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Arbeitszeit runter, Zufriedenheit hoch?

Macht uns weniger arbeiten tatsächlich glücklicher? Oder geht es in Wahrheit um etwas anderes, irgendwo zwischen kollektiver Müdigkeit und Selbstbestimmung? Die Antworten liefert Autorin Julia Heinz in ihrer Kolumne.

In der Altsteinzeit arbeiteten die Jäger und Sammler nur drei Stunden am Tag. Müßiggang statt ackern, lautete die Devise. Sie lebten nicht, um zu arbeiten, sondern arbeiteten, um zu leben. Mit etwa 15 Wochenstunden sicherten sie ihr Auskommen und hatten dabei auch noch reichlich Spaß. Auffallend war der Fokus auf soziale Gleichheit und ein Miteinander – denn Frauen und Männer sorgten gleichermaßen für den Lebensunterhalt. Eine gesunde Ernährung und eine vergleichsweise hohe Lebenserwartung gabs quasi on top. Klingt gut? Das war vor 20.000 Jahren. 

Zurück in die Zukunft

Heute bestimmt Arbeit unser Leben und ist Kern der modernen Gesellschaften. Arbeitest du noch oder lebst du schon? – Das kennen wir so ähnlich aus der Werbung. Der Leistungsgedanke ist en vouge, es darf gerne immer noch ein bisschen schneller, höher und weiter sein.

Auf der anderen Seite wird der Ruf nach einer Reduzierung der Arbeitszeit oder einer Vier-Tage-Woche immer lauter – und geht einher mit dem Infragestellen der Arbeitsmoral. Weniger Leistung, geringere Produktivität, weniger Wohlstand – so häufig der Tenor. Aber ist es im 21. Jahrhundert und mit zunehmender Digitalisierung tatsächlich so einfach? Und sind wir wirklich nicht mehr bereit, so richtig ranzuklotzen? Oder geht es in Wahrheit um etwas ganz anders?

Zwischen dem Verlangen nach Pflichttagen im Büro, einer Headquarter-Denke und der steigenden Zahl der Krankheitstage darf darüber nachgedacht werden, ob früher nicht doch manches besser war. Wenn sich äußere Umstände so immanent und rasant verändern, dürfen – nein, müssen sich auch die Rahmenbedingen und Strukturen ändern. Wir hängen da immer ein bisschen hinterher und wundern uns dann, warum die Zukunft immer so plötzlich kommt. An dieser Stelle verrate ich ein Geheimnis: Wir können die Zukunft aktiv gestalten – und das bereits heute. 

Motivation als Anreiz

Dem Festhalten an alten Strukturen liegt ein Menschenbild zugrunde, dass Leistung nur auf Basis von Zwang abgerufen werden kann. Prof. Tobias Esch, Neurologe und Glücksforscher, sagt, dass wir langfristig am glücklichsten sind, wenn wir unser Warum finden. Ein innerer Antrieb, der uns morgens aufstehen lässt.

Was pathetisch klingt, hat einen evolutionsbiologischen Hintergrund. Anreize als Motivation, die das Belohnungszentrum im Gehirn aktivieren, gehen auf unsere Urinstinke zurück. Früher war der Antrieb oft der treibende Hunger, dann war es womöglich Prestige, Ruhm oder Geld. Doch was ist es heute? In einer gesättigten, fast vom Überfluss erdrückten Welt verlieren monetäre Anreize immer mehr ihren Reiz. 

Die Jäger und Sammler erlebten ihre Umwelt als Fülle, so Anthropologe James Suzman. Durch die zunehmende Sesshaftigkeit veränderte sich auch die Einstellung zur Arbeit fundamental. Der Faktor Zeit wurde relevanter und als größte Veränderung nennt Suzman, dass das Handeln auf Zukünftiges ausgerichtet wurde.

