StartBusinessRobert Franken: Neue Männerrollen im Business diskutieren

Robert Franken: Neue Männerrollen im Business diskutieren

Sollten Männer Feministen sein? Unbedingt, sagt Robert Franken. Das Label „Feminist“ trägt er dennoch ungern vor sich her, schließlich handelt es sich weniger um eine Auszeichnung, als vielmehr um einen Auftrag.

Dieses Interview erschien zuerst am 9. September 2020 auf www.her-career.com

Gemeinsam mit dem dänischen Musiker und Publizisten Henrik Marstal hat Robert Franken vor viereinhalb Jahren die Plattform Male Feminists Europe ins Leben gerufen. Das Credo: „All men should support feminism.“  Robert war CEO der Plattformen Urbia.de und Chefkoch.de, und ist heute selbstständiger Digital and Diversity Activist und digitaler Transformations-Consultant. Er engagiert sich im Beirat von PANDA, einem Netzwerk für weibliche Führungskräfte, und schreibt in seinem Blog Digitale Tanzformation über den gesellschaftlichen Wandel durch die Digitalisierung. Auf der herCAREER, der Karriere-Leitmesse für Frauen, wird er einen Vortrag halten zu „Eine Frage der Kultur oder: warum wir nicht mehr über Diversity sprechen sollten.“ Im Interview vorab verrät er der herCAREER, warum Diversity als Ansatz nicht reicht, warum wir aufhören sollten, cis-Männer in den Führungsetagen durch cis-Frauen zu ersetzen, wie sich die Bewegung Black Lives Matter auf Unternehmen auswirkt und warum es auch eine Diskussion über die Männerrollen im Business braucht.

Wie wird man denn ein Feminist und wie war‘s bei dir? Gab es einen Auslöser?

Robert Franken: Es gibt permanent Auslöser. Ich weiß gar nicht, ob ich mich als Feminist oder maximal Profeminist bezeichnen sollte, weil ich niemandem den Platz wegnehmen will. Gleichzeitig bin ich überzeugt davon, dass sich gerade Männer auch positionieren und zur Thematik äußern sollten. Es gab für mich aber keine Initialzündung, sondern es war ein zäher Prozess. Ich repräsentiere diese schreckliche Norm: cis-Mann, hetero, recht alt, weiß. Meine feministische Politisierung fand eher über die Reflexion dieses nicht-diversen Setups statt. Es fiel eben auf, dass ich deswegen nicht diskriminiert und marginalisiert werde – im Gegensatz zu anderen Menschen, die das wegen eines anderen Setups sehr wohl werden. Es war subtil und nicht so eine Erkenntnis in your face. Man denkt sich eine Zeit lang: Was wollt ihr alle? Läuft doch. Als es mir dann mehr und mehr aufgefallen ist, dass es völlig unterschiedliche Chancen auf Teilhabe gibt, habe ich versucht, das besser zu verstehen. In dieser Phase bin ich immer noch: Ich versuche zu verstehen, zu diskutieren, zu lernen, was da los ist, und wie man dem beikommen kann.

Wer hat dich geprägt? Gab es in deinem Umfeld Frauen, die benachteiligt wurden?

Robert Franken: Spätestens beim Jobeintritt habe ich Benachteiligungen bemerkt, als Kolleginnen und später Mitarbeiterinnen über ihre Erfahrungen berichtet haben. Während des Studiums hatte ich eine sehr feministische Kommilitonin, die mir ihre Ansichten sehr deutlich vor Augen geführt hat. Ich fand das interessant bis anstrengend, aber vor allem wichtig und lehrreich. Es geht ja nicht nur um das Thema Frauen, sondern um die Frage: Wer hat welche Bedingungen zur Teilhabe? Hier liegt so viel im Argen, dass man das Thema aufmachen muss.

Wie du sagst, geht es ja nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit. Greift die derzeitige Debatte zu kurz?

