Seit 2016 leitet Kerstin Heiligenstetter die Initiative She’s Mercedes und hat diese auch mitbegründet. Im Interview erklärt sie, warum es ihr von Anfang an so wichtig war, eine ganzheitliche Initiative zu entwickeln, die vernetzt und inspiriert.
SHE: Wie ist die Idee dazu entstanden, eine Plattform und Initiative wie She’s Mercedes ins Leben zu rufen? Welches Bedürfnis war dafür ausschlaggebend?
KH: Wir haben She’s Mercedes 2015 gegründet. Eingehende Analysen unserer Kundenstruktur haben damals ebenso eine Rolle gespielt, wie aktuelle gesellschaftspolitische Diskussionen. Man darf dabei nämlich nie vergessen, dass wir in einer stark männerdominierten Branche arbeiten, in der es sehr viele Stereotypen gibt, die schon längst überholt sind. Ich erwähne an dieser Stelle immer gerne das Bild des kleinen, pinken Autos. Daran lässt sich nämlich gut festmachen, dass häufig immer noch die Meinung vorherrscht, Frauen würden sich nur für das Exterieur oder die Farbe des Autos interessieren. Das stimmt aber so nicht. Unsere Erfahrungswerte haben uns etwas ganz anderes gezeigt. Wir finden deshalb, dass es Zeit ist, in der Branche eine andere Haltung einzunehmen.
Darüber hinaus habt ihr bei Mercedes ja auch das Glück, dass tolle Frauen die Unternehmensgeschichte geprägt haben …
Richtig. Wir sind nämlich nicht nur die Einzigen in der Branche, die einen weiblichen Vornamen im Markennamen haben, sondern haben ja auch noch Bertha Benz, die mit ihrer Langstreckenfahrt den Grundstein für eine ganze Industrie gelegt hat. [Anm.: Bertha war nicht nur Carl Benz Ehefrau und die Mutter seiner Kinder, sie war auch die erste Person, die eine Fernreise mit dem Fahrzeug unternahm. Dadurch validierte sie das Konzept des Automobils und bereitete die lange Erfolgsgeschichte von Mercedes-Benz vor.] Diese beiden Vorbilder wollen wir uns wiederum zum Vorbild nehmen, um Dinge anders zu machen. Es wäre einfach gewesen, eine reine Marketinginitiative zu entwickeln, also im Sinn neuer Kampagnen, für die wir ganz einfach mehr Frauen ans Steuer setzen. Das war uns aber zu kurz gegriffen. Deshalb war es von Anfang an unser Wunsch, eine ganzheitliche Initiative ins Leben zu rufen und einen Wandel herzustellen. Wir möchten die Wünsche und Bedürfnisse von Frauen in den Vordergrund stellen und hoffen, dass es uns auf diese Weise gelingt, eine neue Haltung zu etablieren, die dann auch im Unternehmen gelebt wird. Neben den Dingen, die extern stattfinden, wie unseren Networking-Events, unserem Magazin und unseren Social Media-Kanälen, passiert auch im Unternehmen selbst sehr viel. Wir arbeiten stark mit unserer Händlernetzentwickung, mit unserer Trainingsabteilung und mit diversen Servicebereichen zusammen. Ganz einfach deshalb, weil es uns interessiert, wie man das Thema Frauen und ihre Bedürfnisse noch viel stärker in den gesamten Prozess integrieren kann, um schlussendlich auch ein Umdenken stattfinden zu lassen.
Wie Sie ja bereits erwähnt haben, spielt Networking bei She’s Mercedes eine wichtige Rolle. Warum ist gerade dieses Thema so wichtig?
Das Networking, das bei uns stattfindet, versuchen wir immer branchenübergreifend zu machen. Einfach aus dem Grund, weil wir finden, dass starke Frauen zusammengebracht werden sollen. Frauen sind zwar super Netzwerkerinnen, trotzdem findet Networking insgesamt noch viel zu wenig statt. Eher noch im privaten Bereich, aber das geschäftliche Netzwerken ist definitiv noch zu wenig ausgeprägt. Außerdem beschränkt es sich dann meistens eher auf spezifische Branchen und bleibt auch dort. So wie wir das machen, nämlich branchenübergreifend, interdisziplinär und international, gibt es allerdings noch nicht sehr viele. Wir haben eine starke Marke und die möchten wir unter anderem auch dafür nutzen, um Begegnungen möglich zu machen. Wir möchten, dass Frauen einander inspirieren und empowern. Daraus kann dann sehr viel entstehen, das zeigen uns unserer Events jedes Mal aufs Neue.
Das Automobil galt ja lange Zeit als Freiheitssymbol. Ist das immer noch so?
