Marie Ringler wollte immer etwas verändern. Als Europa-Chefin des Social-Entrepreneur-Netzwerks Ashoka spannt sie nun Brücken zwischen Social Entrepreneurs und der traditionellen Wirtschaft.
Österreich zählt zu den reichsten Ländern der Welt, das ist uns mehr oder weniger bewusst. Für Marie Ringler war dies allerdings nie eine Selbstverständlichkeit. »Es wurde mir in meiner Familie früh vermittelt, welches Glück ich habe, hier geboren zu sein.« Die Europa-Chefin der Social-Entrepreneur-Organisation Ashoka hatte stets den Wunsch, dort, wo Missstände, Missbalance herrschen, etwas zu verändern. »Österreich ist reich, aber arm an Mut«, sagt die 43-Jährige beim Interview in den Räumen der ehemaligen Wiener Börse. Ausgerechnet hier hat Ashoka Österreich sein Büro, genauer gesagt im Haus der Philanthropie, wo heute mehrere Organisationen untergebracht sind, die sich nachhaltigen Projekten widmen.
Aufgewachsen ist Ringler im südlichen Speckgürtel von Wien, sie war mit 19 bei der Wiener Netzkultur-Initiative Public Netbase dabei und ging nach der Jahrtausendwende in die Politik. Bis 2010 saß sie für die Grünen im Gemeinderat und war unter anderem als Kultursprecherin tätig. »Aus der Politik weiß ich, dass Titel nur Schall und Rauch sind«, schmunzelt sie. Die Zeit will sie dennoch nicht missen, selbst wenn die Arbeit als Politikerin für sie nicht mehr in Frage kommt – »das sollte man nicht ewig machen«. Nach dem Ausstieg aus der Politik 2011 hat sie sich ihren nächsten Job selbst geschaffen: Im Zuge eines Post-Graduate- Studiums in St. Gallen wurde sie erstmals mit dem Sozialunternehmerinnen-Netzwerk konfrontiert, das 1980 von dem Amerikaner Bill Drayton gegründet worden war. Unmittelbar danach bemühte sie sich darum, die Österreich-Niederlassung von Ashoka zu gründen, schon im Jahr darauf übernahm sie die Leitung für Zentral- und Osteuropa. Und seit Beginn dieses Jahres ist Ringler Europa-Chefin der Organisation – und damit für 26 Länder mit insgesamt rund 140 Mitarbeiterinnen verantwortlich.
Aber was macht Ashoka eigentlich genau? »Wir bauen rund um Sozialunternehmen ein Ökosystem auf«, erklärt Ringer. Als solche Social Entrepreneurs werden Unternehmen verstanden, die mit unternehmerischer Haltung gesellschaftliche Probleme lösen wollen; also vereinfacht gesagt: die mit wirtschaftlichen Methoden Gutes tun. Die Idee dahinter: Nicht die großen, klassischen Unternehmen führen Veränderung herbei, sondern vielmehr die kleinen Innovativen oder Einzelpersonen. Das große Netzwerk an Partnern aus unterschiedlichen Bereichen – unter anderem Berater, Rechtsanwälte, Finanzexperten, Marketingprofis – helfen Sozialunternehmerinnen, ihre Projekte auf den Boden zu bringen. Ein Beispiel: Der deutsche Gynäkologe Frank Hoffmann hatte die Idee, die Gabe blinder beziehungsweise stark sehbehinderter Frauen, mit den Händen ihr Umfeld und die Welt zu erspüren, zur Tastuntersuchung bei der Brustkrebs-Vorsorge einzusetzen. Dies bedeutet nicht nur eine Jobchance für diese Frauen, sondern ändert auch die Einstellung in der Gesellschaft gegenüber Behinderungen und wie man diese nützen kann. Zunächst setzte Hoffmann seine Vision nur nebenbei um, dank Ashoka konnte er sich ganz dem Projekt widmen.