Robert Franken: Die Diversity-Debatte wird häufig und vor allem in Deutschland binär zum Thema Frauen und Männer und Frauen in Führungspositionen geführt. Das ist zwar wichtig, aber lässt uns die Augen davor verschließen vor dem großen Ganzen: nämlich, dass wir eine Debatte zu führen haben darüber, wo wir gerade stehen. Wir haben nichts davon, wenn wir in der Businesswelt die weißen cis-Männer gegen weiße cis-Frauen ersetzen. Darum geht es im Diskurs aber fast ausschließlich und das macht mich gelegentlich wahnsinnig. Das ist nur ein Teilausschnitt, wenn wir vom Thema Inclusion sprechen – den Begriff Diversity möchte ich gar nicht unbedingt verwenden. Es ist erschreckend, wie viel wir hier noch vor uns haben und mit welchen Dingen sich die Leute schon zufrieden geben. Die Frage ist, wie schaffen wir entsprechende Rahmenbedingungen?

Du sprichst auch im Vortrag auf der herCAREER darüber, dass der Begriff Diversity nicht mehr zeitgemäß ist. Warum?

Robert Franken: Er beschränkt den Denkraum, bevor er überhaupt aufgemacht wurde. Diversity kommt häufig als eine Art Selbstzweck daher. Man denkt in den Unternehmen oft reißbrettartig: Man braucht noch diese und jene Leute im Team und schon ist man eine diverse Organisation. In meinem Verständnis ist das eine schwierige Vorstellung: Selbst wenn du mit dem Reißbrett eine vielfältige Organisation bauen könntest, was passiert dann? Was hat man davon?

Man schreibt es zum Beispiel stolz auf die Unternehmens-Webseite und macht eine Werbe-Kampagne damit?

Robert Franken: Ja, genau, dann wehen am Diversity-Tag überspitzt gesagt eben drei Regenbogenfahnen statt nur einer. Grundsätzlich endet die Bereitschaft, sich mit dem Thema tatsächlich auseinanderzusetzen, in dieser Beteiligungsausrufsorgie rund um Diversity. Ich finde es viel spannender zu denken: Welche Bedingungen muss ich schaffen, dass eben kaum mehr Hindernisse für bestimmte Gruppen vorhanden sind? Was muss ich für mehr Fairness tun, dass möglichst alle das Gefühl und das reale Erleben haben, echte Teilhabe zu bekommen? Das ist eine große, schwierige Aufgabe. Es gibt ja so Zuschreibungen wie: Diversity ist die Einladung zur Party, Inclusion die Aufforderung zum Tanz. Oder: Diversity als Ziel und Inclusion als Weg. Wir müssen weg von diesen abstrakten Begrifflichkeiten, die man so wunderbar institutionalisieren kann. Oft heißt es dann: Wir haben doch Programm A, Diversity-Beauftragte B und das Manifest C unterschrieben. Ich finde die Haltung schlauer, weniger über Diversity zu sprechen und stattdessen den Rahmen für gerechte Teilhabe zu bauen.

Wo verortest du die deutschen Unternehmen in Sachen Vielfalt tendenziell? Wird zu viel geredet und zu wenig getan?

Robert Franken: Man kann die Unternehmen natürlich nicht über einen Kamm scheren, aber man sieht es an der aktuellen Rassismusdebatte: Hier wird so getan, als sei das vor den Polizeimorden in den USA kein Thema gewesen. Für Black Lives Matter kann man gut auf die Straße gehen. Aber strukturellen und institutionellen Rassismus bei uns anzuerkennen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Wir müssen anerkennen, dass es Rassismus und Sexismus gibt, und das zum Teil in massiver Form – und dass wir alle so sozialisiert wurden. Wenn wir das tun würden, ohne mit dem Finger weit weg von uns auf andere zu zeigen, hätten wir eine Chance, weiterzukommen.

Bricht durch Black Lives Matter auch in Unternehmen nicht auch etwas auf?