Das Leben im Moment hatte also ein Ende. Dabei sind sich Glücksforscher*innen und Neurolog*innen weltweit einig, dass uns genau das am glücklichsten macht. Wollen wir also wieder leben wie in der Steinzeit? Sicher nicht, auch wenn manche zumindest die Ernährungsweise loben. Aber das ist ein anderes Thema. 

„Wenn Unternehmen fast verbissen an bestehenden Abläufen festhalten und dennoch auf Veränderungen hoffen, ist das in etwa so, wie am Bahnhof auf ein Schiff zu warten.“

In Wahrheit steckt etwas anders dahinter. Es geht um Selbst- und Fremdbestimmung. Und darum, dass das in den letzten Jahren ein bisschen aus dem Gleichgewicht geraten ist. In einer hochmodernen Welt, in der wir mit dem Smartphone fast alles machen und überall hinkommen können, ist die Flexibilität am Arbeitsplatz im Mittelalter steckengeblieben. Nun können wir gesellschaftliche Bewegungen nicht ad hoc ändern, aber wir können unsere Sicht auf die Dinge verändern. Und wenn sich äußere Umstände so immanent verändern, dürfen – nein, müssen sich auch Rahmenbedingungen und Strukturen ändern. 

Wenn Unternehmen fast verbissen an bestehenden Abläufen festhalten und dennoch auf (positive) Veränderungen hoffen, ist das in etwa so, wie am Bahnhof auf ein Schiff zu warten. Das Verlangen physischer Anwesenheit im Büro deckt die schwelende Angst vor Macht- und Kontrollverlust auf und den Irrglauben, diese durch reine Präsenz zurückzuerlangen.

„Allein durch das Festhalten an Gewohntem und Mikromanagement par excellence wird sich nichts ändern.“

Das geht zu Lasten von weniger Privilegierten. Teilzeitkräften, Frauen oder Menschen, die auf dem Land leben und einen weiteren Weg zu Arbeit haben. Dadurch wird Flexibilität von oben genommen – was Ungleichheit schürt, die zu Unzufriedenheit führt. Die Angst vor Machtverlust sitzt tief. Doch allein durch das Festhalten an Gewohntem und Mikromanagement par excellence wird sich nichts ändern. Im Gegenteil. 

Was wäre wenn?

Was wäre, wenn wir uns von dem starren Menschenbild, das per se davon ausgeht, dass ohne Zwang eben nix geht, loslösen? Und vielleicht sogar das Negieren der aktuellen Realität ad acta legen könnten? Wenn wir vom Konjunktiv ins Präsens zurückkehren könnten?

Meinen viel zitierten Charles Darwin möchte ich an dieser Stelle nochmals ins Gedächtnis rufen: nur der/die Bestangepasste überlebt. Ganz so dramatisch würde ich es nicht formulieren, aber you get the point

„Was wäre, wenn wir tatsächlich alle all in gehen würden, anstatt Dienst nach Vorschrift zu machen?“

Und, mal ganz philosophisch gedacht: Liegt all dem natürlich die Aufrechterhaltung des bestehenden Systems zugrunde. Einem höher, schneller, weiter und auf kontinuierlichem Wachstum basierend. In Anbetracht begrenzter Ressourcen darf zumindest über alternative Wege und mögliche Lösungen nachgedacht werden. Die Zukunft kommt ja immer schneller als uns lieb ist. Das ist ein bisschen wie mit Weihnachten.

Aber was wäre, wenn wir tatsächlich alle all in gehen würden, anstatt Dienst nach Vorschrift zu machen? Wenn alle unfreiwilligen Teilzeitkräfte in den Arbeitsmarkt integriert würden. Wenn anerkannte Geflüchtete arbeiten könnten. Wenn alle arbeiten dürften, die wollen und nicht müssten, weil sie sollten. Wenn wir uns alle mal ein bisschen locker machen würden und erkennen: es geht nicht um faul oder fleißig. Es geht um ein grundlegend anderes Verständnis von Arbeit, Menschen und um nichts Geringeres als das Leben an sich. 

