StartBalanceDie Reisebranche im Umbruch: Auf ein Wort mit Petra Hedorfer

Die Reisebranche im Umbruch: Auf ein Wort mit Petra Hedorfer

Sie gilt als die Baumeisterin der „Erfolgsgeschichte Deutschlandtourismus“. Petra Hedorfer ist seit 2003 als Vorsitzende des Vorstands der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) das Gesicht der Branche im Ausland, ist die Top-Werberin für Reisen nach Deutschland. Erst im März dieses Jahres wurde ihr Vertrag bis 2026 verlängert. Petra Hedorfer hat die DZT zweifellos in eine neue Ära geführt. Doch so groß ihre Erfolge in den vergangenen Jahren mit kontinuierlichen Steigerungen der ausländischen Gäste von Jahr zu Jahr – so groß sind die Herausforderungen, die jetzt vor der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin liegen: das Reiseland durch die Corona-Krise zu navigieren.

Frau Hedorfer – rückblickend auf die vergangenen Monate: was würden Sie heute als die größte Enttäuschung bezeichnen?

Enttäuschung ist ein großes Wort – wir haben die größte Herausforderung erlebt, die die Tourismusbranche jemals zu bewältigen hatte. Auch wenn viele Branchenteilnehmer noch auf Jahre hinaus unter den Folgen leiden oder ihr Business eventuell sogar noch verlieren werden, finde ich es wichtig hervorzuheben, mit welch großem Engagement und Herzblut die Unternehmer und die Mitarbeiter in dieser Pandemie gekämpft haben.

Und dies ist vor dem Hintergrund der zahlreichen Veränderungen mit mehreren Schließungen und komplexen Verordnungen umso bemerkenswerter. Unsere Partner in der internationalen Reiseindustrie und im Deutschlandtourismus und die DZT-Mitarbeiter haben viel getan, um die Reiseströme nach dem ersten Lockdown wiederzubeleben, dann kam die zweite Welle und dann – wie wir alle wissen – noch eine dritte. Und jetzt könnten durch Virusvarianten weitere Krisen entstehen. In dieser volatilen Gemengelage immer wieder Initiativen zu ergreifen und nach vorn zu gehen, erfordert sehr viel Motivation. Gerade daraus haben sich jedoch auch viele positive Momente ergeben. Das Reiseland Deutschland hat sich in der Krise als ausgesprochen resilient erwiesen.

Gibt es eine positive Erkenntnis, die Sie aus der Pandemie für sich mitnehmen?

Ja, unbedingt. Die vergangenen anderthalb Jahre haben eine Vielzahl wichtiger Learnings und trotz allem auch positive Impulse für die Zukunft gebracht.

Die Pandemie hat zunächst einmal unsere eigene interne Organisation auf ganz neue Weise gefordert: Homeoffice, Telearbeit und eine neue Form der Präsenzarbeit. Ich habe bewundert, wie schnell sich die Kolleginnen und Kollegen auf diese neue Arbeitswelt eingestellt haben, und wir haben gemerkt, wie viel Innovationsfreude und Engagement die Situation auch freigesetzt hat. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist unsere weltweite Empathiekampagne #DiscoverGermanyFromHome, mit der wir im Lockdown einen wertvollen und kontinuierlichen Kundendialog erreicht haben. Die Kampagne trug dazu bei, dass wir trotz starker Einbrüche bei den Übernachtungs- und Umsatzzahlen 2020 Marktanteile gewinnen und als Top-Reiseziel in Europa performen konnten.

Außerdem hat die Pandemie als Katalysator für Themen gewirkt, die wir schon länger verfolgen – unter anderem die digitale Transformation.Die Digitalisierung ist der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit und Krisenresilienz des Reiselands Deutschland. Dieses Feld haben wir zum Beispiel schon mit der Implementierung von Sprachassistenten und KI-gestützten Chatbots sowie der strategischen Partnerschaft mit Thought Leadern der Technologiebranche besetzt. Die Reise im Innovationsfeld der Künstlichen Intelligenz muss jetzt mit Hochdruck weitergehen: Machine Learning und die intelligente Verknüpfung von Daten spielen in allen Bereichen der touristischen Customer Journey eine Schlüsselrolle – von algorithmenbasierten automatisierten Empfehlungen für Reiseinteressierte, über Echtzeitinformationen während des Aufenthalts im Gastland bis hin zur Auswertung von Rezensionen und Impressionen.

