StartBusiness„KI neigt zu Halluzinationen“

„KI neigt zu Halluzinationen“

Im Bereich der Künstlichen Intelligenz entstehen kontinuierlich neue Berufsfelder und Tätigkeitsbereiche. Doch wie gut ist unser Bildungssystem für die KI-Ära vorbereitet? Die neue wissenschaftliche Geschäftsführerin der Fachhochschule Joanneum, Corinna Engelhardt-Nowitzki, und Birgit Phillips, Universitätsprofessorin und wissenschaftliche Leiterin der hochschuldidaktischen Weiterbildung an der FH Joanneum, über notwendige Kompetenzen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz.

Sie ist da. Leise, unsichtbar und unauffällig hat sie sich eingeschlichen. Künstliche Intelligenz beeinflusst seit einigen Jahren bewusst und unbewusst unseren Alltag und unsere Entscheidungen. Und sie schafft neue Möglichkeiten und Innovationen. Für Berufe, für Unternehmen, für die Gesellschaft. Doch sind wir bereit?

Sie stehen in Ihrem Berufsalltag in ständigem Austausch mit Studierenden. Sind die „Digital Natives“ mit ihrer digitalen Vorbildung bereit für die neuen Berufsfelder und Tätigkeitsbereiche der Künstlichen Intelligenz und Robotik?

Corinna Engelhardt-Nowitzki: Studierende, die als Digital Natives bezeichnet werden, sind in einer Welt aufgewachsen, in der digitale Technologien allgegenwärtig sind. Durch ihre Vertrautheit mit digitalen Anwendungen haben sie sicherlich einen Vorteil im Umgang mit KI und Robotik. Ihr Wissen über diese Systeme muss jedoch noch vertieft werden, um die Mechanismen und Grundprinzipien des Lernens und der Funktionsweise zu verstehen. Es ist wichtig, dass sie die Werkzeuge, mit denen sie arbeiten, begreifen und die Fähigkeit entwickeln, neue Technologien zu erforschen und andere Werkzeuge richtig einzuordnen. Ein solides Grundverständnis von Mathematik, Statistik, Informatik und Datenanalyse ist ebenfalls wünschenswert, da es eine solide Grundlage für den weiteren Erwerb von Kenntnissen in diesen Bereichen bildet.

Birgit Phillips: Es wird oft von „Digital Natives“ gesprochen, aber die Realität ist komplexer: Junge Menschen bringen oft eine sehr hohe digitale Affinität mit und haben eine gute Ausgangsbasis. Es geht aber um mehr als die Beherrschung von Social Media, reines Technikverständnis oder das Programmieren von Software. Digitale Kompetenz umfasst auch ethische, rechtliche und soziale Aspekte, die bei der Entwicklung und Anwendung von KI und Robotik berücksichtigt werden müssen. Lehrende tragen hier eine große Verantwortung, denn es liegt an uns, auch diese Kompetenzen zu vermitteln, damit die Studierenden von heute die Zukunft verantwortungsvoll mitgestalten können. Denn KI ist fehleranfällig und neigt zu Halluzinationen.

„KI muss erleb- und greifbar gemacht werden, dafür ist Storytelling ein effektives Werkzeug.“ Corinna Engelhardt-Nowitzki wissenschaftliche Geschäftsführung, Fachhochschule Joanneum

Welche digitalen Grundkompetenzen sind gemeint? Welche sind für ein technisches Studium notwendig?

B . P.: Wenn wir über digitale Grundkompetenzen für technische Berufe sprechen, ist es wichtig, über den traditionellen Fokus auf Programmierung, Statistik, Mathematik und Datenanalyse hinauszudenken. In der digitalen Arbeitswelt von morgen spielen auch kommunikative Kompetenzen eine wichtige Rolle, also z.B. die Fähigkeit, komplexe technische Konzepte verständlich zu erklären und mit unterschiedlichen Stakeholdern zu interagieren. Aber auch Problemlösungskompetenz, also die Fähigkeit, komplexe Probleme zu erkennen und alternative Lösungen zu entwickeln, die möglicherweise über rein technische Lösungen hinausgehen.

