Bestimmt kennst du ihn noch, den Duracell-Hasen aus der Werbung der Neunziger- und Nullerjahre: Er enteilt allen anderen, weil er unentwegt weiter hüpft. Und hüpft. Und hüpft. Die Botschaft der Werbung war eindeutig: Der von der Marken-Batterie energetisierte Hase hat mehr Power als die Konkurrenz. Er macht weiter, wenn den anderen längst der Saft ausgeht.
Nicht selten habe auch ich mich so gefühlt. Als Mensch bin ich selber schon sehr energiegeladen und trage viel positive Energie in mir. Also habe ich weitergemacht, wenn es von allen Seiten Herausforderungen gab. Privat. Beruflich. Ich habe nicht nach links und rechts geschaut. Als Teil der Generation X bin ich sehr leistungsbezogen aufgewachsen. Ohne Fleiß kein Preis! In der Schule mussten es Einsen oder Zweien sein, ansonsten hieß es: Hinsetzen, pauken! Um Hilfe fragen? Ein Zeichen der Schwäche! Gerade als Frau.
Die wichtige Erkenntnis damals: Es gibt Grenzen.
Innehalten statt weiterrennen
Es ist aus heutiger Sicht fast ein bisschen ironisch: Noch als ich mich mit meinem hohen Leistungsanspruch vor über 15 Jahren selbst in einen Burnout manövrierte, arbeitete ich weiter – und versuchte, mich parallel selbst zu kurieren. Ich nahm einen Gang raus, machte eine intensive Ayurveda-Kur und achtete auf Ernährung und Bewegung. Die wichtige Erkenntnis damals: Es gibt Grenzen. Zu viel ist nicht gut – und manchmal reichen 80 Prozent auch aus. Welch‘ Überraschung …
Nun ist die wesentliche Eigenschaft des Duracell-Hasens seine Ausdauer. Eine Kernkompetenz in unserer durch und durch beschleunigten Welt ist aber das Gegenteil: Es geht eben nicht darum, blind weiter zu rennen. Es geht nicht darum, nur zu funktionieren. Heute müssen wir viel mehr lernen, im permanenten Gewusel des Hier und Jetzt anzuhalten. Innezuhalten. Den Moment zu spüren. Und uns selbst in diesem Moment. Wir müssen wieder lernen, die Blumen am Wegesrand zu beschnuppern, wie man so schön sagt. Kinder machen das hervorragend. Doch als Erwachsene haben wir es verlernt.
In einer Welt, die permanent rast, ist es verlockend – und leider oft viel zu leicht –, mitzurasen. Gefährlich wird es, wenn wir dabei nicht nach links und rechts sehen.
Auf der Strecke bleibt der Mensch
Ich musste das auf dem harten Weg lernen. Eine Zeit lang dachte ich wirklich, ich könnte alles auf einen Schlag sein: Tolle Mutter, Top-Ehefrau, Tochter, Schwester, Freundin – und natürlich erfolgreiche Managerin. Als ich schwanger wurde und Mutter, sollte das so bleiben. So wurde ich die erste Working Mom in einer Führungsrolle bei PayPal in Deutschland.
Ich musste lernen, zu akzeptieren, dass Multitasking seinen Preis hat.
Mutter zu sein, war und ist mir ein großes, wichtiges Learning. Ich habe die Zeit mit meiner Tochter priorisiert – obwohl ich schnell wieder im Job einstieg. Digitales Arbeiten hat es mir fantastisch ermöglicht, teils im Büro zu sein und teils von zu Hause zu arbeiten, um Kind und Job einfacher unter einen Hut zu bekommen. Und dabei lernte ich, noch besser zu delegieren, denn es ging einfach nicht alles gleichzeitig. Meine Tochter war mir wichtiger.
Ich musste lernen, zu akzeptieren, dass Multitasking seinen Preis hat. Wir können nicht alles auf einmal sein. Und nicht alles zur gleichen Zeit gleich gut tun.
Vor allem aber sind wir keine batteriebetriebenen Hasen. Als Menschen sind wir nicht zum Auf-und-ab-und-immer-weiter-Hüpfen geboren – sondern zum Denken, zum Fühlen, zum Interagieren. Genau das gibt uns Energie! Wenn wir uns nur perfektionistisch – funktional – betrachten, degradieren wir uns zur Maschine. Und auf der Strecke bleibt, ganz folgerichtig: der Mensch. Du und ich.
Akzeptanz braucht Zeit
Ich hatte das Glück, eine Zeit lang die großartige Meg Whitman als CEO zu haben. Ich war damals noch ohne Kind und fasziniert, wie sie als Top-Managerin Mutterrolle und Spitzenjob so wunderbar vereinbaren konnte. In einem Gespräch sagte sie: „Every single day, one of your pillars or hats is going to be unhappy.“ In anderen Worten: Wir tragen so viele Hüte parallel – in allen Rollen gleichzeitig glücklich und zufrieden zu sein, wird nie gelingen. Ein Leben zwischen den Stühlen, ein konstanter Balanceakt. Manchmal ist es hart. Wie geht man damit um? „Make peace with it and be kind to yourself“, riet mir Meg.