Die Pandemie hat deutlich gezeigt, welch großes Potenzial in semantisch strukturierten und offen verfügbaren Daten für effiziente digitale Tools entlang der gesamten Customer Journey steckt – von der Reise-Inspiration über die Sichtbarkeit touristischer Angebote auf KI-gestützten Vermarktungsplattformen bis zu praktischen Services wie Besucherlenkung und Entzerrung von Besucherströmen. Um dieses Potenzial zu nutzen, treiben wir das gemeinsame Open Data-Projekt der deutschen Tourismuswirtschaft zur Entwicklung eines Knowledge Graphen voran. Es ermöglicht neue Geschäftsmodelle durch intelligente, sich selbst weiterentwickelnde digitale Systeme. Zielgerichtetes Auslandsmarketing ist ohne entsprechende Technologien und ein Verständnis für ihre Einsatzmöglichkeiten mittelfristig undenkbar.

Eine genauso große Bedeutung in Bezug auf die Resilienz einer Destination hat das Thema Nachhaltigkeit, das bei der DZT seit über einer Dekade ein zentrales Handlungsfeld ist. Covid hat den Wertewandel zu mehr sozioökologischer Verantwortung im internationalen Reiseverhalten verstärkt. Laut einer Studie von IPK International gehen 80 Prozent der Reisenden davon aus, dass Corona zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismus führen wird. Wir sehen also auch hier, dass unser langjähriges Engagement richtig war.

Der internationale Tourismus – und hier beim Standort Deutschland insbesondere auch das so wichtige Messegeschäft – liegt noch am Boden. Was ist in Ihren Augen aktuell die allergrößte Herausforderung für Ihre Organisation, aber auch für die Branche im Allgemeinen beim „Re-Start“?

Es gibt zahlreiche Herausforderungen, die auch wieder eng miteinander verzahnt sind. Zu den größten zählen sicherlich ein verschärfter Wettbewerb, sinkende Marketingbudgets und fehlende Investitionen, Kapazitätsfragen sowie Connectivity und natürlich die aktuelle Klimadebatte.

Ich komme noch einmal auf die eben kurz angeschnittene soziale und ökologische Verantwortung zurück. Nur wenn wir uns dieser Aufgabe wirklich stellen, Tourismus nachhaltig gestalten, hat die Reiseindustrie eine gute Zukunft. Wir haben als Organisation mit unserer Nachhaltigkeitsstrategie bereits vor vielen Jahren ein wegweisendes Statement für die Branche gesetzt. Das stand im Einklang mit den Klimazielen der Bundesregierung. Heute haben wir mit dem Green Deal auch auf europäischer Ebene ein Agenda Setting. Und: In vielen unserer Quellmärkte stellen heute auch unsere Kunden höhere Ansprüche an Nachhaltigkeit.

Insgesamt haben wir für den Re-Start eine dreigliedrige Recovery-Strategie entwickelt: Die Brand Awareness weiter steigern und das Markenprofil weiter schärfen – hierzu gehört natürlich auch das Thema „nachhaltiges Reiseland Deutschland“.  Zweitens zielgerichtete Marktforschung und Analyse des Corona-Impacts als Grundlage für evidenzbasiertes Handeln. Von der Pandemie ist der gesamte Tourismus weltweit über alle Länder und Marktsegmente hinweg betroffen. Entsprechend muss der Restart marktspezifisch organisiert werden. Und drittens das Relationship-Management und der Knowhow-Transfer für unsere Partner in der überwiegend mittelständisch strukturierten Tourismuswirtschaft.

Sie repräsentieren und führen als oberste Diplomatin diese so wichtige Branche. Was macht Frau anders als Mann?

Ich bin nicht der Meinung, dass man das pauschal sagen kann. Aber entscheidend für den Erfolg von Unternehmen ist die Chancengleichheit. Ich habe früh in meiner Karriere die Gelegenheit bekommen, Führungsverantwortung zu übernehmen, und so habe ich es als Chefin dann selbst fortgeführt, was wir heute bei der DZT sehen: Unser Anteil von Frauen in Führungspositionen liegt bei 54 Prozent, was überdurchschnittlich hoch ist. Als Organisation haben wir außerdem eine Unternehmenskultur geschaffen, um die Vereinbarkeit von Führungsposition und Familie zu unterstützen.