Wichtig sind auch kritisches Denken, Kreativität, Flexibilität, Empathie und Anpassungsfähigkeit. Die Studierenden sollen lernen, Zusammenhänge zu erkennen und sich nicht nur auf die Technik als isolierte Disziplin zu konzentrieren, sondern auch die Folgen innovativer Lösungen zu bedenken. Technikfolgenabschätzung (TA) und ethische Fragen sollten daher eine größere Rolle spielen. Dabei handelt es sich um Kompetenzen, die nicht durch Multiple-Choice-Tests erfasst werden können und daher nicht-traditionelle Lehr- und Lernmethoden erfordern.

Die Integration von KI bringt Herausforderungen mit sich, insbesondere in Bezug auf Datenschutz und Ethik. Wie gehen Sie als wissenschaftliche Geschäftsführerin einer digital- und technologieorientierten Fachhochschule mit diesen Herausforderungen um und stellen sicher, dass der Einsatz von KI im Bildungsbereich verantwortungsvoll und ethisch vertretbar ist?

C. E.-N.: KI muss erlebbar und greifbar gemacht werden, dafür ist Storytelling ein wirksames Instrument. Mit Storytelling-Szenarien können wir Herausforderungen und mögliche Risiken von KI thematisieren. Dazu ein Beispiel: Wir stellen einem Menschen und einem Roboter zwei Fragen und schauen, wer sie besser beantwortet. Die erste Frage ist die Aufforderung, sich zehn chinesische Vokabeln ad hoc und ohne sprachliche Vorkenntnisse zu merken. Eine Herausforderung für das menschliche Gedächtnis, aber kein Problem für die Maschine, die das in Sekundenbruchteilen speichert. Frage Nummer zwei ist die Aufforderung, den Raum zu verlassen. Für Menschen trivial, für (mobile) Roboter eine hochkomplexe Programmierung, die nicht immer fehlerfrei gelingt.

Beispiele wie diese machen uns bewusst, dass KI zwar über erstaunliche Fähigkeiten verfügt, aber auch klare Grenzen hat. Oft werden die Konzepte rund um KI abstrakt und technisch dargestellt, was es vielen Menschen schwer macht, sie zu verstehen. Durch das Erzählen von Geschichten schaffen wir jedoch eine Verbindung zwischen abstrakter Technologie und menschlicher Erfahrung. Wir können die Chancen und Risiken von KI besser verstehen und darüber diskutieren, wie wir sie verantwortungsvoll einsetzen können.

Ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang ist die Diskriminierung in KI-Systemen. Im Internet gibt es oft nur drei Kategorien: Männer, Frauen und Katzen. Wenn eine KI mit Daten trainiert wird, die diese drei Kategorien bevorzugen, wird sie diese Voreingenommenheit übernehmen. Dies zeigt, wie KI aufgrund ihres Trainings bestimmte Verzerrungen und Diskriminierungen reproduzieren kann. Es ist wichtig, solche Beispiele zu betrachten, um die Auswirkungen von KI besser zu verstehen.

B . P.: KI-Systeme werden immer leistungsfähiger und wir brauchen dringend Regeln für einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Technologie. Während einige Bereiche bereits geregelt sind – denken wir an den Einsatz von Medizinrobotern oder das autonome Fahren – besteht in vielen anderen Bereichen dringender Handlungsbedarf, allen voran im Bereich der sozialen Medien, die für unser demokratisches Zusammenleben essentiell sind. Hier gibt es besorgniserregende Entwicklungen auf verschiedenen Plattformen. So ist es seit der Übernahme von Twitter und der Entlassung des gesamten Ethik-Teams zu einem rasanten Anstieg von Hate Speech, Fehl- und Falschinformationen auf der Plattform gekommen, die nachweislich negative globale Auswirkungen haben, wie etwa im Ukraine-Krieg. Es sollte uns zu denken geben, dass viele Entwickler und Manager, die von Anfang an an der Entwicklung von KI beteiligt waren, mittlerweile das Handtuch geworfen haben und vor einer unkontrollierten Entwicklung warnen.