Unsere Lebenserwartung steigt und dennoch leben wir immer ungesünder. Äußere Faktoren und innerer Druck gehen einher mit dem Gefühl, irgendwie festzustecken. 

„Dass vollzeitarbeitende Frauen das Bruttoinlandsprodukt steigern, ist common sense.“

Dass nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen ist, ist eh klar. Und dass die Finanzierungsfrage aus unternehmerischer und gesellschaftlicher Sicht geklärt sein muss, versteht sich von selbst. Dass vollzeitarbeitende Frauen das Bruttoinlandsprodukt steigern, ist common sense. Und, dass selbst wenn die gesamte Gen Z 50 Stunden pro Woche arbeitet, wir nicht umhinkommen das Rentensystem zu überdenken, liegt auch auf der Hand. 

Wir haben genug Menschen und genug Potenzial. Es ist alles da, wir müssen es nur klug nutzen und bereits jetzt die Weichen für die Zukunft stellen. Dass Selbstbestimmtheit und Freiheit einen größeren Stellenwert einnehmen werden, zeigen die jüngsten Entwicklungen. Zudem sind intrinsische Motivatoren unschlagbar, wenn es um Antrieb und Produktivität geht. Studien belegen das eindeutig. Warum wir uns dennoch an das starre Nine-to-five-Korsett und Präsenzzeit klammern, bleibt fraglich. 

Ohne Health kein Wealth

Es geht um mehr als eine Work-Life-Balance. Es ist kein entweder oder. Kein schwarz oder weiß. Viel mehr ein Ineinandergreifen beider Teile, denn ohne Life keine Work und ohne Work kein Life. Und ohne Health kein Wealth. Wenn Mitarbeiter*innen verbrannt werden, hat am Ende niemand was davon. Am allerwenigsten das Unternehmen selbst. Denn was ist ein Unternehmen ohne Mitarbeiter*innen?

Es muss flexible Arbeitszeiten geben, ein Anpassen der Arbeitsbedingungen an die Lebensumstände und nicht umgekehrt – so wie das die Skandinavier seit Jahren machen. Ohne Produktivitätsverlust. In globalen Arbeitsmodellen ist schließlich immer irgendwo 9:00 Uhr. Und die beste Arbeitsumgebung immer die, die du bevorzugst. As easy as that. 

Natürlich ist Homeoffice nicht überall möglich, aber überall, wo remote gearbeitet werden kann, soll das möglich sein. Nicht nur und ausschließlich. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen. Interaktion fördert Kreativität und Zusammenhalt – ein Gemeinschaftsdenken, das trotz aller Individualität kollektive Produktivität fördert. 

Aber es sind eben auch nicht alle gleich, der eine braucht das und die andere jenes. Bedürfnisse zu erkennen und flexible Modelle zu offerieren, gehört zur Kernkompetenz modernen Leaderships. Es geht darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, statt Zwänge. Orte, zur Potenzialentfaltung, statt ermüdender Konstrukte. Gemeinsam und gleichberechtig. Ein bisschen Jäger und Sammler Spirit, nur besser.


Über die Autorin

Julia Heinz ist Volkswirtin, Kommunikationsexpertin und Gründerin der Strategieberatung communique. Sie berät Unternehmen, Personen und NGO´s hinsichtlich ihrer strategischen Positionierung, relevanter Zielgruppenanalyse und der ganzheitlichen Kommunikation. Mit ihrem wertebasierten Ansatz baut sie Brücken und setzt nachhaltige Impulse, um Haltung medienübergreifend sichtbar zu machen.

Als Markenstrategin ist sie überzeugt, dass gelebte Werte verbinden und die Grundlage für erfolgreiche Marken bilden, die nachhaltig im Gedächtnis bleiben. Ihr Credo: Wertschöpfung entsteht auch durch Wertschätzung und ohne Markenkern kein Markenauftritt.


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