StartInnovationKerstin Wagner im Interview: Mit Daten Berufsbilder der Zukunft finden

Kerstin Wagner im Interview: Mit Daten Berufsbilder der Zukunft finden

Im Jahr 2023 gingen rund eine halbe Million Bewerbungen bei der Deutschen Bahn ein. Kerstin Wagner, Executive Vice President Talent Acquisition, und ihr Team rekrutierten daraus 30.000 Menschen. Im Interview erläutert sie, wie sie und ihr Team den Überblick behalten und wie KI beim Recruiting helfen kann.

Frau Wagner, was macht für Sie Recruiting im Jahr 2024 aus?

Der Arbeitsmarkt ist historisch eng. Wir stehen vor der Herausforderung, das volle Potenzial des Marktes auszuschöpfen. Deshalb müssen wir immer aus der Perspektive des Arbeitsmarkts denken: Welches Potenzial bietet er für ein Berufsbild und was bedeutet das für die Maßnahmen, die ich für eine Stellenbesetzung auf den Weg bringen muss? Dabei ist es wichtig, nicht nur auf die derzeitigen Gegebenheiten zu reagieren, sondern auch vorausschauend zu agieren, um langfristig erfolgreich zu rekrutieren.

Welche Rolle spielen dabei Innovationen?

Innovation ist bei uns von zentraler Bedeutung. Einerseits geht es darum, eine gute Innovationskultur im eigenen Team zu schaffen. Andererseits ist es entscheidend, alle verfügbaren Technologien und KI intelligent einzusetzen. KI unterstützt nicht nur uns bei der Arbeit, sondern auch die Bewerber:innen bei der Suche nach Informationen. Auf unserer Website helfen zum Beispiel Chatbots dabei, rund um die Uhr Fragen von Bewerber:innen zu beantworten. Mit dem Jobkompass bieten wir Schüler:innen einen Weg, um mögliche Ausbildungsberufe basierend auf ihren Interessen zu finden. Analyse-Tools ermöglichen es zukünftig Bewerber:innen, Stellen auf Basis ihres Lebenslaufs und ihren Vorlieben smart und automatisiert zugeordnet zu bekommen. Dort sind dann auch passende Vorschläge dabei, auf die sie sich vielleicht von selbst nicht beworben hätten.

Was machen Sie mit den Daten, die Sie durch diese Kanäle generieren?

Wir haben einen großen Data Lake, der uns hilft, das Thema Analytics voranzutreiben. Mit diesen Daten können wir den Recruiting-Verlauf nicht nur vorausplanen, sondern auch kontinuierlich verbessern. Fragen, die uns dabei beschäftigen, sind zum Beispiel: Wie können wir unsere Beratung noch besser machen? Oder: Ist es überhaupt sinnvoll, auf einem bestimmten Weg an den Markt der Bewerber:innen zu gehen – oder müssen wir ganz anders denken?

Nutzen Sie die gesammelten Daten auch für die Zukunft?

Ja, wir nutzen diese Daten, um die Entwicklung der Berufsbilder der Zukunft vorauszusehen. Wenn wir heute prognostizieren können, in welche Richtung sich ein Job entwickeln wird und welche Skills man dafür braucht, können wir bereits jetzt Anforderungsprofile für Positionen in der Zukunft rekrutieren. Dadurch gelingt es uns, ein wertvolles Portfolio von möglichen Mitarbeiter:innen zu volles Portfolio von möglichen Mitarbeiter:innen zusammenzustellen, die nicht nur den aktuellen Bedarf mit einem bestimmten Skillset abdecken, sondern die in der Lage sind, sich langfristig an die sich verändernden Anforderungen ihres Berufes anzupassen.

Ist Diversity bei Ihnen ein Thema?

Diversity umfasst bei uns alle sieben Dimensionen der Vielfalt – von Geschlecht über sexuelle Orientierung und Hautfarbe bis hin zum Alter. Oft gelten 50-Jährige als schwer vermittelbar, obwohl sie erst mit 67 Jahren in Rente gehen sollen. Bei uns gibt es keine Altersgrenze. Dafür, dass das eine gute Entscheidung ist, haben wir viele positive Beispiele. Wir gehen dieses Thema aktuell mit einer Personalmarketing-Kampagne an und wollen darauf aufmerksam machen, welche Möglichkeiten es bei uns gibt.

