StartBusinessDas Bewerbungsgespräch: Wahrheit im Schleier der Selbstvermarktung

Das Bewerbungsgespräch: Wahrheit im Schleier der Selbstvermarktung

In Vorstellungsgesprächen zeigen Bewerber:innen und Unternehmen ihre besten Seiten – doch wie viel davon entspricht der Realität? Kommunikationsexpertin Katharina Dello deckt im fünften Teil ihrer Kolumne "Jobsuche mit 40 +" auf, wie beide Seiten ein geschöntes Bild zeichnen und wo die versteckten Wahrheiten oft erst nach Vertragsunterzeichnung ans Licht kommen.

Ein Vorstellungsgespräch ist ein Verkaufsgespräch. Ich muss das Unternehmen schließlich dazu bringen, sich so weit in mich zu verlieben, dass die mich und nur mich wollen. Also poliere ich in jedem Gespräch meine Schokoladenseite und präsentiere sie den Leuten gegenüber, damit sie geblendet werden. Ich bin engagiert und lerne gerne Neues, sage ich. Ich arbeite selbständig und auch im Team, bin flexibel und hochmotiviert. Natürlich bin ich in allen Tätigkeitsbereichen qualifiziert und finde das Unternehmen hoch interessant, auch wenn ich vorletzte Woche zum ersten Mal davon gehört habe.

Das erzähle ich jedes Mal und habe nach rund 20 Gesprächen so meine Mühe, den nötigen Enthusiasmus aufzubringen. Ich bin allerdings nicht die Einzige, die immer das Gleiche erzählt. Die Unternehmen tun es auch. Alle sind agil, nachhaltig und schätzen ihre Mitarbeiter:innen als ihr wichtigstes Kapital. Alle sind sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst und fördern eine konstruktive Fehlerkultur. Und selbstverständlich lassen sie ihren Beschäftigten Gestaltungsspielraum und heißen kreative Ideen willkommen.

Aber wenn ich meine Schokoladenseite vielleicht ein ganz kleines wenig zu sehr in den Vordergrund stelle, so nehmen die Unternehmen es mit der Wahrheit auch nicht so genau. So wurde mir in einem Gespräch erzählt, dass meine Vorgängerin auf eine Stelle mit mehr Verantwortung gewechselt hat. Sie habe ein Angebot bekommen, das sie nicht ablehnen konnte, hieß es. Nachdem ich bei der Firma angefangen habe, wurde mir allerdings im Vertrauen zugeflüstert, dass es weniger ein Aufstieg als eine Flucht war, da ihr die Vorgesetzten so sehr auf die Nerven gingen. Zu dem Zeitpunkt konnte ich das bereits sehr gut nachvollziehen.

Genauso reduziert sich der kreative Gestaltungsspielraum in Wahrheit oft auf null, wenn nur die Ideen des Chefs gefördert werden oder das Ziel der Abteilung darin besteht, sich bloß keinen Ärger einzufangen. Dann wird die gesamte Energie darauf verwendet, alle möglichen Regeln einzuhalten. Selbstverständlich wird dann aus dem „konstruktiven Umgang mit Fehlern“ ein Arschtritt für jedes noch so kleine Versehen. Und sehr gern machen Chefs ihre Probleme zu Problemen der ganzen Belegschaft, wenn es zum Beispiel darum geht, den Chefchef zu beeindrucken. In einem meiner Jobs stieg der Druck immer dann besonders an, wenn die Entscheidung über die Bonushöhe des Geschäftsführers anstand. Mein Teamleiter fand, da sei nichts dabei, schließlich wollte er auch beim Geschäftsführer eine gute Figur machen.

Es ist natürlich schade, dass man solchen intimen Einblick in die Firmenkultur erst bekommt, wenn man den Arbeitsvertrag schon unterschrieben hat und nicht so schnell abhauen kann. Andererseits fällt mir auf, dass ich recht schnell nach meinem Einstieg in einer Firma ausführliche Informationen zu den internen Gepflogenheiten bekomme. Deswegen fällt mir noch ein weiterer Vorzug meiner Person ein: Ich gewinne schnell das Vertrauen anderer Menschen. Wirklich. Nach zwei Wochen weiß ich nämlich, was die Leute hinter Ihrem Rücken sagen, liebe zukünftige Führungskraft.

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