Aus dem Munde einer der erfolgreichsten US-Managerinnen der letzten dreißig Jahre klingt das einfach. Folgerichtig. Irgendwie banal. In der Realität aber, wenn wir uns darin ernst nehmen wollen, bedeutet es harte Arbeit, Tag für Tag.
Bewusst Tempo rausnehmen, statt zu beschleunigen.
Selbstliebe, Selbstakzeptanz, Selbstachtung – in diesem Dreiklang verbirgt sich der Schlüssel, um erfolgreich und kraftvoll durchs Leben zu gehen. Bewusst Tempo rausnehmen, statt zu beschleunigen. Bewusst anhalten, statt weiter zu hüpfen. Einfach mal achtsam spazieren gehen. Zehn Minuten lang achtsam atmen. Den Atem spüren, Gedanken kommen und gehen lassen. Gefühle zulassen. Sich selbst spüren. Es ist wichtig, auf sich selbst zu achten, positiv zu sein, optimistisch zu sein und jeden einzelnen Moment zu genießen. Und zu sagen, wenn alles einmal zu viel wird. Das macht ein besseres Ich aus dir für alle. Auch das habe ich lernen müssen – und es hat eine Weile gedauert, bis ich es akzeptieren konnte.
Und übrigens, es ist erstaunlich, wie viel positives Feedback man bekommt, wenn man mutig genug ist, mit der eigenen Unperfektheit umzugehen. Man erhält Zuspruch und Respekt und wird sogar zu einem Vorbild für andere. Also: Es ist es wichtig, authentisch zu sein, das macht dich sogar stärker. Wir alle sollten dies viel öfter tun, um dem Irrglauben des Perfektionismus ein Ende zu setzen.
Einmal anzuhalten heißt nicht, für immer stillzustehen. Aber: Wenn wir immer bloß weiter rennen, sind wir der Duracell-Hase, gefangen im Hamsterrad. Worst of both worlds!
Nur du bist du
Ich will ganz ehrlich sein: Erst der Burnout und danach das Muttersein haben mir geholfen, aus dem Hamsterrad auszusteigen und gewisse Dinge anders zu sehen. Hier erst wurde mir klar, dass ich Abstriche machen muss. Kompromisse eingehen. Und von althergebrachten Vorstellungen loslassen.
Geliebt werden wir für unsere Authentizität – für die Person, die wir wirklich sind.
Kein Mensch auf dieser Welt denkt so viel nach über dich wie du selbst. Wir selbst sind unsere heftigsten Kritiker. Als Frauen umso mehr: Immer wollen wir noch eins draufsetzen, um perfekt zu sein. So geraten wir wahnsinnig unter Druck. Familie, Freunde, Verwandte, Kolleg*innen – allen wollen wir es rechtmachen.
Dabei liebt dich niemand wegen deiner Perfektion. Geliebt werden wir für unsere Authentizität – für die Person, die wir wirklich sind. Wie agieren wir im Umgang mit anderen Menschen? Wie mutig sind wir, ganz wir selbst zu sein? Welcher Eindruck bleibt von uns?
Eines also haben wir doch mit dem Duracell-Hasen gemein: Unsere Unersetzlichkeit zeichnet uns aus. Doch beim Häschen geht es darum, immer weiter zu funktionieren. Wir Menschen hingegen sind geboren, zu kommunizieren, zu interagieren und als Individuum zu strahlen. Du bist einzigartig, denn du – und nur du – bist du. Also: Trau dich, anzuhalten. Gnädig mit dir zu sein. Aufrichtig zu sein. Und freudvoll zu sein. Dann hält deine Batterie ein Leben lang. Und vielleicht wirst du zur Inspiration für so viele andere wunderbare Frauen da draußen, die manchmal selbst energielos im Hamsterrad sitzen.
Über die Person:
Anja Urlichs ist Senior Director Marketing bei PayPal, Vorstandsmitglied im Marketing Club Berlin, Mitglied des CMO Councils Deutschland und Mentorin u.a. bei der Cherie Blair Foundation for Women. Sie blickt auf eine 5-jährige Laufbahn im Management Consulting sowie eine über 20-jährige Expertise im Marketing und Business Development zurück, ein Großteil davon in unterschiedlichen Führungsrollen lokal, regional und global. Anja ist Mutter einer 13-jährigen Tochter – über die Mehrheit der Jahre alleinerziehend. Sie war die erste Working Mom in einer Führungsposition bei PayPal Deutschland. Das führende Branchenmedium W&V zählt sie zu den wichtigsten 100 Köpfen im Marketing 2023.
Mission Female GmbH:
Mission Female bietet erfolgreichen Frauen ein exklusives Netzwerk von Vertrauen und Austausch auf Augenhöhe und stärkt sie aktiv bei ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung. Dabei engagiert sich das 2019 von Frederike Probert gegründete Business-Netzwerk aktiv für mehr Female Power in Wirtschaft, Gesellschaft, Medien, Kultur, Sport und Politik und vereint erfolgreiche Frauen branchenübergreifend auf höchster Ebene mit einem Ziel: Gemeinsam beruflich noch weiter voranzukommen. Immer persönlich, vertraulich und verbindlich ganz nach dem Motto #strongertogether.
Weitere Gastbeiträge von Mission Female:
„Frauenförderung im Unternehmen? Beginnt bei der Frauengesundheit!“