Im aktuellen, leicht gebeutelten Marktumfeld können Anlagezertifikate eine risikoärmere Alternative zu Aktien sein. Wir haben mit Heike Arbter, Vorstandsmitglied der RCB und Zertifikate-Expertin, über das Zertifikategeschäft gesprochen.
Was waren die Themen Ihres Deep Dives bei der Online Konferenz SHEinvest?
In meiner Präsentation ging es unter anderem darum, wie Zertifikate strukturiert sind, wie sie funktionieren und für welche Anlegertypen welche Produkte geeignet sind. Ich habe versucht den Teilnehmerinnen Zertifikate als interessante und moderne Veranlagungslösungen näher zu bringen. Außerdem haben wir uns natürlich mit Fragen zur aktuellen Marktsituation und zu den Turbulenzen der Corona-Krise beschäftigt.
Was macht das Thema Zertifikate für Sie so reizvoll?
Flexibilität und Vielfältigkeit zeichnen Zertifikate aus. Als AnlegerIn kann ich klar definierte Risiken eingehen, kann aber auch sehr konservativ investieren, zum Beispiel in Garantiezertifikate, die das eingesetzte Kapital am Laufzeitende schützen. Mit der Auswahl des jeweiligen Produktes habe ich als AnlegerIn also vollen Einfluss darauf, wie viel Risiko ich nehme und welche Erträge ich damit letztendlich auch erzielen kann. Möchte ich mein Risiko beispielsweise stark begrenzen, dann wähle ich Zertifikate, die Schutzmechanismen bieten. Diese Balance ist sehr individuell und persönlich steuerbar. Zertifikate sind außerdem ein Instrument, mit dem man nicht nur im steigenden Markt Erträge generieren kann. Darüber hinaus sind sie auch für Kleinanleger gut geeignet. Schon mit geringem Kapitaleinsatz habe ich damit Zugang zu allen großen Aktien- und Rohstoffmärkten.
Inwieweit hat die Corona-Krise den Zertifikatehandel beeinflusst?
Natürlich hat sich durch die Corona-Krise einiges verändert, weil Zertifikate maßgeblich von der Entwicklung der zugrundeliegenden Basiswerte abhängig sind. Die Krise hat auf jeden Fall zu einer enormen Volatilität geführt, die Märkte bewegen sich sehr viel schneller und stärker als in den Vorjahren. Gleichzeitig sehen wir hohe Umsätze, weil viel gehandelt wird. Auch das beeinflusst das Zertifikategeschäft. Bezogen auf die Volumenshöchststände sehen wir, dass Ende des letzten Jahres insgesamt 15 Milliarden Euro von österreichischen Privatanlegern in Zertifikate investiert waren, während es aktuell rund 13,4 Milliarden Euro sind. Dieser Volumensrückgang ist den Kursrückgängen an den internationalen Börsen im Zuge der Corona-Krise geschuldet.
Sind Zertifikate eher für jene Frauen geeignet, die schon etwas Erfahrung mit Wertpapieren haben?
Der Unterschied zwischen Frauen und Männern ist meiner Ansicht nach nicht wirklich ausschlaggebend. Sehr viel wichtiger ist es, gute Informationen zu Wertpapieren und zum Thema Geldanlage zu haben, sich mit verschiedenen Investitionsformen zu beschäftigen und Risiko- und Ertragsprofile gegeneinander abzuwägen. Darüber hinaus sollten immer Instrumente gewählt werden, die man versteht und die gut zu einem passen.
Frauen wird gemeinhin eher nachgesagt, dass sie risikoscheuer aber nachhaltiger investieren. Können Sie das bestätigen? Oder anders gefragt: Investieren Frauen anders als Männer?
Es gibt Studien, die gezeigt haben, dass Sicherheit ein großes Thema ist und Frauen sehr viel stärker als Männer auf die Themen Sicherheit und Nachhaltigkeit setzen. Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich das aber nicht bestätigen. Aber gerade mit Blick auf den mittel- bis langfristigen Vermögensaufbau und die Altersvorsorge sollten mehr Frauen die Stärken der Anlagezertifikate für sich entdecken. Zum Thema nachhaltiger Veranlagung sehe ich einen sehr starken Trend in diese Richtung, der sich in Zukunft weiter beschleunigen wird – und zwar geschlechterunabhängig.