Robert Franken: Ja, definitiv. Die Betroffenen in Unternehmen fühlen sich bestärkt und beginnen zu erzählen. Andere wachen auf. Spannend finde ich, dass People of Colour die Mehrheitsgesellschaft zur Reflexion über das Weißsein auffordern. Das bringt auch mich ins Straucheln, weil ich das bisher noch nie explizit machen musste. Du bist ja in der Regel dann erklärungsbedürftig, wenn du anders bist oder anders aussiehst als die Norm. Und jetzt soll sich mal die Mehrheitsgesellschaft erklären. Das finde ich gut. Hätten wir das früher gemacht, wären wir nie auf so schwachsinnige Konzepte wie etwa Leitkultur gekommen, sondern hätten uns als Gesellschaft mehr als Summe aller Teile gesehen, die wir ja sind.

Umgelegt auf die Frauendiskussionen bedeutet das: wir sollten nicht nur über Frauenquoten in Vorständen diskutieren, sondern auch über die Rolle der Männer?

Robert Franken: Absolut. Die Männer werden gerade auf allen Ebenen abgehängt. Sie glauben, dass die Frauen jetzt die Transformationsarbeit für sie mitmachen. Aber das wird so nicht gehen. Wir haben andererseits einen Elefanten im Raum, der heißt: Wir brauchen nicht nur mehr Frauen in der Führung, sondern auch: Wir brauchen weniger Männer, oder zumindest weniger weiße Männer. Darüber redet niemand, weil es dazu kein positives Narrativ gibt. Hier geht es um Mangel und Verlust. Hier wird es sehr fragil in der Diskussion und das ist auch verständlich. Nur, vielleicht gibt es auch andere positive Aspekte dieses Platzmachens für die Männer. Für Männer wird das ein schmerzhafter Prozess: Sie müssen sich aus ihren Gedankenwelten lösen, sie haben oft nur diese eine Schiene der Karriere und des Statusstrebens. Aber es geht doch darum, ihnen auch andere Lebensrealitäten zur Wahl anzubieten außer der klassischen vollen Karriere. Vielleicht steckt hier Kraft drin. Das müssen wir diskutieren und dazu brauchen auch Männer ggf. so etwas wie safe spaces. Natürlich unter Beteiligung von Frauen, denn es geht ja ums Zuhören und Lernen.

Unternehmen handeln in der Regel erst, wenn es weh tut: wenn sie Kundengruppen nicht bedienen können. Dann versucht man über Diversity sie anzusprechen. Braucht es immer den potenziellen Profit als Motivator?

Robert Franken: Leider kommt oft die Argumentation in Richtung dieser Marktfaktoren: Was haben wir denn davon, was ist der Business Case zu Diversity? Es heißt ja oft, Unternehmen mit mehr Frauen in Führung erzielen einen höheren Turnover und sind insgesamt erfolgreicher. Das ist Quatsch! Die Unternehmen, die mehr Frauen in Führung haben, haben eine andere Innovationskultur, weil sie grundsätzlich eine andere Haltung und Unternehmenskultur haben und dadurch eben u. a. auch mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Das ist das positive Symptom einer Unternehmenskultur und nicht die Ursache für mehr Umsatz oder Gewinn. Und: Wenn wir das Ganze auf den Profit runterbrechen, dann beschränken wir von Vornherein unseren Tätigkeitsraum auf eine nicht legitime Weise. Es kann doch nicht immer darum gehen, dass man einen unmittelbaren Nutzen daraus zieht. Wenn Unternehmer sagen, für mich ist Inclusion nicht das Richtige, ist das legitim – wir leben in einer Demokratie. Dann stellt sich die Frage, wer sind denn die Mitstreiter*innen in Zukunft, die dieses Unternehmen weiterentwickeln? Du musst heutzutage im Business viel mehr Stakeholder in den Blick nehmen als das früher im klassisch-linearen Geschäftsmodell der Fall war. Dementsprechend ist Gewinnmaximierung kein Daseinszweck mehr für eine Organisation. Der Wandel und die Brüche in der Wirtschaft sind in dieser Hinsicht ja bereits spürbar, wir haben nur noch kein neues System dafür.

Oft wird der Eindruck erweckt, zwei, drei Frauen im Vorstand reichen aus, um etwas in der Kultur zu bewirken.

