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Jede Geste zählt

Erlebnisqualität entscheidet heute darüber, wie Gäste einen Hotelbetrieb beurteilen. Über den täglichen Spagat beim Service, motivierende Arbeitsmodelle und neue Berufsbilder in der Hotellerie sprach shetravel-Expertin Angelica Freyler mit Hotelière Edeltraud Sperr.

Wir sitzen an einem schweren Holztisch in der Küche in einem der alpinen Chalets in Leogang mit herrlichem Ausblick auf die Berge. Edeltraud Sperr bespricht noch die letzten Vorbereitungen zur Anreise neuer Gäste mit ihrem Team, auch das Telefon steht nicht still. Bemerkenswert ruhig, freundlich und ohne Hektik geht sie an die Sache heran. „Es macht mir nach gut 25 Jahren im Hotelbusiness immer noch Spaß“, lacht die quirlige und sympathische Gastgeberin.

„Es geht einfach darum, gemeinsam mit unserem Team den Gästen immer wieder aufs Neue etwas Besonderes zu bieten. Etwas, was sie vielleicht trotz aller Reiseerfahrung in 5*-Häusern nicht erwarten, sie überrascht oder ganz besonders freut. Das motiviert mich nach all den Jahren immer noch“. Diesen ausgeprägten Servicegedanken als höchste Prämisse sieht Sperr auch als Kernfaktor für den kontinuierlichen Erfolg, gerade in instabilen touristischen Zeiten wie diesen.

„Darauf ist bei uns alles aufgebaut – angepasst jeweils an die Struktur unserer Betriebe und an die Erwartungen der Gäste. All unsere Entscheidungen basieren darauf, ob es den Servicegedanken unterstützt. Um das umsetzen zu können, sind vier Dinge besonders wichtig: eine perfekte Organisation der Abläufe, praxisnahe Führung auf Augenhöhe, gute und immer wieder neue Ideen und ein Team, das genauso denkt wie wir. Das ist unser Weg, um uns von anderen Betrieben abzuheben. Ein schönes Haus, schöne Zimmer, das haben viele – aber die Erlebnisqualität macht es aus, wie gut oder schlecht man uns in Erinnerung behält“, ist Edeltraud Sperr überzeugt.

Senhoog Luxus-Chalets in Leogang: Privatsphäre mit 5*-Service.

Jeden individuell motivieren

Auf die Frage, wie sich so ein Service-Konzept realistisch in Zeiten von Personalmangel gleich in drei verschiedenen Unternehmen und Gästegruppen umsetzen lässt, antwortet Edeltraud Sperr: „Das ist tatsächlich ein täglicher und oftmals sehr herausfordernder Drahtseilakt. An manchen Tagen sehne ich mich nach einem Selfservice-Hotel! (lacht). Aber am Ende lohnt es sich. Wir arbeiten einfach selbst gerne ‚am Gast‘ und am liebsten im Team. Wir mögen den Austausch auf Augenhöhe, das Voneinander-Lernen, und wir schätzen gute Ideen und eigenverantwortliche Jobgestaltung sehr. Eine wichtige Aufgabe ist es, das Team und jede/n Einzelne/n gleichermaßen zu motivieren, auch in ihnen den Service-Enthusiasten zu wecken. Für uns liegt das Geheimnis daher in einem großen Miteinander und der individuellen Förderung und Forderung. Natürlich ist die Personalsuche so zu einer der größten Challenges geworden. Ich glaube, man muss den Mitarbeiter:innen in der Hotellerie ebenso die Möglichkeit geben, sich selbst zu verwirklichen, so wie es andere Branchen auch tun. Und wegkommen von den starren Jobbeschreibungen, die einengen. Die eigenverantwortliche Serviceorientierung gibt für jeden Teilbereich Anreize – von der Rezeption bis zum Housekeeping. Bei uns im Hotel haben wir dadurch auch einen großen Anteil an Mitarbeiter:innen, die schon sehr lange bei uns sind. Für unsere beiden Ferienhauskonzepte haben wir neue Arbeitsmodelle, ja sogar fast neue Berufsbilder geschaffen, um unseren Vorstellungen gerecht zu werden“.

Service ist nicht gleich Service

„Im Hotel sind unsere Abläufe alle präzise standardisiert, die den Rahmen vorgeben, in dem wir uns im Rundumservice für unsere Businessgäste und Veranstaltungen bewegen können und die es auch möglich machen, dass unser Team den Fokus auf die Servicequalität richten kann. Wir wollten aber gerne noch etwas anderes machen, mit mehr Individualität und neuen Herausforderungen in der Gästebetreuung. Inspiriert haben wir uns quasi selbst“, lacht die ideenreiche Gastgeberin.

„Wenn mein Mann und ich auf Reisen gehen, ist unsere Vorstellung von Urlaub kurz gesagt: Alles können, nichts müssen, frei sein und sicher sein, alles ist da, was man braucht. Und das in einem Ambiente, das nicht nur dem Auge guttut und kreative Akzente setzt, sondern auch gemütlich und praktisch ist, mit genug Platz für Kind und Kegel und unsere Hunde. Ein Pool ohne Publikum, gute Gespräche, ohne auf die Uhr sehen zu müssen, kein Barmann, der gerne schließen möchte. Das ist genau die Art, wie wir am liebsten ausspannen. Da hat uns die Idee nicht mehr losgelassen, solche Locations selbst zu kreieren, verbunden mit individuellen Serviceangeboten – als Pedant zu unserem Business-Hotel. So sind unsere Senhoog-Ferienhäuser auf Sylt für Familien gedacht, die Privatsphäre schätzen und einen hohen Anspruch ans Ambiente haben, sich aber am liebsten selbst versorgen und kleine, feine Service-Annehmlichkeiten und Housekeeping erwarten. Auf Grund der Distanz von gut 800 km zu unserem Rössle-Hotel in Stimpfach-Rechenberg bei Stuttgart wird das von einer Hausdame vor Ort übernommen, die die Häuser pflegt und bei Bedarf auch unsere Gäste betreut.“

Individuelle Betreuung: „Wunsch-Erfüller“ gehen auf jeden Gast einzeln ein.

