Als Oikocredit vor 45 Jahren in Holland gegründet wurde, bekam der Themenbereich rund um verantwortliches Investieren plötzlich eine neue, starke Stimme. Vorrangiges Ziel der Gründer:innen war es, die Lebensumstände benachteiligter Menschen und Gemeinschaften in Afrika, Asien und Lateinamerika zu verbessern.
Diese Agenda heftete man sich auch auf die Fahne, als vor 30 Jahren der Verein Oikocredit Austria ins Leben gerufen wurde. Zu Beginn mit 53 Gründungsmitgliedern. Heute sind es rund 6.500 Mitglieder, die in Österreich in Oikocredit investieren und mit weiteren mehr als 53.000 Investor:innen aus Westeuropa und Nordamerika die Arbeit von Oikocredit erst möglich machen.
Durch den alljährlichen Wirkungsbericht werden die Aktivitäten der weltweit tätigen Genossenschaft mit Zahlen und Fakten unterfüttert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Auch in diesem Jahr zeigt sich durch den Bericht folgendes Bild: Die Finanzdienstleistungen und die Beratungs- und Schulungsprojekte, die Oikocredit ihren Partnerorganisationen anbietet, stärken deren Arbeitsmöglichkeiten und tragen zu einer Steigerung der Lebensqualität in benachteiligten Regionen bei.
Kawien Ziedses des Plantes, Global Social Performance Specialist bei Oikocredit, fügt hinzu: »Der Bericht vermittelt einen Überblick über die von uns 2019 erzielte Wirkung: Er zeigt, wie viele Menschen wir über unsere Partner erreichen konnten und welche Maßnahmen wir ergriffen haben.« Um die soziale Wirkung zu maximieren, konzentriert die Genossenschaft ihre Investitionen auf drei Sektoren: inklusives Finanzwesen, Landwirtschaft und erneuerbare Energien. Damit trägt Oikocredit auch aktiv dazu bei, die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) zu erreichen.
Inklusives Finanzwesen
Der Schwerpunktbereich Inklusives Finanzwesen ist nicht nur elementarer Bestandteil des Wirkungsportfolios von Oikocredit, sondern auch ein Themenbereich, der innerhalb des gesamten Finanz- und Investmentsektors immer mehr an Bedeutung gewinnt. Trotzdem ist es immer noch so, dass weltweit 1,7 Milliarden Erwachsene keinen oder nur unzureichenden Zugang zu formalen Finanzdienstleistungen haben und über kein Konto bei einem Finanzinstitut oder einem mobilen Geldanbieter verfügen. Das bedeutet, dass sie keine zuverlässigen Kreditleistungen oder Sparmöglichkeiten in Anspruch nehmen können.
Die meisten dieser Menschen haben außerdem nur ein niedriges und unregelmäßiges Einkommen, weshalb ihnen ein finanzielles Polster fehlt, um unvorhergesehene Ausgaben decken und in eine bessere Zukunft investieren zu können. Durch erleichterten Zugang zu Krediten und Kapitalbeteiligungen unterstützt Oikocredit, mithilfe von Partnerschaften mit Mikrofinanzinstitutionen und Banken, finanziell und wirtschaftlich benachteiligte Menschen dabei, nachhaltige und sozial verantwortliche Geschäftsmodelle umzusetzen, ihr Einkommen zu erhöhen und einen besseren Versicherungsschutz zu erlangen.
Kurz zusammengefasst bedeutet das, dass durch die Vergabe verantwortungsvoller Finanzdienstleistungen die wirtschaftliche Emanzipation einkommensschwacher Menschen in benachteiligten Gemeinschaften und Regionen gefördert wird. Laut aktuellem Wirkungsbericht konnten im Jahr 2019 38,2 Millionen Menschen mit diesen Möglichkeiten ausgestattet werden. Dass 86 Prozent davon Frauen sind, klingt beim ersten Lesen vielleicht überraschend, hat aber vor allem einen wichtigen Grund.
»Ich finde es wichtig, dass Frauen heute verstärkt und gezielt unterstützt werden. Gerade auch in benachteiligten Ländern ist das immer noch fast schon eine Voraussetzung, um ihnen überhaupt erst einmal die Chance zu eröffnen, ihre Potentiale sichtbar zu machen. Frauen spielen dort eine besonders wichtige Rolle für die Familien, weil die meisten von ihnen das Geld, das sie verdienen, vorrangig für die Gesundheit, die Ernährung und Ausbildung ihrer Kinder einsetzen. Bei Männern ist das hingegen nicht unbedingt immer der Fall. Daher sind 86 Prozent der Kreditnehmer:innen der Mikrofinanzinstitutionen, die Oikocredit refinanziert, auch Frauen«, sagt Andrea Hagmann, Vorstandsmitglied des Förderkreises Oikocredit Austria.
Mikrofinanzierungen meist Kredite für Frauen
Mikrofinanzorganisationen setzen daher vorrangig auf Kredite für Frauen, um ihnen ein Mitspracherecht einzuräumen und Chancen zu bieten. Gleichzeitig wird damit in sehr vielen Fällen gewährleistet, dass das Einkommen auch anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zugutekommt.
BPCS, Partner von Oikocredit und Anbieter von Finanzdienstleistungen für Kleinst- und Kleinunternehmen in der südöstlichen Metropolregion von São Paulo, ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein solches Konzept aussehen kann und welche Rolle Frauen darin spielen.
BPCS hat ein Modell für Solidaritätsgruppen entwickelt, bei dem ein Darlehen an eine Gruppe von vier bis sieben Kleinunternehmer:innen vergeben wird, die dann die Mitverantwortung für den gesamten geliehenen Betrag übernehmen. Auf dieses besondere Solidaritätsmodell wurde Oikocredit 2015 aufmerksam, seither arbeitet man zusammen.
Solidarische Gruppenkredite
Durch die Methode der solidarischen Gruppenkredite können Kredite am unteren Ende der Vermögenspyramide vergeben werden. Außerdem tragen sie dazu bei, die Ängste vor einer Kreditaufnahme zu überwinden. Besonders für Frauen sei die Methode der Solidaritätsgruppen von Vorteil und ein wichtiges Instrument zur Stärkung ihrer Rolle. »Frauen machen 63 Prozent unserer Kundschaft aus. Innerhalb der Gruppen finden sie geeignete Wege, Einkommen zu erwirtschaften, für ihre Familien zu sorgen und andere Aktivitäten in der Gemeinschaft zu entwickeln«, erklärt Fabio Maschio, BPCS-Geschäftsführer.
»Power of Union« heißt jene Kreditgruppe, der Helena de Jesus Oliveira angehört. Die Brasilianerin hat schon im Alter von 15 Jahren mit dem Verkauf von Taschen und Zeitungen begonnen. Einige Jahre später entdeckte sie ein Geschäft, in dem sie Stoffreste kaufen konnte, und begann mit der Herstellung von Bettbezügen. Weil auch das für ein nachhaltiges Einkommen nicht reichte, schloss sie sich einer BPCS-Kreditgruppe an. Heute hat sie ihren eigenen Straßenstand, an dem sie Bettbezüge und andere Artikel verkauft. Außerdem konnte sie ihr Wohnhaus erweitern und eine kleine Werkstatt errichten, in der sie viele ihrer Produkte näht.
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