»Wir helfen dabei, dass sich jemand mit Haut und Haar seiner Idee verschreiben kann«
»Wir helfen dabei, dass sich jemand mit Haut und Haar seiner Idee verschreiben kann«, erklärt Marie Ringler. Hoffmann gewann Investoren und machte »Discovering Hands« – so der Name des Projekts – zur länderübergreifenden Initiative: Österreich ist das erste Land nach Deutschland, in dem die Methode angewendet wird. Derzeit wird gerade eine Studie durchgeführt, um das Berufsbild der medizinisch-taktilen Untersucherin bekannter zu machen. Das Beispiel zeigt, wie der Mechanismus von Ashoka funktioniert. »Wir sind keine Start-up-Förderer. Für die Fellows – so werden jene genannt, die mit Stipendien und Kooperationen unterstützt werden – kommt es auf die Stärke ihrer Idee an und ob diese in der Praxis umzusetzen ist. „Wir sehen uns als Brückenbauer«, erzählt Ringler. Dabei legt sie Wert darauf, dass Ashoka selbst als Vorbild dienen kann, etwa wenn es um Shared Leadership geht: »Wir wollen alle in die Verantwortung holen und erfüllendes, effizienteres Arbeiten ermöglichen«, erklärt Ringler die Bedeutung des Begriffs. Dabei sind die Kriterien, welche Projekte infrage kommen, streng – schließlich gibt es eine steigende Zahl von Social Entrepreneurships, die nicht immer diesen Namen verdienen. »Ethische Integrität ist ganz wichtig, da gibt es genau definierte Richtlinien.« Das gilt auch für die Netzwerkpartner. Dass die üblichen Verdächten wie Glücksspielkonzerne oder Waffenhersteller in diesem Umfeld nichts zu suchen haben, ist naheligend. Aber wie sieht es aus, wenn sich Konzerne mit Ashoka eine weiße Weste verpassen wollen? »Auch da setzen wir strenge Kriterien an.«
Die Finanzierung von Ashoka beruht auf drei Säulen: Erstens Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, die nicht nur Geld geben, sondern auch mit Wissen helfen – darunter etwa der Banker Andreas Treichl oder der Investor Michael Altrichter –, zweitens Familienstiftungen, drittens Unternehmenspartnerinnen. »Im Mittelpunkt steht stets die Beziehung von und zwischen Menschen«, sagt Ringler. Wichtig sind ihr für Ashoka auch nicht die üblichen Kennzahlen wie Fundraising-Einnahmen oder die Zahl der Mitarbeiterinnen, sondern maßgeblich ist die Wirkung. »Wir messen uns daran, wie sehr wir geholfen haben, eine Idee in die Welt zu tragen.« Vermag die Organisation die Denke in der Business-Maschinerie tatsächlich zu ändern? »Das würde ich mir nicht anmaßen. Aber durch Arbeit und Gespräche können sich Menschen auf einen Weg begeben. Sie können zum Beispiel aus dem Hamsterrad der Wirtschaft ausbrechen.« Es ist ihr aber sehr wohl bewusst, dass die Zusammenarbeit mit etablierten Unternehmen und (reichen) Persönlichkeiten »stets ein Balanceakt ist«.
„Im Mittelpunkt steht stets die Beziehung von und zwischen Menschen. Wir messen uns daran, wie sehr wir geholfen haben, eine Idee in die Welt zu tragen.“
Ihre Ziele für Ashoka und für sich selbst? „Ich will unsere Arbeit in Europa auf noch stabilere Beine stellen.“ In Österreich sei in dieser Hinsicht schon viel gelungen, die Einstellung zu „guten“ Unternehmen sei hierzulande positiver als anderswo. „Ich würde mir aber noch mehr Engagement von der Privatwirtschaft für soziale Anliegen wünschen“, bekennt sie. Damit Schlagwörter wie Globalisierung nicht per se als negativ gesehen werden. „Mit den Initiativen unseres Netzwerks zeigen wir, dass Wirtschaft und Gesellschaft bereit sind für eine Veränderung“, meint Ringler. Die rund 3.600 Sozialunternehmen im weltweiten Ashoka-Netzwerk beweisen nämlich: „Inzwischen gibt es für jedes Problem auf der Welt eine gute Lösung – wir müssen sie nur umsetzen.“
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