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Herz statt Faust

Abstand und Aggression: Einige Gedanken des Psychhotherapeuten Dr. Thomas Köhler zu unseren neuen Umgangsformen.

Eine psychologische Binsenweisheit: Während der Pandemie hat sich zwar nicht alles, aber doch vieles verändert. Plastisch wird das bei den Symbolen, mit denen wir einander begegnen. So war es vor der Pandemie gang und gäbe, einander Hand zu geben. Das war nicht nur privat so. Auch im Beruf signalisierten wir damit, ein Gespräch zu beginnen oder ein Geschäft zu besiegeln.

Apropos: Erinnern Sie sich noch, was Ihnen dabei ein weicher oder harter Handschlag bedeutete oder wie Sie vom weichen oder harten Druck – zu Recht oder zu Unrecht bzw. bewusst oder unbewusst – auf den Charakter Ihres Gegenübers schlossen? Im Zeitraum heutiger Distanz: tempi passati! Inzwischen hat der Handschlag nämlich fast schon ausgedient. Es ist nicht schön, aber wahr: Faust und Ellenbogen haben ihn ersetzt.

Dass wir einander nicht mehr die Hand geben, sondern die Faust, hat seine berechtigten Gründe. Solange die Pandemie andauert, wird es so bleiben. Das ist der nötigen Hygiene geschuldet. Der positiven Seite, dem Schutz vor Ansteckung, steht aber eine negative gegenüber, der Wandel der Symbole. Denn zweifellos bedeuten Faust und Ellenbogen nicht nur etwas Physisches, sondern auch etwas Psychisches.

In der Sprache der Diagnostik und Therapie: Sie machen etwas mit uns, äußerlich wie innerlich. Denn es ist nicht das Gleiche für unseren Körper und für unsere Seele, ob wir einander Hände reichen oder Fäuste zeigen. Es ergeben sich ganz andere Bilder für unser Gegenüber und uns selbst, es entstehen ganz andere Zeichen, wir senden ganz andere Signale nach außen wie nach innen.

Was verbinden zum Beispiel Sie mit einer gedrückten Hand oder mit einer geballten Faust? Haben wir nicht ein komisches Gefühl oder kommt uns nicht ein skeptischer Gedanke, wenn wir in Alten oder Neuen Medien sehen, wie auf der „Bühne“ der Politik nun „gegrüßt“ wird? Wie Business in „economy“ und Charity in „society“ nun „gefeiert“ werden? Wie die unfreundliche Geste mehr und mehr an die Stelle der freundlichen tritt?

Wie gesagt, die mit der Faust assoziierte Distanz hat ihren sanitären Zweck. Wer sagt aber, dass es wirklich bei der Faust, einem eher männlich konnotierten Symbol, bleiben soll? Dass sie nicht mit einem Griff aufs Herz, einem eher weiblich konnotierten Symbol, ersetzt werden kann? Ja, wäre es nicht überhaupt sinnvoller, auf die aggressive Faust zu verzichten und lieber aufs sensible Herz zu setzen?

Die Begründer der drei Wiener Schulen der Psychotherapie, Sigmund Freud, Alfred Adler und Viktor Frankl, die sich alle mit Phänomenen bewusster und unbewusster Gewalt auseinandergesetzt haben, würden das sicher begrüßen. Es wäre sinnvoll und gäbe der Pandemie nachhaltig eine Wende zum Besseren.

Setzen wir also ein solches Signal und haben wir Courage dazu – denn sie kommt von „Herzen“.

 

Dr. Thomas Köhler arbeitet Psychotherapeut (Existenzanalyse und Logotherapie: www.lebenmitsinn.at) in Wien

 

Dr. Thomas Köhler arbeitet als Psychotherapeut (Existenzanalyse und Logotherapie: www.lebenmitsinn.at) in Wien

 

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