Durch den demographischen Wandel ändern sich die Bedürfnisse der Menschen beim Wohnen. Zudem sind familiäre Strukturen in unserer Gesellschaft längst nicht mehr selbstverständlich. Und so sind ältere Menschen immer häufiger von Einsamkeit betroffen und auf fremde Hilfe angewiesen. Diesen negativen Folgen begegnet man nun immer öfter mit Wohnprojekten, in denen mehrere Generationen Platz finden und sich gegenseitig ergänzen.
Das sogenannte Mehrgenerationenwohnen ist ein Wohnkonzept, bei dem drei oder mehr Generationen unter einem Dach zusammenleben, was jedoch nicht zwangsläufig eine Familiensache sein muss. Mehrgenerationen-Wohnanlagen, -Doppelhäuser, genossenschaftliche Wohnprojekte oder Co-Housing-Communitys wollen Menschen aller Altersgruppen näher zusammenbringen und gegenseitige Unterstützung ermöglichen. Im Idealfall profitieren alle vom Zusammenleben von Jung und Alt. Berufstätige Eltern finden im Haus Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder, wie etwa Leihgroßeltern. Jüngere übernehmen Besorgungen für ältere Bewohner:innen oder unterstützen diese im Alltag. Gemeinschaftseinrichtungen und -aktivitäten sorgen außer dem dafür, dass Senior:innen stärker in die Wohngemeinschaft eingebunden sind und am Leben der jüngeren Generationen teilnehmen können.
Einbindung aller Stakeholder
Damit das Zusammenleben verschiedener Generationen klappt, muss schon beim Bau von Mehrgenerationen Wohnanlagen sehr feinfühlig mit den Interessen der jeweiligen Generationen umgegangen und mögliche „Konfliktpotenziale“ schon in der Planung und Entwicklung erkannt und berücksichtigt werden. Zudem ist Barrierefreiheit ein wichtiger Punkt. Diese sollte über die gesetzlichen und normativen Vorgaben hinaus bereits integriert oder zumindest vorbereitet werden. „Zusätzlich macht es Sinn, schon frühzeitig mögliche Betreiber beziehungsweise andere Stakeholder einzubinden, um bauliche Maßnahmen zur optimalen Förderung des Generationenwohnens zu ermöglichen. Hier denke ich beispielsweise an direkte bauliche Verbindungen zwischen Senioren-Wohnbereichen und integriertem Kindergarten in einem Objekt“, erklärt Andreas Holler, Geschäftsführer der BUWOG Group GmbH, und weiter: „Wir sehen beim Mehrgenerationenwohnen eine anhaltende Nachfrage und bedienen diese auch regelmäßig. Es wird auf adaptierbare Grundrisse in den Wohnungen und unterschiedliche Gemeinschaftsflächen in den Projekten geachtet, um sowohl die individuellen, als auch die gemeinschaftlichen Bedürfnisse zu erfüllen.“ Im BUWOG-Projekt Kennedy Garden in Wien wurde neben Eigentums- und Mietwohnungen in unterschiedlichen Preissegmenten auch ein Bauteil mit Mietwohnungen gemäß WBI (Wiener Wohnbauinitiative) realisiert. Hier wurde, dem erhöhten Bedarf nach sozialem Austausch entsprechend, eine inklusive architektonische Gestaltung mit diversen
Gemeinschaftsräumen umgesetzt. Auch die Parkanlage zwischen den einzelnen Bauteilen des Projekts ist an verschiedene Bedürfnisse ausgerichtet und bietet Ruhezonen für ältere Bewohner:innen ebenso wie zahlreiche Spiel- und Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche. Holler: „Auch bei der zukünftigen Projektentwicklung hat die BUWOG das Thema Mehrgenerationenwohnen vor Augen, so ist etwa gerade ein Quartier in der Pipeline, bei dem ein Bauteil auch ein Seniorenwohnheim beheimaten wird.“

„Wir sehen beim Mehrgenerationenwohnen eine anhaltende Nachfrage und bedienen diese auch regelmäßig.“
Eine freudvolle, lebendige Umgebung schaffen