Ihre Prognose: Wird Reisen wieder so aussehen, wie wir es kennen? Oder wird die Pandemie die Reiseindustrie nachhaltig verändern?

Die Pandemie hat den gesamten weltweiten Tourismus jetzt schon nachhaltig verändert – sowohl die Angebotsseite als auch die Kundennachfrage. Doch die Kunden werden zunehmend hybrider. Gerade jüngere Zielgruppen haben eine nachhaltigere Orientierung. Die Welttourismusorganisation UNWTO hat diese Zeichen erkannt und setzt in diesem Zusammenhang statt des bisherigen reinen Wachstumsgedankens auf eine „built back better-Strategie“.

Jüngste Untersuchungen der European Travel Commission bestätigen die veränderte Nachfrage der Kunden: Es wird häufiger außerhalb der Hochsaisonzeiten gereist, der Trend geht zu längeren Reisen an einen Aufenthaltsort, viele Reisende sind bereit, für einzigartige Erlebnisse abseits der großen Touristenströme mehr zu bezahlen. Entschleunigung und Achtsamkeit sind aktuelle Trendthemen.   

Zahlreiche digitale Innovationen unterstützen diese Entwicklungen hin zu mehr Individualität entlang der gesamten Wertschöpfungskette, Anwendungen künstlicher Intelligenz erleichtern die Reiseinspiration und verbessern das Kundenerlebnis mit zahlreichen Services, beispielsweise bei der Lenkung und Entzerrung von Besucherströmen. Unsere Gäste wissen diese Qualitäten des „New Normal“ zu schätzen.

Ich bin überzeugt: Wir werden auch in Zukunft reisen. Die großen Themen digitale Transformation, Klima- und Umweltschutz sowie soziale Verantwortung ermöglichen Reiseerlebnisse, die noch intensiver, individualisierter und nachhaltiger sind.

Last but not least: Gibt es ein Netzwerk, das Ihnen zur Seite steht und in dem Sie sich engagieren? Können Sie ein Frauen-Netzwerk empfehlen?

Einzelne Netzwerke zu empfehlen: Da tue ich mich schwer, weil meiner Ansicht nach Anliegen zu breit gefächert sind. Ich bin beispielsweise auf sehr vielen Ebenen vernetzt – nicht in erster Linie oder speziell mit Frauen.

Ich halte es generell für sehr wichtig, sich über die besonderen Anforderungen an Führungskräfte oder Entwicklungen im Fachgebiet austauschen, Erfahrungen zu teilen und auch fachspezifische Dinge zu erörtern.

Es gibt auch eine ganze Reihe von entsprechenden Netzwerken, die von Frauen initiiert wurden. Diese sind durchweg online präsent und außerordentlich aktiv. Da kann sich Frau am besten informieren, wo sie Gleichgesinnte findet. Hier spielen aus meiner Sicht die sozialen Netzwerke eine große Rolle, in denen sich auch immer wieder Frauengruppen formieren.

Foto: Petra Hedorfer

Fotocredit © DZT/Farideh Diehl

Deutsche Zentrale für Tourismus e. V.

www.germany.travel

Das Interview führte Yvonne Molek

AUF EIN WORT – Die Serie: Die Reise- und Tourismusindustrie ist von der Pandemie betroffen wie fast keine andere Branche. Und obwohl in der Industrie gleich viele Frauen und Männer arbeiten, liegt der Frauenanteil unter den CEO‘s nach einer Erhebung des World Tourism Forum Lucerne lediglich bei fünf Prozent. Die Frauen, die in der Branche den Ton angeben, haben sich den Fragen von SHEconomy gestellt. Tenor: Licht am Horizont – ein Land sitzt auf gepackten Koffern. Nach langen Monaten der Pandemie – isoliert und mit Angst vor Kontakten im Nacken – macht sich langsam ein Gefühl der Erleichterung breit. Wie erleben die Top-Managerinnen der Branche diese Zeiten? SHEconomy hat nachgefragt

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