Robert Franken: Oder erst einmal eine Frau. Die wird dann als sogenannte Token, als quasi symbolhafte Vertreterin ihres Geschlechts beäugt, was totaler Wahnsinn ist. Es ist sogar kontraproduktiv, nur eine Frau in den Vorstand zu bringen. Zumal Frauen, die als Erste in den Vorstand gekommen sind, in diesem System schon so viele Anpassungsleistungen durchmachen mussten, dass sie kaum von den Männern zu unterscheiden sind. Das meine ich nicht als Vorwurf. Die Frauen wissen aber, dass sie mit dem Thema Diversity oder Gender Equality ab einer bestimmten Managementposition keinen Blumentopf gewinnen. Das Thema Diversity schadet ab einem gewissen Führungslevel der eigenen Karriere anstatt dass es nützt – eine beschissene Situation. Das betrifft übrigens auch die wenigen Männer, die sich dafür einsetzen. Wir brauchen einen systemischen Shift – und den kriegen wir nur hin, wenn diejenigen, die Entscheidungsmacht haben, sich bewegen. Und das sind zum überwiegenden Teil immer noch die Männer. Hier sehe ich speziell für Deutschland noch sehr, sehr dunkelgrau.

Warum sollten Männer sich für Frauen einsetzen und sich selbst abschaffen? Wenn sie doch dazu tendieren, dass sie ihre eigenen Mini-Mes einstellen? Das wird ja immer wieder unterstellt.

Robert Franken: Hier hat sich schon ein bisschen etwas getan. Zum Teil gibt es diese Monokulturen noch, weil sie sehr bequem sind. Für die Leute, die Teil dieser Monokultur sind, ist es gut, sie kennen ihre Pappenheimer, man sieht sich an, spricht kurz und ist einer Meinung und kann taktisch rasch Entscheidungen treffen. Wenn dann eine Person reinkommt, die anders tickt, stört das. Das stimmt ja auch, das macht erstmal keinen Spaß. Daher muss man auch anders auf diese Situation draufgucken: Wir haben schlicht keine Wahl mehr. Hinzu kommt: die Auftragsvergaben verändern sich zunehmend. Sobald Unternehmen rausfliegen, weil sie nicht divers sind, gibt es Handlungsbedarf.

Was sagst du solchen Männern? Die wollen ja überzeugt werden. Ihnen zu sagen, dass rein profitorientiertes Denken nicht mehr zeitgemäß ist, reicht vermutlich nicht immer.

Robert Franken: Das ist schwierig und hängt auch von der Empathiefähigkeit der Männer ab. Die Frage, die ich stelle, ist: Warum und wie hat sich bei euch Exclusion eingebürgert? Warum schließt ihr bestimmte Menschen aus? Was macht das mit dir, wenn du dich umguckst? Dann gibt es eben welche, die keinen empathischen Zugang haben. Hier kann man mit dem innovativen Business-Modell argumentieren oder auf den Faktor Zeit hoffen – darauf, dass sie irgendwann gegangen werden. Das Problem ist: Viele sagen, mit der neuen Generation der Männer wird alles anders. Das sehe ich nicht. Sie sind ja auch im alten System und traditionellen Männerbildern sozialisiert und fallen in alte Fallen, sobald sie etwa Familie haben. Die führen ja oft auch die Leben ihrer Eltern, das ist nicht so einfach. Retraditionalisierung ist ein Faktor.

Spannend ist, dass in Tech-Startup-Bereich der Männeranteil sehr hoch ist. Hier tun sich dann Seilschaften der jungen Männer auf: nur gehen sie nicht zum Golf, sondern zum Fliegenfischen.