Ihr neuestes Projekt im Metaverse erhält sehr gute Resonanz. Was ist der Clou daran?

Viele Bewerber:innen würden einen Job gerne erstmal erleben, bevor sie ihn antreten. Dafür braucht es bei uns keine VR-Brille, sondern nur einen Klick auf unsere Karriereseite. Hier kann man in virtuelle Jobräume eintauchen und sehen, wie es zum Beispiel in der Instandhaltung oder dem Zugverkehrs-Steuerungsumfeld aussieht. Der Rekrutierungsprozess muss attraktiv sein und der heutigen Zeit entsprechen – ähnlich wie Banküberweisungen oder Buchbestellungen, die man auch online tätigt.

Braucht es das persönliche Gespräch überhaupt noch?

Ja, es ist immer noch ein fester Bestandteil des Bewerbungsprozesses. Neben Technologie, KI und Chatbots haben wir Berater:innen für alle Bewerber:innen. Es ist für jene, die sich bewerben, wichtig, sich in das Unternehmen hineinzufühlen. Welche Kultur pflegen wir? Wie ticken wir? Wie gehen wir miteinander um? Dazu braucht es am Ende des Tages den Menschen.

Eine halbe Million Bewerber:innen – wie behält man da den Überblick?

Wir sind ein Team von mehr als 1.000 Kolleginnen und Kollegen an bundesweit 19 Standorten. Die Mitarbeitenden sind spezialisiert auf bestimmte Zielgruppen, auf unterschiedlichste Ansprüche und Ansprachen und immer ganz nah an ihrem Arbeitsmarkt. Wir wissen immer ganz genau, wen wir wo einstellen wollen.

Wie motivieren Sie Ihr Team außerdem?

Indem ich sehr eng mit meinem Leitungskreis arbeite – einmal in der Woche treffen wir uns virtuell anderthalb Stunden lang, schauen auf die aktuellen Zahlen und ob wir im Zielkorridor sind. Einmal pro Monat treffen wir live aufeinander. Das schweißt zusammen und stärkt den Teamgeist. Neben diesen regelmäßigen Meetings führe ich mit neuen Kolleg:innen immer einen Onboarding-Call durch und ermutige sie, neue Ideen einzubringen. Um mich herum sind zahlreiche Expert:innen – natürlich möchte ich diese Brainpower nutzen. Ich gebe meinen Kolleg:innen viel Freiraum und Vertrauen, denn nur so kann Neues und Innovatives entstehen. Wir sind gemeinsam auf einer Lernreise, und ich versuche, regelmäßig neue Impulse zu geben. Auf der einen Seite möchte ich eine Vision für die Zukunft gestalten, auf der anderen Seite so nah am Tagesgeschäft sein, dass ich es gut steuern kann.

Wie schulen Sie aktuelle und neue Kolleg:innen bei der Deutschen Bahn?

Wir haben unsere eigene virtuelle Akademie mit festen Lernzeiten jeden Montagmorgen. Insgesamt bieten wir eine Mischung aus Live-Trainings, On-Demand-Kursen und kleinen Learning-Nuggets an, die man sich zu der Zeit anschauen kann, die einem passt. Dazu kommen Pflichtschulungen, die grundlegendes Wissen und Fähigkeiten oder relevante Neuerungen vermitteln. Aber auch voneinander zu lernen ist ein Teil davon, wie wir gemeinsam wachsen.


Zur Person:

Kerstin Wagner verantwortet seit 2012 als Executive VP Talent Acquisition bei der Deutschen Bahn die globale Employer Branding- und Recruiting-Strategie und alle Talent-Acquisition-Aktivitäten in Deutschland. Zudem leitet sie die Zeitarbeitssparte des Konzerns. 2019 wurde sie vom Personalmagazin zur Top 40 HR Leader und 2021 von Focus zu einer der 100 Frauen des Jahres gekürt. Bevor sie zur Deutschen Bahn wechselte, war sie für Siemens tätig.

Fotomaterial(c) MARIO ANDREYA

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