Wieso ist es so wichtig, dass sich Frauen mit den Themen Investment und Vorsorge auseinandersetzen?
Im aktuellen Zinsumfeld ist es mit einem Sparbuch alleine nicht getan. Die Inflation liegt deutlich über dem, was die Zinsen hier momentan abgelten. Um das eigene Vermögen zu erhalten und zu vermehren, ist ein Sparbuch also nicht ausreichend. Denken wir an Vorsorge und Pensionen, dann werden wir dieses Geld dringend benötigen. Nur ein Beispiel: Während der Jahre von 2008 – 2019 hat sich die Kaufkraft der Spareinlage abzüglich KESt und unter Berücksichtigung der Inflation um ungefähr 16 Prozent reduziert. Wenn die Inflation höher als die Zinsen ist, verliert das Ersparte an realem Wert. Eine Geldanlage in ein Sparbuch kann in einem Umfeld niedriger Zinsen und selbst moderater Inflation keinen nachhaltigen Erfolg erzielen. Ich möchte deshalb gerne dazu beitragen, die Gedanken in diese Richtung weiter zu schärfen, damit das Thema Geldanlage noch stärker ins Bewusstsein rückt.
Der Großteil der ZertifikateinvestorInnen in Österreich kauft Instrumente mit Kapitalschutz. Das heißt, dass 90 bis 100 Prozent des eingesetzten Kapitals geschützt sind.
Darüber hinaus gibt es auch viele Mythen, die sich um das Thema ranken und die Frauen davon abhalten, sich mit verschiedenen Anlagemodellen zu beschäftigen. Sehen Sie das auch so?
Sehr verbreitet ist zum Beispiel die Annahme, dass es nur mit sehr großen Geldsummen sinnvoll ist, Wertpapiere zu kaufen. Dabei kann ich Zertifikate auch in sehr kleinen Einheiten kaufen. Immer wieder hört man auch, dass die verschiedenen Instrumente zu riskant und gefährlich wären. Auch das stimmt in dieser Form nicht. Der Großteil der ZertifikateinvestorInnen in Österreich kauft Instrumente mit Kapitalschutz. Das heißt, dass 90 bis 100 Prozent des eingesetzten Kapitals zum Laufzeitende auf jeden Fall geschützt sind. Auch den Mythos, dass der Finanzmarkt unglaublich kompliziert sei, möchte ich widerlegen. Wie bei vielen anderen Dingen auch, geht es einfach darum, sich so gut wie möglich damit zu beschäftigen und es dann einfach zu machen. Die kluge Ansammlung von Information und Wissen ist dabei der erste Schritt, der gemacht werden muss.
Haben Sie das Gefühl, dass sich der Finanzmarkt immer mehr für Frauen öffnet? Und dass auch Frauen offener für Karrierewege innerhalb der Finanzbranche werden?
Neben einer guten Ausbildung sind Interesse und Begeisterung für das Thema ausschlaggebend. Mit dieser Kombination können Frauen in dieser Branche dieselben Erfolge erzielen wie ihre männlichen Kollegen. Natürlich sollte aber auch ganz klar gesagt werden, dass in der Vergangenheit deutlich weniger Hochschulabsolventinnen diesen Weg gewählt haben. Ich habe aber schon den Eindruck, dass sich das mit der Digitalisierung, mit neuen Bedürfnissen seitens der Anleger und mit sehr viel leichter zugänglichen Informationen nun ändern wird. Daher möchte ich Frauen weiterhin dazu ermutigen, diesen Weg zu gehen. Das Börsen- und Anlegergeschäft ist ein hochinteressantes Berufsfeld, das sich immer wieder verändert und sehr viel kreatives Potenzial fordert. Am Puls der Zeit agieren – das ist die spannende Herausforderung!