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„Besorgniserregender Anstieg an Femiziden“

Anderthalb Jahr Pandemie und steigende Gewalt an Frauen in Österreich: Was spielt sich derzeit in den Frauenhäusern ab? Die Klinische- und Gesundheitspsychologin Isabel Bernhardt vom Frauenhaus Burgenland schildert. 

Wie war das erste Halbjahr 2021 in den Frauenhäusern?

Meines Empfindens nach war das erste halbe Jahr 2021 vor allem durch den vierten harten Lockdown geprägt. Ausgangsbeschränkungen scheinen es besonders gewaltbetroffenen Frauen schwer zu machen, sich an uns zu wenden, wenn sie Hilfe benötigen. Das haben wir auch im Frühjahr 2020 während des ersten Lockdowns bemerkt. Die Vermutung liegt nahe, dass finanzielle und existenzielle Unsicherheiten es den Frauen erschweren den mutigen Schritt zu fassen, ihren Partner und ihr Zuhause zu verlassen. Außerdem bestehen während Zeiten des Lockdowns kaum Möglichkeiten, unbemerkt vom Partner Kontakt zu einem Frauenhaus aufzunehmen, da dieser ständig anwesend ist.

Inwiefern haben sich die Auswirkungen der Corona-Pandemie bemerkbar gemacht? Was der Alltag mit der Corona-Pandemie im Haus verändert?

Gerade zu Beginn der Corona-Pandemie waren deren Auswirkungen auf das Zusammenleben im Frauenhaus, aber auch auf die Rahmenbedingungen einer Aufnahme deutlich spürbar. Im ersten Lockdown wurden persönliche Beratungsgespräche nur in Notfällen geführt. Später dominierten – wie überall – Masken, Schutzwände und Sicherheitsabstand jede Gesprächsführung. Dies hat einen massiven Einfluss auf die Bereitschaft und Möglichkeit, Beziehung aufzubauen. Des Weiteren entstand bei uns der Eindruck, dass die ständig gegenwärtige, aber subtile Unsicherheit, welche die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen und der medialen Berichterstattung verursachte, besonders bei Menschen mit jahrelangen Gewalterfahrungen und Entwicklungstraumata zur psychischen Dekompensation und Instabilität beiträgt.

Was haben die Frauen erlebt, die zu Ihnen kommen?

Frauen, die die Hilfe eines Frauenhauses in Anspruch nehmen, brauchen akut Schutz und Sicherheit vor ihrem Intimpartner. Diese Frauen haben oft jahrelang Gewalt durch ein Familienmitglied erlebt. Die Gewalt äußert sich dabei nicht immer nur in physischer und / oder sexueller Gewalt, sondern ist häufig auch sehr subtil. Psychische Gewalt und ökonomische Gewalt sind als ebenso bedrohlich einzustufen, da sie den Selbstwert der betroffenen Person systematisch untergraben und ihre Ressourcen, sich zu befreien, systematisch beschränken.

 Was ist die derzeit größte Herausforderung in den Frauenhäusern?

Während der Phasen der harten Lockdowns bzw. florierenden Corona-Fallzahlen bestand die größte Herausforderung für uns darin, die Aufnahmemöglichkeit von Frauen im Frauenhaus trotz Corona in jedem Fall zu gewährleisten. Derzeit besteht die größte Herausforderung für uns – wie vermutlich für alle anderen auch – darin, zur Normalität zurückzufinden.

In Österreich wurden im Vergleich zu anderen europäischen Ländern überdurchschnittlich viele Frauen ermordet. Im aktuellen Jahr waren es bereits 14 Femizide, ein sehr hoher Wert. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Seit Jahren beobachten wir einen besorgniserregenden Anstieg an Femiziden in Österreich. Dass Österreich hier mittlerweile trauriges Schlusslicht ist, ist insofern wirklich zu bedauern, als dass Österreich in Sachen Gewaltprävention und Opferschutz ehemals eine Vorreiterrolle zukam. Man denke hier beispielsweise an die Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes im Jahr 1997.

Gleichzeitig beobachten wir gesellschaftliche Veränderungen wieder hin zu stärker konservativen Werten und patriarchalen Strukturen. Feminismus und Gleichberechtigung scheinen für viele auf den ersten Blick selbstverständlich zu sein, bei genauerer Betrachtung lassen sich aber viele Benachteiligungen von Frauen feststellen, Tendenz steigend. Dadurch entstehen Abhängigkeiten und ungleiche Machtverhältnisse, die oft nicht weiter hinterfragt werden (Mehrfachbelastung von Frauen, Gender Pay Gap, „Teilzeitfalle“ etc.).

Was muss geschehen, um Gewalt gegen Frauen wirksam einzudämmen? 

Meines Erachtens wäre es wichtig, den Fokus von den Betroffenen häuslicher Gewalt ein wenig weg, hin zu den Gewalttätern zu richten. Bislang gab es zwar viele Angebote für Frauen und Kinder, die Opfer häuslicher Gewalt wurden, kaum aber jemanden, der die Täter und deren Aggressionsbereitschaft ins Auge fasste. Dies mangelte einerseits an der fehlenden Kooperationsbereitschaft der Täter selbst, an solchen Präventionsprogrammen (wie z. B. Anti-Aggressions-Training) teilzunehmen, andererseits an mangelnden Konzepten einer fundierten, opferschutzorientierten Täterarbeit. Wir befürworten die vor kurzem beschlossene verpflichtende Beratung von Gewalttätern in Männerberatungseinrichtungen, sehen es aber als wichtigen Aspekt, dass diese nach den Standards der „opferschutzorientierten Täterarbeit“ arbeiten. Die Verantwortungsübernahme des Täters für seine Gewalttaten sowie eine Wiedergutmachung an die Geschädigten sollen in den Fokus gerückt werden.


Anlaufstellen für Gewalt-Betroffene:
Frauenhelpline (Mo-So, 0-24 Uhr, kostenlos): 0800 / 222 555
Männerberatung (Mo-Fr, Ortstarif): 0720 / 70 44 00
Männernotruf (Mo-So, 0-24 Uhr, kostenlos): 0800 / 246 247
Telefonseelsorge (Mo-So, 0-24 Uhr, kostenlos): 142

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