Die Unterführung am späten Abend – eine gute Idee? Laufe ich am frühen Morgen durch den Park, wenn es noch dunkel ist? Diese Gedanken sind Männern meist fremd, während Frauen in solchen „Angsträumen“ ihren Schlüsselbund in den Händen halten, um ihn als Waffe nutzen zu können. Sicherheit ist eines der zentralen Themen, die Städte in Zukunft lösen müssen. Im Jahr 2030 werden 2,5 Milliarden Frauen in Städten leben und arbeiten. In Städten, die in den meisten Fällen von Männern geplant und gebaut wurden. Zwei Drittel der Frauen fühlen sich nachts im öffentlichen Raum unsicher, zeigte das deutsche Bundeskriminalamt 2024. Dabei ist Sicherheit mehr als nur ein technisches oder polizeiliches Thema. Sie betrifft Fragen von Teilhabe, Freiheit und Gerechtigkeit und hat wirtschaftliche Relevanz, nicht nur für Schichtarbeiterinnen und Pflegekräfte.
Die tägliche Realität von Frauen, die neben ihrem Beruf einen Großteil der Care-Aufgaben bewältigen, trifft auch jenseits von Angsträumen auf eine männlich gedachte, auf Pendler ausgelegte Infrastruktur. Die so genannten Multistopps mit Stationen wie Kita, Büro und Einkauf würden in der Stadt und auf dem Land nicht ausreichend unterstützt, sagt Bau- unternehmerin Melanie Hammer, die den weiblichen Fokus zu ihrem USP gemacht hat. „Weibliche Planung“ heißt dabei für Hammer: Wegeketten ernst nehmen, Sichtbarkeit und Licht priorisieren, kurze Wege und intuitive Orientierung schaffen. Erdgeschosse sollen aktiv sein, Höfe durchlässig, Aufgänge sicher und einladend. Ihr Credo: Form follows Emotion.
Helle Søholts
berät mit „Gehl People“ internationale Metropolen.
Wenn Reisende von Kopenhagen schwärmen, ist das auch Helle Søholts Verdienst. Sie ist Mitbegründerin und CEO von „Gehl”, einem der weltweit führenden Beratungsunternehmen für Stadtplanung. Seit 25 Jahren leitet die Architektin die Firma, die sie ursprünglich mit Kollege Jan Gehl gegründet hatte, um das Leitbild des Unternehmens „Städte für Menschen“ weltweit in messbare Praxis umzusetzen. Kopenhagen ist eines der preisgekrönten Beispiele in ihrem Portfolio von Städten mit menschlichem Fokus.
Ein Indikator: Wie gern gehen die Menschen zu Fuß? Vor diesem Hintergrund verbesserte „Gehl People“ auch die Sicherheit und Lebensqualität am Flussufer in Shanghai: Seit 2014 wurde ein 42 Kilometer langer Abschnitt von einem Industriegebiet in eine durchgehende, beleuchtete Promenade mit Bäumen, Brücken, Radwegen, Gehwegen und belebten Erdgeschossen verwandelt. Heute zeigt Søholt, die mittlerweile unter anderem für 120 Mitarbeiter in Dänemark und den USA verantwortlich ist, wie Design mit Digitalisierung kombiniert werden kann: In Kopenhagen wurden Google Street View-Autos mit CO2-Sensoren ausgestattet und gleichzeitig die Wege und Aufenthalte von Kindern und Jugendlichen im öffentlichen Raum aufgezeichnet. Das Team nutzt die Schnittmenge beider Datensätze, um ideale Standorte für Spielplätze zu ermitteln.
»Die Sicherheit von Frauen hat wirtschaftliche Relevanz.
„Plane alltagsorientiert“ ist einer von Eva Kails Grundsätzen. Denn wer Wege, Zeiten und Bedürfnisse von Frauen ernst nehme, schaffe eine Stadt, die für alle besser funktioniere. Diese Sicht teilt auch Helle Søholt, die mit Jan Gehl und dem preisgekrönten Büro „Gehl People” in ihren weltweiten Projekten die Bedürfnisse der Menschen in den Vordergrund stellt. „Damit Städte lebenswert, lebendig, gesund und nachhaltig sind, müssen sie auf Frauen eingehen. Städte, die inklusiv und für Frauen gestaltet sind, sind natürlich auch Orte für Kinder und Familien. Nur wenn wir Städte mit einer fürsorglichen und mensch- lichen Umgebung gestalten, können wir Lebensqualität für alle gewährleisten“, so die Dänin. Søholts Indikator dabei: Wie gern sind Menschen zu Fuß unterwegs? „Die Schaffung hochwertiger öffentlicher Räume hat den größten Einfluss auf das tägliche Leben der Menschen. Straßen, Parks und Spielplätze bilden die Knoten, Zufluchtsorte und Treff- punkte, die jede Stadt braucht, um nicht nur die physische, sondern auch die soziale Infrastruktur zu unterstützen. Öffentliche Räume sind weitaus kostengünstiger als jedes Gebäude oder jede Autobahn, und durch Investitionen in das, was allen gemeinsam gehört, kann jede*r Einzelne profitieren.
Eva Kail
ist sowas wie die Alice Schwarzer des Städtebaus.