 

Meisterklasse anstreben

Bei den beiden Chalets in Leogang hingegen wird auf ein Konzept vollkommener Privatsphäre, luxuriöser Ausstattung mit Private Spa und Private Pool in Kombination mit einem Service gesetzt, der mit dem eines Fünf-Sterne-Hotels vergleichbar ist, nur noch persönlicher.

„Wir haben am Anfang viel getüftelt, wie wir diese Erwartungen auch tatsächlich erfüllen können, so wie wir uns das am Papier vorgestellt haben. Im Gegensatz zum Hotelbetrieb heißt das, wenige standardisierte Prozesse und hohe Flexibilität. Der Gast hier hat keine ‚Regeln‘ wie im Hotel mit Öffnungszeiten oder anderen Standards, die für die effiziente Hotelführung nötig sind, sondern gestaltet seinen Servicebedarf selbst. Zunächst haben wir die Betreuung übernommen, um zu sehen, was alles nötig ist, und vor allem auch, um zu spüren, wie die Gäste reagieren, was sie schätzen, brauchen oder was noch fehlt. So haben wir nach und nach eine Position mit einem Arbeitsmodell geschaffen, die es in der klassischen Hotellerie eigentlich gar nicht gibt: den Chalet-Gastgeber – oder auch Wunsch-Erfüller genannt, der auf die Wünsche der Gäste individuell eingeht. Man ist Repräsentant:in, Köch:in, Sommelièr/e, im Service, Concierge und Urlaubsberater:in in einer Person. Einzig das Housekeeping wird von einem eigenen Team übernommen“, erzählt Sperr.

Ein neues Arbeitsmodell

Mit diesem Konzept wird das Personal starker Teil der Marke und auch des Urlaubserlebnisses, eine Gratwanderung in der Mitarbeiterführung und im Marketing. „Umso wichtiger ist es, dass der Servicegedanke hier durch und durch, aber auch ganz flexibel gelebt wird und nicht nur beschränkt auf einen Teilbereich, wie es im Hotelbetrieb üblich ist. Um diesen Anspruch gerecht zu werden, haben wir hierzu auch ein besonderes Arbeitsmodell entwickelt. Unsere Gastgeber:innen arbeiten 7 Tage die Woche und haben dann 7 Tage frei. Dazu erhalten sie eine Provision, wenn ‚ihr‘ Gast erneut bucht. Dieses Jobprofil hat auch für unser Hotelteam Vorteile. Wir senden regelmäßig Mitarbeiter:innen nach Leogang für ein Praktikum. Das dort vorgelebte Serviceverständnis unterstützt dann im Job im Hotel – bereichsübergreifend.“

Bei einer so hohen Verantwortung für die Gästezufriedenheit, noch dazu an einem anderen Standort, ist aber auch engmaschige Kontrolle gefragt. „Es ist eine Frage der Balance aus motivierender Führung und Kontrolle auf Augenhöhe. Ich selbst fahre nach wie vor alle vier Wochen für eine Woche nach Leogang, um vor Ort Dinge zu besprechen, selbst mitzuarbeiten, aber auch um zu sehen, ob für unsere Gastgeber:innen alles passt und sie sich wohlfühlen. Die Routine sieht so aus: Der/die Gastgeber:in vor Ort erstellt einen Tagesbericht mit Details und Wünschen der Gäste. Beim einem täglichen Skype Call wird alles Wichtige besprochen und abgestimmt. So sichern wir die Qualität und die Individualität und können die Häuser flexibel steuern und führen. Dazu kommt, dass wir mit jedem Gast eine Whats App-Gruppe einrichten, in der Wünsche deponiert oder Vereinbarungen, Abholtermine, Bestellungen usw. ausgetauscht werden. So sind wir immer über alles informiert und haben immer Verbindung zum Gast, auch wenn wir persönlich nicht immer vor Ort sein können“.

Ein persönlicher Balanceakt

Die intensive Arbeit mit Menschen und verschiedenen Teams kann deutlich an persönlichen Ressourcen zehren. Dazu meint Edeltraud Sperr: „Es ist manchmal sehr energieraubend, wenn man sich als Dienstleister:in gegenüber Gästen, aber auch gegenüber dem Team versteht und dabei noch einen Betrieb wirtschaftlich führen soll. Man ist auch emotional involviert, und da fällt es manchmal schwer, sich abzugrenzen. Mein Mann ist von Natur aus kommunikativer und tut sich hier leichter, ich brauche dann schon immer wieder Abstand. Ich mache gerne Yoga, dabei kann ich Kraft tanken.

Natürlich ist unser Alltag oftmals stressig, und vieles muss gleichzeitig passieren. Um das zu bewältigen, tun wir einiges für unsere Work Life Balance: Wir bauen täglich etwas in unseren Tag ein, was uns guttut und machen mindestens 8 Wochen Urlaub im Jahr. Hier ist unser Hotel geschlossen. Wir nehmen uns dann bewusst Zeit für uns und für die Familie. Ich habe den Eindruck, wir leben auf diese Art besonders intensiv. Das Schöne an der Vielfalt unserer Tätigkeit ist: man kann gestalten und lernt immer wieder neue Leute kennen, auf die man sich einstellen kann. Das macht einfach Spaß!

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