Gerade komme ich von einem virtuellen Ausflug auf die Innovatoren-Insel „Exo One“* zurück, wo der Erfinder und Künstler Dhairya Dand via Zoom höchst eindrucksvoll einige seiner Arbeiten präsentierte. Das Modell, das mich am stärksten berührte, war sein Roboter „Kissinger“, der nichts mit dem berühmten Henry Kissinger – ehemaliger US-Außenminister, Politikwissenschafter und Nobelpreisträger – zu tun hat, sondern eine Kugel in Gesichtsgröße ist, die sich zwischen die Hände nehmen lässt und mit Lippen ausgestattet ist, die so rot, voll und hübsch sind wie die von Wilma Flintstone.
Kissinger sieht definitiv nicht wie ein Sextoy aus, sondern wie etwas zum Liebhaben. Entstanden ist es aus einer ganz romantischen Idee heraus, nämlich als Dhairya und seine Freundin wegen ihrer Jobs auseinandergerissen wurden und sich monatelang nur mehr via Bildschirm treffen konnten. Weil die Abschiede immer so traurig-nüchtern waren, entwickelte Dhairya einen kleinen Roboter zum Küssen, über den er und seine Freundin für einen kurzen Moment körperliche Vertrautheit herstellen konnten.
Kissinger ist also ein Kopfwort, das sich aus „Kissing“ und „Messenger“ zusammensetzt. Der kleine Roboter hat nichts Anrüchiges an sich und obwohl seine Lippen weiblich geformt sind, assoziiert man ihn nicht mit sexueller Objekthaftigkeit oder Herabwürdigung. Das hat vor allem mit seiner Namensgebung zu tun. Würde Kissinger etwa in „Chantal“ oder „Emanuelle“ umgetauft, wäre die Sache schon anders.
Während ich mir also diese herzzerreißende Geschichte anhöre, fällt mir eine Zeitungmeldung der vergangenen Woche ein: Die Story von „Franziska“, deren ursprünglicher Name eigentlich „LeoMop“ ist. Franziska ist ab nun als Putzroboter in einem der schönsten und modernsten Fitnesscenter Wiens im Einsatz; wurde groß vermeldet in zahlreichen Medien. Auch ein Münchener Krankenhaus kooperiert schon seit Längerem mit ihr.
Warum es zu dieser – wie ich meine, sehr plumpen – Namensänderung kommen musste, ist mir schleierhaft (zumal Roboter meist Akronyme haben). Wer einen Blick in große Putzfirmen wirft, sieht dass der Anteil der beschäftigten Männer seit Jahren kontinuierlich ansteigt. Lag der Anteil der Herren bei den Reinigungskräften noch 2013 bei etwa 25 Prozent, ist dieser mittlerweile auf 33 Prozent gewachsen. Das ist immer noch eine Minderheit – zeigt jedoch eine Tendenz an, die viel mit der Digitalisierung der Arbeitswelt zu tun hat, weil diese immer weniger Jobs für Schlechtqualifizierte bereithält. Somit müssen auch immer mehr Männer putzen. Warum also „LeoMop“ in „Franziska“ umtaufen?
Adolf Loos, weltberühmter Architekt und in seiner Epoche gewiss ein Futurist, schrieb bereits 1908: „Der moderne Mensch, der Mensch mit den modernen Nerven, braucht das Ornament nicht, er verabscheut es“. An dieser Wahrheit hat sich bis heute nichts geändert. „Franziska“ aber ist Ornament. Genauso wie es „Chantal“ oder „Emanuelle“ anstelle von „Kissinger“ wäre. Einem modernen Unternehmen, das die Zeichen der Zeit erkennt, würde so ein Faux-Pas nicht unterlaufen. Denn auch wenn in jeder Innovation viel Show-Potenzial liegt, bedeutet nicht jede Show Innovation.
*The online-community of leading coaches, business consultants and mentors: https://www.exo-one.club