Das Virus, das Virtuelle und das Menschenkönnen.
Ein Kommentar von Michaela Ernst.
Die spaßigen Meldungen auf Social Media sind mittlerweile leiser geworden. Keiner mag mehr halblustige Klopapierrollen-Fotos sehen, keiner mehr Witze über das beengte Leben mit oder ohne Partner hören. Der Galgenhumor hat sich aufgehängt.
Innerhalb von einer Woche haben wir 100.000 neue Arbeitslose. Immer mehr Klein- und Kleinstbetriebe melden ihre endgültige Schließung an. Weil auch nicht jeder ein Geschäftsmodell hat, bei dem sich unter den derzeitigen Voraussetzungen ein innovatives Überbrückungskonzept herausschlagen lässt.
Da haben es die, die ihren Betrieb auf Home-Office umstellen können, vergleichsweise gut erwischt. Wir Journalisten zum Beispiel zählen zu diesen Glücklichen, selbst wenn es auch für uns Augenblicke gibt, in denen die indirekte Kommunikation eine Herausforderung darstellt.
Ein Beispiel ist die Schlussproduktion. Auf einmal merkt man, wie wichtig es ist, wenn man in zugespitzten Phasen einander beim Arbeiten sieht. Schon durchs bloße Hinüberschauen zum anderen Schreibtisch erkennt man, in welcher Arbeitsphase der Kollege ist, ob alles glatt läuft oder nicht. Gerade diese Erfahrungswerte eines eingespielten Teams entscheiden oft über Missgeschick oder Geschick. Wenn’s hart auf hart geht, und es keinen direkten Blick oder Weg zum Kollegen gibt, wird vieles komplizierter.
Die jetzige Situation offenbart Folgendes – alle Änderungen, die uns in Zusammenhang mit der Digitalisierung angekündigt wurden, hat nicht das Virtuelle innerhalb von einigen Jahren sondern das Virus innerhalb weniger Tage herbeigeführt: Den massiven Jobverlust, das (vorübergehende) Verschwinden von Arbeitsmodellen, das Entstehen neuer Dienstleistungen, die Aufwertung von Krankenpflege- und Betreuungsberufen. Es hat uns auch verstärkt gezeigt, was das zutiefst Menschliche ausmacht. Und worin dieses Postulat eigentlich besteht, das die Vordenker »Digitaliens« immer wieder einfordern: Nämlich, dass wir Menschen uns auf jene Eigenschaften besinnen sollten, die unser Zusammenleben ausmachen und die uns letztendlich über die Maschinen stellen. Das sind: Problembewusstsein, Lösungsorientiertheit, Mitgefühl, vernetztes Denken, die Fähigkeit unmittelbar auf Chaos einzugehen und dieses auch zu beseitigen, beziehungsweise abzuschwächen.
Der Radius ist im Moment eingeschränkt – aber schaut man sich dieser Tage so herum, bekommt man das Gefühl, dass wir all das, was uns theoretisch zu Weltmeistern macht, eigentlich ziemlich gut hinbekommen. Kein noch so ausgeklügeltes digitales System hat zwischen uns Platz, wenn es um den achtsamen Umgang miteinander im Supermarkt oder vor Apotheken geht oder das Engagement für andere, die diese Zeit als Bedrohung erleben.
Was wir nun sehen, ist, dass die digitalen Ablösungsszenarien, die uns vor dem Corona-Virus möglicherweise bereits bedrängten, immer von der besten aller Welten ausgingen. Von einem Kosmos, in dem alles berechenbar und kalibrierbar ist und Sturm nur in zwei Formen existiert: im Glas oder als Wettererscheinung. Der Orkan aber, der uns jetzt umgibt, wird sich nur mit Menschenwissen, Menschenkönnen und Menschenhilfe wieder legen.
Auch für die Digitalisierung wird nach dieser Katastrophe vieles nicht mehr so sein wie früher. Denn auch sie wird sich inmitten von wirtschaftlicher Effizienz und gesellschaftlicher Sinnhaftigkeit einen neuen Platz schaffen müssen.
Bis dahin aber vergessen Sie nicht: Um hinauszukommen, müssen wir drinnenbleiben! #staysafe, #stayhome, #stayhealthy
Header © Peter M. Mayr