„Wenn alle auf den gleichen Datensatz zugreifen, entsteht zwangsläufig Premium Mediocre – der totale Durchschnitt, weltweit.“ Mit dieser provokanten These beschreibt Julia Peglow, Gründerin und Geschäftsführerin von THE SKILL – eine strategische Beratung für KI-gestützte Kreativprozesse – die vielleicht größte Gefahr der Künstlichen Intelligenz im Branding: Den Verlust an Unverwechselbarkeit. Je weiter die Technologie in den Alltag von Unternehmen, Agenturen und Kreativen dringt, desto deutlicher zeigt sich: Es geht nicht mehr nur um Effizienzgewinne. Es geht um die Frage, wie Authentizität und Differenzierung im Zeitalter generierter Bilder und Texte bewahrt werden können.
Mit KI die Unternehmensidentität schärfen
Dass Marketing-Teams AI-Tools für Social Media, Personalisierung und Internationalisierung nutzen, gilt mittlerweile als Standard. Die spannende Frage lautet daher: Wie macht man eine Marke einzigartig, wenn alle mit den gleichen Systemen arbeiten? „Das Problem liegt nicht in der KI-Ästhetik, sondern darin, dass die meisten Unternehmen ihre eigene Intellectual Property nicht kennen“, betont Markenstrategin Peglow. Denn in Mitarbeiterköpfen stecke zwar viel Wissen, dieses werde aber selten systematisch verschriftlicht. Statt Copy-Paste aus ein und denselben Datenpools brauche es daher eine klare Wissensbasis. Die Münchnerin nennt dies „Knowledge Architektur“. Wer es schafft, diese aufzubauen und eigene Modelle darauf zu trainieren, könne KI zu einem echten Differenzierungsfaktor machen.
Damit verlagert sich die Arbeit von der reinen Content-Produktion zur Kultivierung einer lebendigen Wissenskultur. Unternehmen, die ihre DNA klar definiert haben, können KI strategisch einsetzen und so eine einzigartige Markenidentität entwickeln. Für Peglow ein Paradigmenwechsel: „Marken müssen zu denkenden Organismen werden – sie sollen nicht hübsch aussehen, sondern mit einer eigenen Haltung Probleme lösen.“
„Marken müssen zu denkenden Organismen werden.“
Julia Peglow, Markenstrategin
Agenturen vom Produzenten zum Markenhüter
Auch Agenturen stehen mitten im Umbruch. Ein Logo oder ein Claim? Kann heute jede*r mit einem Generator basteln. Der echte Mehrwert liegt woanders: „Unser Job ist es, die Komplexität und Vielschichtigkeit einer Marke in eine klare, leicht verständliche und sinnstiftende Markenstrategie zu übersetzen“, sagt Leo-Constantin Scheichenost von der
Wiener Branding-Agentur HFA-Studio. Statt primär Assets zu produzieren, werden Kreativagenturen damit zum kontrollierenden Organ, das über Kohärenz und Konsistenz wacht. Markenaufbau und Rebranding erfordern nach wie vor langfristige Perspektiven, Empathie und kulturelles Verständnis. Fähigkeiten, die KI nicht leisten kann. „Was eine Agentur zusätzlich ausmacht, ist der Drang und die Energie, ein Projekt wirklich umzusetzen“, heißt es bei HFA.
Gleichzeitig verändert Künstliche Intelligenz die Marktlogik: Kleine Teams können dank der Geschwindigkeit der Tools plötzlich große Etats bewältigen. Für große Agenturen bedeutet das Anpassungsdruck – und für die Branche insgesamt eine Neujustierung. Scheichenost ist überzeugt: „Die Schnelligkeit, mit der künstliche Intelligenz Projekte umsetzen kann, wird die Agenturwelt noch völlig auf den Kopf stellen.“
Kreative von der Produktion zur Kuratierung
Die heftigsten Umbrüche betreffen jedoch die Kreativen selbst: Fotograf*innen, Texter*innen und Designer*innen. Sie sehen, wie ihre Domänen zunehmend automatisiert werden. PR-Profis etwa nutzen KI-generierte Fotos bereits, um ihre Online-Präsenz konsistent und professionell zu gestalten. Erfahrungen und Tipps dazu teilen sie offen etwa auf LinkedIn. Effizient, aber nicht ganz ohne Risiko: Denn mit der Standardästhetik der KI droht ein Verlust an künstlerischer Handschrift.
Für Julia Peglow bedeutet dies keine Katastrophe, sondern eine Chance: „80 Prozent der Kreativarbeit der letzten 25 Jahre war ohnehin sinnlos: PowerPoint schrubben, Pixel stempeln, Social Media befüllen. Jetzt haben wir endlich Zeit für echte Konzepte.“ An die Stelle der reinen Produktion treten neue Rollen: Creative Process Designer, Brand Strategy Facilitator und KI-Kurator. Kreative werden zu Navigator*innen im Dialog zwischen Mensch und Maschine. Der Kern bleibe dabei zutiefst menschlich, ist Peglow überzeugt: Dinge empathisch, überraschend und neu zu denken – all das lässt sich nicht automatisieren. Oder wie Scheichenost von HFA sagt: „Für die Beurteilung, ob etwas zum Markenkern passt, braucht es semiotisches, visuelles und kommunikatives Verständnis.“
„Wer sich als ‚Marken-Erlebnis-Architekt‘ positioniert und die KI klug einsetzt, gewinnt.“
HFA-STUDIO, via ChatGPT
Künstliche Intelligenz als Partner, nicht als Ersatz
KI verändert das Branding tiefgreifend, doch weder Unternehmen noch Agenturen und Einzelpersonen werden dadurch überflüssig. Vielmehr verschiebt sich die Kompetenz: Weg von der reinen Produktion, hin zu Strategie, Kuratierung und kreativem Denken. Man könnte sagen: Von der Idee her ein bisschen Back to the 80s and 90s, als auch die Werbefilmfestspiele in Cannes ihren Höhepunkt erlebten – nur eben mit neuen Strukturen und Tools. „Damals hat man die Kreativität eingekauft, heute müssen kreative Prozesse in die Unternehmen integriert werden“, so Peglow, „es geht um die Verschiebung von Arbeitsprozessen“.
Unternehmen, die ihre eigene Wissensbasis aufbauen, Agenturen, die als Marken-Hüter agieren, und Kreative, die sich als Prozessgestalter*innen verstehen – sie alle haben im KI-Zeitalter neue Chancen. Julia Peglow fasst es so zusammen: „KI soll menschliche Kreativität erweitern, nicht ersetzen.“ Oder wie es HFA mittels ChatGPT ausrichten lässt: „Wer sich als Marken-Erlebnis-Architekt positioniert, die KI klug einsetzt, jedoch die Seele der Marke formt, gewinnt“.