Robert Franken: Genau, die Bro-Culture ist irgendwann hipp geworden. Das sieht man auch an einschlägigen Männer-Wochenenden und Männer-Retreats. Eine Bekannte hat mir einen Folder in die Hand gedrückt mit coolen Typen, mit Vollbart und Holzfällerhemd im Wald. Das würde mich so abschrecken. Ich hätte das Gefühl, ich muss erstmal drei Jahre in die Muckibude, bevor ich zu denen auf ein Wochenende gehe. Wenn wir systemisch etwas verändern wollen, dass sich nicht mehr nur die „Bros“ im Studium zusammenschließen und auf Gründerfotos vier Jungs in weißen Hemden abgebildet sind, müssen wir auch die Startup-Landschaft in den Blick nehmen – und damit auch die Finanzierung. Heißt: Es sollte kein Geld für monokulturelle Startups geben. Genauso wie heute bestimmte Investment-Fonds in Sachen Nachhaltigkeit keine Erdölförderungen mehr unterstützen, gibt es dann hoffentlich auch solche, die Monokulturen nicht wollen, weil sie wissen: Sie sind innovationsfeindlich. Erste Beispiele gibt es ja auch bereits.

Ist die Digitalisierung also eher kein Treiber für Inklusion?

Robert Franken: Null. Die Digitalisierung wird seit 20 Jahren von der Mehrheit als Prozessoptimierungs- und Effizienzsteigerungsmaschine verstanden, niemals aber als Chance für gesellschaftlichen Wandel. Die  Digitalisierung ist ein Beschleunigungsmotor, der die positiven, aber auch die negativen Folgen wie etwa asymmetrische Geschlechterverhältnisse weiterhin beschleunigen wird. Zum Glück gibt ja die Möglichkeit, Leuten einen Perspektivenwechsel näherzubringen. Sonst hätte ich mit meiner Arbeit schon aufgehört.

Die neue Arbeitswelt geht laut Experten in zwei Richtungen: einerseits wird Individualisierung in Bezug auf die persönlichen Stärken des Einzelnen wichtiger, andererseits auch die  Kollektivierung, die übergreifende Zusammenarbeit und Orientierung an gemeinsamen und gesellschaftlichen Zielen und Werten. Wenn dem so ist, müsste man ja auch vom Labelling weggehen: also weg vom Etikett „Frau“, „Mann“, „schwarz“, „weiß“, „muslimisch“, „christlich“, etc. hin zur Erfassung des Individuums. Siehst du hier eine Chance?

Robert Franken: Da wäre eine Hoffnung, wenn das starke Bewusstsein der Individualität ebenso austariert vorhanden ist wie die kollektive Herangehensweise. Wenn du Vielfalt erlebst, erlebst du sie in der Regel als etwas sehr Positives, nur: Wir erleben sie ja nicht. Das ist ein Henne-Ei-Problem. Wir wehren eher ab, weil wir Menschen keine Veränderung mögen. Nimm das Thema Einwanderung. Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft, punkt. Wir sollten das Optimum rausziehen, für die, die einwandern, für die, die schon da waren und für die, die kommen wollen. Wir könnten die Chance für das große Ganze sehen, haben aber Angst vor Verlust von Wasauchimmer und wehren ab. Hier brauchen wir auch politisch ein richtiges Zielbild und einen – ok, ich wollte das Wort vermeiden – Purpose.

Was wären denn die ersten Schritte zur echten Inclusion in Unternehmen? Zum Beispiel wenn wir über multiple Formen der Diskriminierung sprechen? Vorträge kratzen ja auch immer nur an der Oberfläche.

Robert Franken: Das ist auch tatsächlich die Oberfläche. Ich zeige in meinen Vorträgen auf: Ich bin genauso wie ihr. Aber ich versuche auch einen anderen Blick einzunehmen. Welche Rolle spiele ich mit meiner Haltung? Delegiere ich das im Management an HR, die dann für Inclusion und Diversity zuständig sind oder sehe ich das auch als Aufgabe der Führungskräfte? Die ersten Schritte sind die Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung, den eigenen Glaubenssätzen und dann mit der Unternehmenskultur – die ja auch aus mentalen Modellen und kollektiven Glaubenssätzen besteht, die einerseits zum Erfolg geführt haben, andererseits aber eben auch dazu, dass bestimmte Dinge und Menschen ausgeschlossen, absorbiert und abgewehrt werden. Dann stellt sich die Frage, wollen wir so weitermachen? Wenn die Antwort ja lautet, dann ist das so. Wenn sie nein lautet, folgen daraus eben Konsequenzen. Ein Antirassimus-Training würde auf organisationaler Ebene vielleicht mehr helfen als ein Diversity-Workshop. Letzteres wird immer so positiv geframed. Aber wenn wir sagen, wir befassen uns mit unserem eigenen bewussten und unbewussten Rassismen und anderen -ismen, dann kann man Mechanismen aufzeigen, mit denen die Leute tatsächlich etwas anfangen können.