Mit den österreichweiten Projekt „Haus im Leben” wurden bereits in Wien, Niederösterreich und Tirol mehrere gut funktionierende Projekte zum Mehrgenerationenwohnen umgesetzt. Hierbei sollen die Vorteile genutzt werden, die auch eine Großfamilie bietet. Das „Haus im Leben” Konzept wurde vom Innsbrucker Unternehmensberater Anton Stabentheiner und dem Altenheimleiter Kurt Dander begründet. „Die Idee für ,Haus im Leben‘ entstand aus der Überlegung heraus, dass es für Menschen im Alter bis dato als einziges Wohnangebot ein Altersheim gab. Aus diversen Studien weiß man bereits seit einiger Zeit, dass alte Menschen sich nicht nur wohler fühlen, wenn sie in die Gesellschaft integriert sind, sondern es auch zur Verbesserung der Gesundheit beiträgt“, so Stabentheiner. „,Haus im Leben‘ wollte und will noch heute der Ghettobildung und Absonderung von älteren Personen entgegenwirken und sie ihre letzten Lebensjahre in freudvoller und lebendiger Umgebung verbringen lassen“, erläutert er weiter. Das Konzept basiert darauf, ein Drittel der Wohnungen mit bis zu 40-Jährigen zu besetzen, im zweiten Drittel soll 40- bis 60-Jährige wohnen und im letzten Drittel 60+ Menschen. Stabentheiner: „Dieser Schlüssel sollte unbedingt eingehalten werden. Darüber hinaus muss es noch Platz für Menschen mit Beeinträchtigung geben beziehungsweise Menschen mit erhöhtem Betreuungsbedarf. Es handelt sich um ein ausgeklügeltes System, das allen Mieterinnen und Mietern vom ,Haus im Leben‘ ein Wohnen mit nachbarschaftlicher Unterstützung und größtmöglichem Benefit bietet.“

In den 96 Wohnungen der Wohnanlage „Haus im Leben“ im Westen von Innsbruck wohnen 150 Menschen aller Altersgruppen. Die Wohnungen sind zwischen 45 und 100 Quadratmetern groß. Alle „Häuser im Leben“ verfügen zudem über viele Gemeinschaftsflächen, wie einen Aufenthaltsraum mit Küche, einen gemeinschaftlichen Garten, in manchen Häusern eine Werkstatt für alle und Begegnungsflächen in den einzelnen Stockwerken. „Damit das Zusammenleben einer so großen Gemeinschaft, die gegenseitige nachbarschaftliche Unterstützung und die Bespielung der Gemeinschaftsflächen funktioniert, braucht es eine lebende Mitte. Im ,Haus im Leben‘ nennen wir sie Wohnbegleitung. Sie trägt Sorge für alle, die im Haus wohnen, unterstützt bei Bedarf, vernetzt, organisiert Veranstaltungen und motiviert die Mieterinnen und Mieter, in einen gegenseitigen Austausch zu kommen“, so Anton Stabentheiner.
Die Nachfrage ist sehr hoch. Allein für das Haus in Innsbruck gibt es eine Warteliste mit 400 Personen. „Häuser im Leben“ stehen mittlerweile an fünf Standorten in Tirol und Niederösterreich.
Leistbare Preise und solidarischer Zusammenhalt
Selbstbestimmt leben, mittendrin sein und den Alltag gemeinsam gestalten, das ist auch das Ziel der gemeinschaftlichen Wohnprojekte der bayerischen MARO Genossenschaft für selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen e.G., die zehn bewohnte Mehrgenerationen Wohnprojekte in Deutschland betreibt, einige weitere sind im Bau. Die Wohnprojekte schaffen ein soziales Umfeld, das hohe individuelle Lebensqualität mit solidarischem Zusammenhalt verbindet. Das Genossenschaftsmodell garantiert Mitgliedern sicheren Wohnraum auf Lebenszeit zu einem langfristig bezahlbaren Mietniveau. Zuletzt war die Genossenschaft allerdings durch Planungsfehler in eine Schieflage geraten: Durch eine Kostensteigerung von 40 Prozent beim MARO-Projekt in Landsham war in den Jahren 2017 bis 2021 ein millionenschwerer Fehlbetrag entstanden.
