Der Schutz der Natur ist für die Wirtschaftsökologin Sigrid Stagl viel mehr als eine wissenschaftliche Disziplin. Er ist Lebensaufgabe und das Thema, das ihr ganzes Denken und Handeln bestimmt.
Aufgewachsen auf einem Bauernhof im niederösterreichischen Waldviertel, studierte sie Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und bekam als weltweit erste Person ein Doktorat in Ökologischer Ökonomie am Rensselaer Polytechnic Institute (RPI) in New York. Die 56-Jährige, mittlerweile Professorin am Department für Sozioökonomie der WU Wien und Gründerin des Institute for Ecological Economics, ist eine der führenden Expertinnen ihrer Branche. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen nachhaltiges Arbeiten, ökologische Makroökonomie und sozioökonomische Theorien des Handelns, mit Fokus auf Energie und Nahrungsmittel.
Für ihr Engagement wurde sie kürzlich in Österreich zur Wissenschaftlerin des Jahres 2024 ausgezeichnet. Sie ist sich sicher: Klimaschutz ist weder ein Luxus noch eine Frage der Ideologie – sondern der einzige Weg, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.
Frau Stagl, Nachhaltigkeit und Wirtschaft – zwei Themen, die nicht immer leicht miteinander vereinbar sind. Was hat Sie motiviert, sich mit ökologischer Ökonomie zu beschäftigen?
Ich habe mich während meines Diplomstudiums für Entwicklungsökonomie interessiert. Doch schon Mitte der 90er-Jahrewurde klar, dass Umweltfragen zentral für nachhaltige Entwicklung sind und dass diejenigen, die am wenigsten zu Umweltkrisen beitragen, mitunter am stärksten davon betroffen sind. Über John Gowdy, einen amerikanischen Gastprofessor in Wien, bin ich dann zum ersten Doktoratsprogramm in den USA gekommen, das sich mit ökologischer Ökonomie befasst hat. Ich war sofort vom Thema und der Pionieratmosphäre begeistert.
Warum ist eine nachhaltige Wirtschaft für Sie keine Option, sondern ein Muss?
Nachhaltigkeit ist essenziell für wirtschaftlichen Erfolg. Denn langfristig verursachen Umweltzerstörung und Klimakrisen hohe Kosten. Deshalb ist es klug, vorausschauend und rational zu agieren. Und wenn man sich aktuelle wissenschaftliche Klimaanalysen ansieht, kann einem wirklich schlecht werden – denn die Ergebnisse waren zuletzt noch schlechter als befürchtet.
Was sind die wichtigsten Maßnahmen?
Es müssen unter anderem Infrastrukturen geschaffen werden, die es jedem und jeder Einzelnen ermöglichen, klimafreundlich zu handeln. Von einem breiten Radwegenetz über öffentliche Verkehrsmittel bis hin zu Mobilitätsdiensten wie Sammeltaxis im ländlichen Raum. Kohlenstoffbepreisung und Innovationsförderung sind ebenfalls notwendige Maßnahmen. Doch auch die Veränderung der sozialen Normen ist essenziell: Ist es cooler, nach Norwegen zu fliegen oder mit dem Zug dorthin zu fahren? Wenn wir all das berücksichtigen und umsetzen, kann es gelingen, dass wir im Rahmen des Pariser Klimaabkommens erfolgreich wirtschaften.
Wie bewerten Sie politische Entscheidungen, die Klimaschutzmaßnahmen zurückschrauben?
Der Rückzug von Klimaschutzmaßnahmen ist nicht nur wirtschaftlich riskant, er ist auch wissenschaftsfeindlich. Denn 97 Prozent der Klimawissenschaftler*innen sind sich vollkommen einig, in welche Richtung es gehen muss. Die Ignoranz dieser Maßnahmen ist nicht nur fahrlässig und dumm – sie gefährdet langfristig auch den Wirtschaftsstandort Europa.
Welche Rolle spielen große Unternehmen in der nachhaltigen Transformation?
Eine große, denn man kann nicht nur von Einzelpersonen verlangen, sich nachhaltig zu verhalten oder erwarten, dass es der Staat schon richten wird. Viele österreichische Unternehmen sind international führend bei nachhaltigem Bauen und Erneuerbaren Energien. Diese Stärken müssen im öffentlichen Diskurs noch mehr hervorgehoben werden, da wir unser eigenes Potenzial immer noch ein bisschen schlecht reden. Immerhin haben Unternehmen eine zentrale Rolle, um durch Innovationen und nachhaltige Produktionsmethoden die Transformation voranzutreiben. Aber gerade Industrieunternehmen klagen über hohe Umweltauflagen …
Man muss den Unternehmen genau zuhören. Das Problem sind nicht die Auflagen selbst, sondern ungleiche globale Wettbewerbsbedingungen. Wenn die Mitbewerber nur in Europa sind, kann man sich in Sachen Umweltschutzauflagen leichter absprechen – mit den USA und China wird das schon schwieriger. Wir haben China lange als Land der billig produzierten Produkte gesehen, doch in China hat sich viel getan: Es kommen von dort immer mehr innovative Produkte, die mit westlichen Produkten durchaus mithalten können, etwa im E-Auto-Bereich oder bei Künstlicher Intelligenz. Europa muss eine eigene Strategie entwickeln, die nicht USA oder China kopiert, sondern auf den eigenen Stärken aufbaut.
Welche Chancen – aber auch Risiken – birgt Künstliche Intelligenz für nachhaltiges Wirtschaften?
KI kann zur Nachhaltigkeit beitragen, zum Beispiel durch intelligente Mobilitätsplattformen, die Verkehrsströme und Fortbewegung effizienter steuern. Oder durch selbstfahrende Fahrzeuge, aber auch als Unterstützung in Forschung und Wissenschaft. Gleichzeitig ist der hohe Energieverbrauch von Rechenzentren wie ChatGPT problematisch. Eine Abfrage bei ChatGPT etwa produziert 17-mal so viele CO2-Emissionen wie eine Abfrage bei Google. Das ist eine enorme Umweltbelastung, die wir nicht ignorieren dürfen. Hier braucht es nachhaltige Lösungen.
Welche Rolle spielt Bildung in der nachhaltigen Transformation?
Engagierte Lehrende leisten großartige Arbeit, doch nachhaltige Bildung sollte flächendeckend in den Lehrplan integriert werden. Gleichzeitig dürfen nicht nur junge Menschen Verantwortung tragen – auch die heutigen Entscheidungsträger*innen müssen handeln, um die Transformation voranzutreiben.
Welche Themen stehen in Ihrer zukünftigen Forschung im Fokus?
Ich werde weiterhin zu Energie und Nahrungsmitteln forschen und mich darauf konzentrieren, systemische Lösungen durch eine lebensweltliche Perspektive zu ergänzen. Klimaschutz allein mobilisiert nicht alle Menschen – daher sollten Lösungen an den Bedürfnissen der Menschen ansetzen.
Was ist Ihr Fazit zur nachhaltigen Wirtschaft?
Nachhaltige Wirtschaft ist nicht nur möglich, sondern notwendig. Mit den richtigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann Europa eine Vorreiterrolle einnehmen und sowohl wirtschaftliche Entwicklung als auch Umweltschutz sichern.