Ich glaube schon, dass sich Mobilität auch über Freiheit definiert. Ich denke aber auch, dass das sehr kulturspezifisch und individuell ist.
Dieter Zetsche, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, meinte 2015, dass Frauen das neue China seien. Er spielte damals darauf an, dass zunehmend Frauen für Kaufentscheidungen verantwortlich sind. Stimmt das so noch?
Er hat damals tatsächlich auf eine sehr hohe, aber noch zu wenig beachtete Wirtschaftskraft angespielt. Frauen sind die am schnellsten und am stärksten wachsende Konsumentengruppe weltweit. Ich habe kürzlich in einer Studie gelesen, dass 27 Prozent des Weltwohlstands in den Händen von Frauen liegen. Da ist einfach ein großes Potenzial vorhanden. Frauen als Kundinnen und Nutzerinnen von Produkten – und das gilt über die Mobilitätsbranche hinaus – werden oft nicht so wahrgenommen, wie man sie eigentlich wahrnehmen sollte. Frauen treffen und beeinflussen Kaufentscheidungen. Im Automobilbereich sogar um die 65 Prozent. Und ich finde, dass man das als Unternehmen nicht ignorieren sollte.
Kaufen Frauen Autos anders als Männer?
Im Jahr 2016 haben wir eine Studie durchgeführt, die ergeben hat, dass es einige Aspekte gibt, auf die Frauen sehr viel Wert legen. Die Themen Sicherheit und Usability gehören da zum Beispiel dazu. Auf der anderen Seite sind das aber auch keine Faktoren, von denen ich sagen würde, dass Männer sie überhaupt nicht betrachten. Letztlich ist es oft auch einfach eine Alters- oder eine Charakterfrage und weniger eine, die vom Geschlecht bestimmt wird. Bei unseren Driving Events machen wir regelmäßig die Erfahrung, dass die Bandbreite an Interessen und Vorlieben sehr groß ist. Bei keinem der Events war zu erleben, dass sich Frauen nur von den kleiner mobilisierten Fahrzeugen angezogen fühlen.
Das wirft auch wieder die Frage nach dem »typischen Frauenauto« auf. Gab es das überhaupt jemals und warum ist dieses Bild in den Köpfen immer noch so stark verankert?
Das frage ich mich ehrlich gesagt auch. Wenn davon gesprochen wird, dann passiert das immer auf eher abwertende Weise. Ich glaube aber, dass Frauen genauso wenig »Frauenautos« haben möchten wie ältere Menschen »Seniorenhandys«. Wir haben noch nie »Frauenautos« gebaut, wir bauen aber auch keine »Männerautos«. Wir bauen Autos, die technisch hervorragend sind und bauen diese für Menschen, die unsere Produkte lieben. Ich habe neulich eine Anzeige aus 1990 gefunden, in der Bertha Benz auch schon ein wenig thematisiert wurde. In dieser Anzeige habe ich eine Textzeile gefunden, die ich sehr interessant fand. Sie lautete: »Wir haben noch nie Frauenautos gebaut«. Wortwörtlich. Das ist eine Haltung, die sich bis heute bei uns durchzieht. Die Autos, die wir bauen, müssen für jeden Kunden und auf jedem Markt technisch einwandfrei funktionieren und ansprechend sein.
Bei Daimler gibt es aktuell einen Frauenanteil von 19 Prozent bei leitenden Führungskräften. Bis 2020 will der Konzern einen 20-prozentigen Frauenanteil im Management erreicht haben. Würden Sie sagen, dass Frauenförderung zur Unternehmenspolitik gehört?
Bei Daimler hat man schon sehr früh damit begonnen, den Themen Diversity und Frauenförderung einen wichtigen Stellenwert zuzuweisen. Man merkt also schon sehr lange, dass diese Themen dem Unternehmen ein großes Anliegen sind. Ich finde es sehr schön, in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem das so eine große Rolle spielt. Vor allem deshalb, weil es schon seit langer Zeit so ist. Da haben wir mit She’s Mercedes keinen direkten Beitrag geleistet, sind aber natürlich ständig im Austausch mit den unterschiedlichen Abteilungen.
Was bedeutet Female Empowerment für Sie?
Female Empowerment bedeutet für mich, dass sich Frauen gegenseitig unterstützen. Das Thema Sisterhood spielt dabei für mich eine große Rolle. Das bedeutet für mich, dass Frauen miteinander arbeiten, sich gegenseitig fördern, aber auch über den Erfolg von anderen sprechen. Darüber hinaus hat es für mich auch viel mit der Zusammenarbeit mit Männer zu tun, schließlich soll es immer ein Miteinander und kein Gegeneinander sein. Das zeichnet unsere Zeit jetzt ja auch aus – dass das möglich und auch wichtig ist.