„Ich war immer die ,Grüntante‘ bei Städtebaulichen Verfahren“, sagt Eva Kail rückblickend mit einem Lächeln. Sie hat Wien und insbesondere die Seestadt Aspern mitgeprägt, wie kaum eine andere Planerin. Kail, die zum Beginn ihrer Karriere als TU-Absolventin und Technikerin als Erste das Frauenbüro der Stadt leitete, koordinierte in ihrer Laufbahn mehr als 60 gendersensible Pilotprojekte im Bereich Wohn- und Städtebau, Mobilität sowie Gestaltung öffentlicher Räume. „Wer Wege, Zeiten und Bedürfnisse von Frauen ernst nimmt, schafft eine Stadt, die für alle besser funktioniert“, sagt sie.
Inspiriert von historischen Vorbildern, Ausstellungen und anderen Vorreiterinnen machte sie sich – beharrlich und empathisch zugleich – in Wien auf den Weg, die Stadt aus feministischer Sicht zu verbessern. Unter anderem mit der Wohnanlage „Frauen-Werk-Stadt“ oder dem Ansatz, Block- und Grünstrukturen im Städtebau zuerst zu denken, denn: „Hier werden die Rahmenbedingungen für Qualität geschaffen.“ Besonders setzte sie sich für die geschlechtssensible Parkgestaltung ein. „Die ist heute gelebte Mainstream- Politik, auch in anderen Städten“, freut sich die Expertin, die als eine der führenden europäischen Stimmen des Gender Planning weiter auf internatio- naler Ebene als Beraterin und Vortragende tätig ist.
Melanie Hammer
denkt als Bauträgerin verschiedenste Frauenrollen mit.
„Als Frau in einer männerdominierten Branche fällt mir auf, dass meine Perspektive auf Stadt und Lebensräume eine andere ist“, sagt Melanie Hammer, Architektin und Geschäftsführende Gesellschafterin im Bereich Projektentwicklung der BHB Unter- nehmensgruppe. 2014 übernahm sie die Leitung des Bauträgers nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters – eine Ausnahme in der Münchner Immo-bilienwirtschaft. Wohnungsbau ganzheitlich und aus weiblicher Perspektive zu sehen, das hat Ham- mer inzwischen erfolgreich zum USP gemacht.
Ihr Kompass: Form follows Emotion. Sie denkt Quartiere vom Alltag aus, nimmt in Planung und Entwicklung verschiedene Perspektiven ein – die der Unternehmerin, aber auch die von Seniorinnen und Müttern. Daraus entstehen neue Konzepte für Wegeketten, Sicherheit, Licht und Orientierung, ebenso für Mobilität und Wohngesundheit durch neue Materialien und Bewegungskonzepte. Dabei denkt und handelt sie pragmatisch, wie im „Futuria“-Projekt: Zum Schutz vor Insekten sollte weniger Beleuchtung eingesetzt werden – ihre Lösung: Platten, die tagsüber das Licht sammeln und es abends für einen sicheren Heimweg abgeben. Ganz nach dem „Genius Loci“, dem gesamtheitlichen Konzept aus Architektur, Design sowie Landschaftsarchitektur und Kunst.
»Städte für Frauen zu denken, heißt, sie für alle besser zu machen.
Darauf setzt auch die „Partitur des öffentlichen Raums“, das Planungshandbuch von „Gehl” für die Seestadt Aspern, das von der Entwicklungsgesellschaft „Wien 3420“ umgesetzt wird. Es baut auf der Idee von vier Saiten eines Musikinstruments auf, deren Zusammenspiel einen „Wohlklang“ des öffentlichen Raums und somit einer Stadt erzeugen. Der See und der zentrale Park bilden etwa gemeinsam die „Blaue Saite”, die vor allem von den Qualitäten des Wassers profitiert. Bis 2027 soll die „Grüne Saite“ an den Start gehen.
Erfreulich-Fortschrittliches tut sich auch in Paris: Bei städtischen und sozialen Innovationen nutzt Bürgermeisterin Anne Hidalgo seit ihrem Amtsantritt ihren Einfluss. Sie treibt die Verkehrswende voran, schafft neue Räume für Fahrräder und Grünanlagen. Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz sollen zu- dem für mehr Sicherheit sorgen – um etwa verdächtige Muster und potenzielle Bedrohungen in Echtzeit zu erkennen.
Die Österreichische Immobiliengesellschaft BUWOG fasst in ihrer Arbeit noch einen weiteren drängenden Sicherheitsaspekt auf und adressiert – auch aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie heraus – häusliche Gewalt in ihren Beständen. Mit Aushängen und konkreten Informations- und Hilfsangeboten will das Unternehmen Bewohner*innen für das Thema sensibilisieren und dazu ermutigen, im Ernstfall aktiv zu werden. Dafür arbeitet die BUWOG mit der Organisation SToP (Stadtteile ohne Partnergewalt) zusammen. Als eine neue Herausforderung, so Eva Kail, gelte zudem eine bessere Orientierung für Menschen mit Demenz. Um zu beurteilen, wie weit eine Stadt oder ein Quartier mit den Maßnahmen für mehr Aufenthaltsqualität und Sicherheit schon gekommen sei, empfiehlt Eva Kail ihren persönlichen Gradmesser: „Ab wann laufen Kinder angstfrei und allein durch ihr Viertel?“
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