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Arbeit gehört ins Leben und nicht auf die Strafbank

Österreich und Deutschland führen bei Teilzeitquoten – und bei der Pensionslücke. Weniger Stunden bedeuten weniger Einkommen, Vorsorge und Pension. Es braucht endlich zeitgemäße Karenzlösungen und flächendeckende Kinderbetreuung. Und ein neues Narrativ über Arbeit, wenn wir unseren Wohlstand halten wollen.

Zwei Debatten beherrschen derzeit die Schlagzeilen: die Pensionslücke zwischen Männern und Frauen – und das sogenannte Teilzeitproblem. Österreich und Deutschland liegen bei den Teilzeitquoten im europäischen Spitzenfeld: 29,4 Prozent in Deutschland (Frauenanteil 49,1 Prozent) und 30,2 Prozent in Österreich (Frauenanteil 49,9 Prozent)*. Der Zusammenhang ist klar: Wer weniger arbeitet, verdient weniger – und bekommt später deutlich weniger Pension.

Wie gravierend das ist, zeigen aktuelle Zahlen: Nur 12 Prozent der Frauen in Österreich glauben, von ihrer staatlichen Pension gut leben zu können. Die Realität: Frauen beziehen im Schnitt 1.409 Euro, Männer 2.374 Euro. Auch private Vorsorge ist betroffen: Zwar schließen Frauen fast ebenso häufig Lebensversicherungen ab wie Männer, zahlen aber im Schnitt 17 Prozent weniger ein – schlicht, weil das Geld fehlt. Der Gender Pay Gap liegt in Österreich bei rund 18 Prozent (Deutschland 16 Prozent), der Gender Pension Gap sogar bei 40 Prozent (Österreich) und knapp 34 Prozent (Deutschland)*.

Die Ursachen dafür sind so bekannt, dass man sich für die Politik fremdschämt, sie immer wieder aufzählen zu müssen: Noch immer fehlen ausreichend Kinderbetreuungsplätze – vor allem auf dem Land und in kleineren Städten, oft genau dort, wo große Arbeitgeber*innen sitzen oder sich in den letzten Jahrzehnten Industrieregionen gebildet haben. Noch immer wird das tradierte Rollenbild von Mann und Frau – politisch – weitergetragen, indem etwa das Karenzgeld nicht an eine faire Aufteilung der Elternzeit zwischen beiden Elternteilen gebunden ist. Aber: Es gibt auch eine stark zunehmende Gruppe von Kinderlosen, die bewusst weniger arbeiten, um mehr „Work-Life-Balance“ zu haben.

Hier lohnt sich ein Blick auf unsere kulturellen Erzählungen. Woher kommt diese strikte Trennung von Arbeit und Leben? Aus der „Freizeitgesellschaft“ – einem idealisierten, stark beworbenen Begriff, der erstmals in den 1950er-Jahren auftauchte, als die Einkommen stiegen und Arbeitszeiten sanken? Aus bestimmten reichweitenstarken Radiosendern, die schon am Dienstag früh den Countdown zum Wochenende einläuten? Oder aus der Politik, die längeres Arbeiten wie eine Strafe inszeniert?

Natürlich ist nicht jede Arbeit angenehm, gut bezahlt oder sinnstiftend. Aber für die Mehrheit in unserem Kulturraum ist sie mehr als nur Broterwerb: Sie bedeutet soziale Kontakte, Struktur, geistige Wachheit – und oft auch Sinn. Studien zeigen, dass gerade ältere Beschäftigte gerne länger arbeiten würden. Gleichzeitig herrscht Fachkräftemangel. Unternehmen buhlen um gute Mitarbeiter*innen und überlegen so intensiv wie nie, wie sie ihre Leute halten, motivieren und ihnen Gestaltungsräume bieten können. Noch nie war es so gut und wertgeschätzt möglich, Arbeit aktiv mitzugestalten.

Deshalb brauchen wir nicht nur flächendeckende Kinderbetreuung und eine zeitgemäße Karenzgeldregelung – und zwar beides jetzt –, sondern auch ein neues Narrativ. Eines, das Arbeit nicht andauernd als Feind des guten Lebens darstellt, sondern als gestaltbaren, positiven Teil davon. Denn wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, ist nicht weniger Arbeit die Lösung für ein erfülltes Leben, sondern die, die wir haben, mit Leben zu füllen.

* Studien: statista.de; Valida Vorsorge Management (2025); Helvetia Österreich (2025)

Fotomaterial(c) Canva

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