität des Outputs einfach nicht mehr gleichzusetzen.

Und das geht in beide Richtungen: Die Qualität der Erlebnisse im Arbeitsalltag ist bis zu dreimal so wichtig für das Wohlbefinden im Job wie die Arbeitszeit, analysiert die Unternehmensberatung Gallup. Menschliches Führen wird wichtiger, denn für einfache Führungsaufgaben gibt es sehr bald Künstliche Intelligenz, die erkennt, ob wir überarbeitet sind, Pause machen oder einmal kurz das Thema wechseln sollten, um auf neue Gedanken zu kommen. Es wird mehr Weiterentwicklung brauchen – sowohl für Mitarbeiterinnen (egal wie alt) als auch für Führungskräfte. Denn Führen will gelernt sein. Und das, so scheint es, ist in vielen Betrieben in Deutschland und Österreich noch nicht angekommen.


Interview mit Laura Bornmann

„Harte Entscheidungen und Empathie sind kein Widerspruch“

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