Warum spielen Frauen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung und Entwicklung von KI-Technologien?

C. E.-N.: KI-Systeme sollten für die gesamte Bevölkerung gleichermaßen nützlich und fair sein, und dies erfordert eine breite Beteiligung von Frauen, um sicherzustellen, dass ihre Bedürfnisse und Anliegen angemessen berücksichtigt werden. Jede Gesellschaft integriert in ihre Regulierungen die Werte, die in ihrem Rechtssystem, moralischen System und politischen System verankert sind. In Europa entwickelte KI-Systeme spiegeln somit europäische Wertesysteme wie Menschenwürde, Sicherheit, Fairness und Chancengleichheit wider. Daher ist es wichtig, dass wir wettbewerbsfähig und flexibel in der Entwicklung von KI bleiben, da wir mit China und den USA starke und schnelle Konkurrenten haben, die ihr eigenes Wertesystem mit KI-Systemen transportieren.

Die Technologie entwickelt sich so schnell, dass Normen und Gesetze nicht Schritt halten können. Wir brauchen Menschen, die gute Entscheidungen treffen können, sowohl moralisch als auch ethisch. Wenn wir unsere Fähigkeiten als Menschen stärken, können wir eine gewisse Zeit gut damit umgehen, auch wenn nicht alles durch diese Tools geregelt ist. Es ist wichtig, nicht zu viele Barrieren aufzubauen und keine übermäßige Angst zu schüren. Dafür müssen wir Menschen mit Problemlösungskompetenzen fördern und unterstützen.

B . P.: Frauen machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus und bringen unterschiedliche Erfahrungen, Ideen und Perspektiven in die Technologie ein. Es ist wichtig, dass bei der Entwicklung von KI, die unser tägliches Leben beeinflusst, die Bedürfnisse und Interessen möglichst vieler Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden. Eine gerechtere Vertretung von Frauen in der KI-Entwicklung kann auch sicherstellen, dass ihre Interessen und Bedürfnisse berücksichtigt werden. Darüber hinaus kann die Einbeziehung von Frauen in die KI-Entwicklung auch wirtschaftliche Vorteile bringen. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Studien, die belegen, dass eine diversifizierte Belegschaft bessere Geschäftsergebnisse erzielt. Aufgrund unbewusster Vorurteile, traditioneller Einstellungsmuster und fehlender Diversity-Strategien ist aus heutiger Sicht nicht nur in Österreich, sondern im gesamten MINT-Bereich noch viel Luft nach oben.

Was möchten Sie als neue wissenschaftliche Geschäftsführerin verändern? Wofür brennen Sie?

C. E.-N.: Wenn ich visionär sein darf: Es wäre großartig, wenn einmal über mich gesagt wird, dass ich mein Umfeld inspirieren und motivieren konnte, jeden Tag aufs Neue zu lernen und sich selbst neu zu erfinden, ohne in Aktionismus zu verfallen. Ich möchte damit die Fähigkeit zur Veränderung nach außen und nach innen ansprechen und damit einen Kompetenzerwerb in vielen Richtungen fördern.

B . P.: Meine Hauptmotivation und mein Ansporn in der Hochschulbildung? Menschen beim Denken zu unterstützen. Wenn ich sehe, dass es funktioniert, dass der berühmte „Klick“ im Kopf stattfindet und wenn der Referenzrahmen, den man geerbt hat und als unumstößliche Wahrheit betrachtet hat, widerlegt wird und es zu einem Denktransformationprozess kommt, dann ist es das Schönste für mich.


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