StartMoneyDer Gehaltscoach: Lieber zum Zahnarzt als zum Verhandlungstisch?

Der Gehaltscoach: Lieber zum Zahnarzt als zum Verhandlungstisch?

Gehaltscoach Martina Ernst geht heute der Frage auf den Grund, warum so viele Menschen – leider vorwiegend Frauen – beim bloßen Gedanken an eine Gehaltsverhandlung mit einem schmerzverzerrten Gesicht reagieren.

Warum ist das so?

Drei Faktoren scheinen mir die Haupt-Beweggründe hinter dieser ablehnenden Haltung:

  • das Selbstwertgefühl
  • der Wunsch nach harmonischen Beziehungen
  • das Verständnis für die finanzielle Lage des Unternehmens

Was bin ich selbst wirklich wert?

Sind wir doch ehrlich, viele von uns wollen sich der Gehaltsverhandlung nicht stellen, weil sie insgeheim Angst haben, sie seien ihre Gehaltsforderungen gar nicht wert. Vielleicht war der eigene Beitrag doch nicht so wichtig fürs Unternehmen? Wahrscheinlich ist die neue Mitarbeiterin, die sich voll Elan auf die Aufgaben ‚wirft‘ und alles in Windeseile erledigt, viel besser und womöglich auch noch günstiger! Vielleicht haben sich ein paar der Kolleginnen über lästige Mehrarbeit beschwert, als sie wegen einer Operation ganze vier Wochen ausfielen. Also lieber gleich sein lassen und aufschieben?

NEIN!

  • Der erste wichtige und wahrscheinlich allerschwerste Schritt ist es, die Bewertung der eigenen Arbeit von seinem Selbstwertgefühl zu trennen. Schön und gut, aber wie soll man das anstellen – schließlich kann man sich diesen Teil ja nicht abhacken!

Und ja, natürlich weiß man, dass zu viele Emotionen am Arbeitsplatz schaden. Also, was tun?

Erst einmal entspannen und das vegetative Nervensystem beruhigen – egal ob mit Jogging, Yoga, Musik, Lese, Theater, Atemübungen, Kochen – Hauptsache, man fühlt sich gut und entspannt dabei

  • Sich dessen bewusst sein, dass jeder Mensch einen inneren Kritiker hat, der einen zwar vor Gefahren schützen möchte, meist aber seine Arbeit maßlos übertreibt. Es kann nicht schaden, dazu ein paar Artikel zu lesen.
  • Die eigenen Emotionen außen vor lassen gelingt wahrscheinlich am ehesten, wenn man die Vorbereitungen genauso minutiös plant, als würde man die Steuerveranlagung fertig machen, eine neue Wohnung einrichten, sich woanders bewerben oder eine große Feier planen.
  • Recherche des Marktwerts betreiben – denn es geht nicht um mich als Person, sondern um meine Tätigkeit in der Firma: Kollektivvertrag lesen, ob man richtig eingestuft ist und Gehaltsvergleiche in Onlineportalen anstellen. Karriere.at, glassdoor.com, kununu.com, stepstone.at, Statistik Austria und die Portale der Zeitungen bringen wertvolle Tipps, was man in seinem Job eigentlich verdienen sollte. Nur bitte beachten, dass Wien anders zahlt als das Burgenland und auch die einzelnen Branchen unterschiedlich vergüten.
  • Bekannte fragen, was sie für eine vergleichbare Position verlangen und wie sie es angehen würden. Und sich bewusst nach denen orientieren, die nicht völlig gleich reagieren wie man selbst – denn so gelingt der Schritt aus der Komfortzone und berufliches Wachstum nur schwer.

Ruhig mehrere Männer fragen, denn es ist erfrischend, andere Blickwinkel kennenzulernen. Und oft stellt man fest, dass der erste Schritt gar nicht so eine unüberwindliche Hürde zu sein braucht.

Harmonie am Arbeitsplatz ist mir extrem wichtig

  • Soll man mehr verlangen als die Kolleginnen verdienen? Wenn das herauskommt, wird man dann womöglich gemoppt?  Entschuldigung, hat es jemals jemanden gestört, wenn eine Person im Team mehr Verantwortung übernimmt oder sich der neuen Herausforderungen annimmt bzw. kritische Projekte eigenverantwortlich leitet? Und wieso sollte diese Person dann nicht auch mehr verdienen?! Denn Mehrwert ist auch mehr Geld wert!
  • Was, wenn mir meine Vorgesetzte zu verstehen gibt, dass sie meinen Mehrwert nicht so sieht wie ich? Das ist sicher die größte Angst, die viele Menschen vor der Gehaltsverhandlung haben – denn dann wird man sich nach so einem gescheiterten Gespräch nicht nur wie eine Versagerin in der Verhandlung, sondern auch beruflich als Niete fühlen. Aber Achtung: dagegen gibt es ein sehr einfaches Gegenmittel: sich bereits Monate vor dem Gehaltsgespräch mit der Chefin die Themen und Ziele zu vereinbaren, die es für das Unternehmen zu bearbeiten bzw. zu erreichen gilt.

Und noch etwas, um die Emotionen rauszunehmen: sich nicht selbst unter Druck setzen. In jeder Verhandlung lernt man, mit anderen Menschen eine Win-Win-Situation herzustellen – und wenn es beim ersten Mal nicht funktioniert hat, so hat man zumindest wertvolle Anregungen für die nächste Verhandlung bekommen. Carol Dweck spricht davon, dass erfolgreiche Menschen nicht in Schwarz-Weiß-Kategorien denken, sondern sich sagen: ‚Noch nicht …“, d.h. es kann noch werden. In diesem Sinne: dranbleiben und weiter üben. Schließlich will die Arbeitgeberin ihre motivierten Mitarbeiterinnen nicht verlieren – eine Nachbesetzung ist meist ungleich viel teurer als eine Gehaltserhöhung – und spätestens einer neuen Mitarbeiterin müsste man ohnehin das für die Position marktübliche Gehalt zahlen.

Meine Arbeitgeberin kann sich eine Gehaltserhöhung derzeit nicht leisten

  • Sollte das der Fall sein, kann man zumindest jetzt gemeinsam die Erhöhung fixieren für den Moment, zu dem es finanziell wieder besser aussieht – und idealerweise rückwirkend per heutigem Stichtag.
  • Oder man einigt sich auf einen außerordentlichen Bonus, der in 6 Monaten unter bestimmten Bedingungen fällig wird.
  • Unbedingt schriftlich fixieren und sich nicht auf mündliche Versprechungen einlassen.
  • Und ehrlich gesagt, sollten ihre Gehaltsforderungen als berechtigt erachtet werden, es dafür aber kein Geld im Unternehmen gibt, dann sollten sie vielleicht langsam die Fühler nach Alternativen ausstrecken.

Martina Ernst hat nach ihrer Tätigkeit als Personalchefin der Erste Bank die Gehalts-und Karriere-Beratungsfirmen www.salarynegotiations.at und www.colourfulcareer.com gegründet, ist Career Partnerin der WU Executive Academy und Präsidentin des WU EA Female Leaders Netzwerks mit 1500 Alumnae.

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