Welche Lösungen gibt es konkret für Inclusion? Mit welchen Fragen sollte man den Bewusstseinsprozess starten?

Robert Franken: Es gibt Momente, wo ich Menschen in Organisationsprozessen frage: Wieviel Energie müsst ihr morgens aufwenden, um hier überhaupt zu sitzen? Wenn du das einen alten weißen Mann fragst, schaut der dich an und fragst sich: Was will der von mir? Wenn ich das eine Woman of Colour in einer Branche mit Männerüberschuss frage, kann sie mir eine konkrete Prozentzahl ihrer Energieressourcen sagen. Hier empathisch zu sein und sich mit den Rahmenbedingungen und der Organisationskultur auseinanderzusetzen und so Zusammenhänge zu erkennen – das wäre die optimale Haltung einer Organisation. Wir müssen die Voraussetzungen  schaffen, dass bestimmte Maßnahmen die Chance haben, Veränderungen zu evozieren und die auch sinnvoll in Bezug zu anderen Maßnahmen stehen. Viele wundern sich, dass ihre Maßnahmen nirgends andocken. Deswegen beschäftige ich mich so mit dem Thema Unternehmenskultur: um zu zeigen, dass sie Betriebssystem und Immunsystem gleichzeitig für die Organisation ist. Es muss klar sein: In welche Richtung wollen wir als Organisation gehen, in Bezug auf unseren Purpose? Welche Stakeholder wollen wir einbinden? Wie wollen wir das Thema Nachhaltigkeit angehen? Wenn Unternehmen behaupten, Diversity oder Inclusion sei ihnen wichtig, dann müssen sie sich auch daran messen lassen und die Menschen im Unternehmen zu Wort kommen lassen. Wie finden sie sich in der Organisation zurecht, welche Chancen und welche Teilhabe haben sie, wie können sie Karriere machen, wie werden sie bezahlt, wie fühlen sie sich? Es geht nicht darum, es allen recht zu machen, sondern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was wir im Unternehmen tun und welche Auswirkungen damit einhergehen.


Über Robert Franken

Robert Franken unterstützt Unternehmen im Bereich Transformation, Organisationsentwicklung und D&I. Einer seiner Beratungsschwerpunkte sind Organisationskulturen. Er setzt sich für Diversity und Gender Equality ein und hat u. a. die Plattform „Male Feminists Europe“ mitgegründet. Auf seinem Blog „Digitale Tanzformation“ schreibt der ehemalige CEO von Chefkoch.de und urbia.de über die Frage, welche systemischen Rahmenbedingungen den (nicht nur) digitalen Wandel hemmen oder beschleunigen können. Robert Franken ist Beirat von PANDA, dem Netzwerk für weibliche Führungskräfte. Seit 2018 ist er einer der sechs ehrenamtlichen Botschafter für #HeForShe Deutschland.

Über die herCAREER

Die herCAREER ist Deutschlands Leitmesse für die weibliche Karriereplanung. Sie findet im September/ Oktober 2021 bereits zum sechsten Mal in Münchenstatt und wird mit dem Netzwerkevent herCAREER@Night abgerundet. Mit der Messe und der Netzwerkveranstaltung wurde eine Plattform geschaffen, die Jobeinsteigerinnen, aber auch Aufsteigerinnen und Gründerinnen Netzwerke erschließt, die sie dabei unterstützen, beruflich weiter und schneller voranzukommen.

Fotomaterial© Martina Goyert

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