Im Frühjahr 2024 musste die Genossenschaft daher Insolvenz anmelden. Anfang November verkündete allerdings MARO-Vorstand Inge Schmidt-Winkler gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, dass „eine Rettung wahrscheinlich“ sei, nachdem 4,4 Millionen Euro Rettungskapital durch Einzelpersonen auf ein Treuhandkonto eingezahlt wurden.

„Wir verzeichnen eine Auslastung nahe 100 Prozent und nur sehr wenige Mieterwechsel.“
Das Projekt ist auch tatsächlich rettenswert: MARO achtet schon bei der Bauplanung darauf, die verschiedenen Bedürfnisse zu befriedigen (Palette an Wohnungsgrößen, Gemeinschaftseinrichtungen, Integration in örtliche Aktivitäten) und die sorgsame (passgenaue) Auswahl der Bewohner:innen, um ein Zusammenwachsen der Mieter gemeinschaft zu ermöglichen. „Wer nicht nur Mehrgenerationenwohnen sondern auch Konzepte für eine gelebte Gemeinschaft initiieren will, befasst sich mit den Bedürfnissen der Generationen. Ein Gemeinschaftsraum wird nur gut genutzt, wenn er gemütlich und einladend statt nur multifunktional ist – für uns ist diese Gemeinschaftsfläche der wichtigste Platz im Haus und wird daher zentral, mit viel Licht, einer großen Terrasse oder Gartenfläche geplant – und vor allem von der Hausgemeinschaft nach eigenen Ideen gestaltet“, erklärt Vorständin Schmidt Winkler, und weiter: „Vergleicht man unsere Projekte, erkennt man unsere Lernkurve. Daher nehmen wir auch die Anregungen der Hausgemeinschaften sehr ernst und versuchen, im Rahmen der Budgets möglichst viel umzusetzen. So gibt es vermehrt Gästezimmer, um auch mal Besucher:innen beherbergen zu können. Hochbeete und der Anbau von Obst und Gemüse im eigenen Garten spielen eine immer größere Rolle. Pflegeleicht muss es sein, damit die Hausgemeinschaft die Aufgaben ohne Hausmeisterdienst schafft und sich so teure Nebenkosten einspart.“

Eines der Wohnprojekte, das „Am Rathaus“, ist in der Gemeinde Unterwössen im oberbayerischen Landkreis Traunstein angesiedelt. Hier entstanden 32 Wohnungen in drei Gebäuden mit drei Geschossflächen. Alle Wohnungen sind barrierefrei gebaut und mit einem Aufzug erreichbar. Jede Wohnung hat einen eigenen Balkon oder eine eigene Terrasse. Die Nachfrage im Projekt ist ungebrochen hoch. Schmidt-Winkler: „Wir verzeichnen eine Auslastung nahe 100 Prozent und nur sehr wenige Mieterwechsel.“
Eigene Energienetzte
Die Stadt Wien entwickelt laufend Wohnprojekte mit einem Fokus auf Generationenwohnen. Ein neues Projekt, das in der Seestadt Aspern in Wien entsteht, ist das sogenannte Quartier „Seecarré“ am Nordwestufer. Auf zwei Baufeldern sind rund 370 geförderte Wohnungen geplant. Das Augenmerk des neuen Quartiers liegt auf altersfreundlichem, sozialem Wohnen, kreislauffähigem Bauen und Klimawandelanpassung. Es sollen Wohnformen für Alleinerziehende und Generationenwohnen entstehen. So wird das Wohnungsangebot umfangreich und auf unterschiedlichste Lebenssituationen abgestimmt sein. Das „Seecarré“ zeichnet sich auch durch das innovative Grünraumkonzept die „Grüne Saite“ aus, wird nach dem Seestädter Gebäudestandard aspern klimafit errichtet und soll ein eigenes Energienetz bekommen. Vorstandsvorsitzender der Wien 3420, Gerhard Schuster, zur Rolle der Seestadt als Vorreiterin des modernen Städtebaus: „93 Prozent der Seestädterinnen und Seestädter leben sehr gern oder gern im Stadtteil. Die anhaltend hohe Wohnzufriedenheit lässt sich auf verschiedenste Qualitäten der Seestadt zurückführen. Angefangen bei zukunftsfähigen Wohnkonzepten über die sorgfältig entwickelte Infrastruktur bis hin zum nachhaltigen Mobilitätskonzept.“