StartOpinionWeltfrauentag 2024: Warum wir das Wort „helfen“ abgeschafft haben

Weltfrauentag 2024: Warum wir das Wort „helfen“ abgeschafft haben

Einen ganzen Arbeitstag in der Woche zusätzlich widmen Mütter und andere Care-Giver der Sorge- und Hausarbeit. Zeit, die für Weiterbildung oder Erholung fehlt, warnt Autorin Simone Fasse, die mit Rolemodels wie Nina Straßner gesprochen hat und selbst versucht, tradierte Strukturen aufzubrechen.

Die Streiklust geht um. In Deutschland werden die demokratischen Mittel – die ich nicht infrage stellen möchte – derzeit mächtig ausgereizt: Von mehrmaligen mehrtägigen Arbeitsniederlegungen der in der GDL organisierten Lokführer*innen über Boden- und Sicherheitspersonal am Flughafen bis hin zu den Landwirt*innen. Und selbst an der Schule unseres Sohnes besetzen Teenager für die Einrichtung ihres Kunstkurses den Flur.

Was würde passieren, wenn Mütter und andere Care-Giver in den Ausstand gehen? Die Gründe dafür wären vielfältig – Gender Pay Gap, keine verlässliche öffentliche Kinderbetreuung, Teilzeitfalle, um nur einige zu nennen.

Als ich wegen einer Schulterverletzung kürzlich im Haushalt für Wochen unfreiwillig in den Streik getreten bin, haben mein Mann und mein Sohn gemerkt, wie viel meine rechte Hand „schnell mal“ im Alltag wegräumt, wegwischt, wegsortiert, wegwirft… you name it. Vor allem aber ist es mir selbst bewusst geworden. Sie merken es: Selbst-Bewusstsein ist der erste Schritt zur Veränderung.

Inzwischen haben wir in unserer „WG“ die Pflichten neu geregelt. Vor allem ist das Wort „helfen“ nun gestrichen. Denn die scheinbar empathische Frage „Kann ich Dir noch etwas in der Küche helfen?“ schiebt die Mental Load wieder zu mir und setzt mich als erste Ansprechpartnerin ein, statt die Pflichten gleichmäßig zu verteilen. In ihrem Buch „Fair Play“ rät passend dazu Bestseller-Autorin Eve Rodsky den Haushalt – übrigens auch ohne Kinder – als eine Arbeits-Organisation zu betrachten, und Männern nicht nur die „Ausführungsphase“ zu überlassen.

Eigentlich möchte ich nicht lauter werden müssen, damit ich wahrgenommen werde. Aber es ist immer wieder nötig, um Muster zu durchbrechen, die wir seit Jahrzehnten verinnerlicht haben. Und an denen ich deshalb auch selbst fleißig mitgestrickt habe, ohne es zu bemerken. Vieles könnte anders laufen, wenn die soziale Infrastruktur flexibler, zuverlässiger und kostengünstiger wäre. Auch ich bin in die Teilzeit und die Selbständigkeit gegangen, weil wir keinen Kita-Platz gefunden haben. Ich habe jede Stunde mit meinem Kind genossen – hätte mir aber gern den Organisationsstress, die häuslichen Diskussionen und das Ehe-interne Verhandeln mit Blick auf den Gender-Pension-Gap erspart. Dabei habe ich sogar einen Partner geheiratet, der offen für Veränderungen ist.

Frauen sind bereits maximal flexibel gelten als „Multitasking-fähig“ – vielleicht, weil sie sich häufiger an neue Lebensrollen anpassen. Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach warnt vor dem Narrativ, dass Frauen von Natur aus gern die Care-Rolle übernehmen. Sie sieht die Gratis-Arbeit als perfektes Schmiermittel für die Maschinerie unserer Marktwirtschaft. Darin geht Frauen jedoch häufig einfach die Puste aus. Streiken können oder wollen sie nicht – keine Zeit, keine Kraft, keine Interessenvertretung, die sogar Geld während der Arbeitsniederlegung abgreifen kann – vor allem aber die Gewissheit, dass diejenigen, die abhängig von unserer Arbeit sind, darunter leiden würden.

Zeit ist Macht

Laut aktueller Zahlen des Statistischen Bundesamts in Deutschland haben Frauen im Jahr 2022 durchschnittlich pro Woche rund 9 Stunden mehr unbezahlte Arbeit geleistet als Männer, der Gender Care Gap lag bei 43,8 %. Damit, so fasst PANDA-Gründerin Isabelle Hoyer auf LinkedIN zusammen „schneiden sich Frauen irgendwie einen ganzen Arbeitstag pro Woche mehr für Kinder, Waschen, Kochen aus den Rippen“.

Diese Zeit können wir nicht für Erwerbsarbeit, Bildung, Engagement, Netzwerken – oder auch Selfcare, Sport und Erholung einsetzen. Davor warnt Teresa Bücker in ihrem unbedingt lesenswerten Buch „Alle Zeit“. Sie zeigt darin auf, dass Zeit ein Zeichen von Macht ist. Sie schreibt: „Ohne politische Interventionen wird das Machtgefälle zwischen Frauen und Männern – das sich auch in unterschiedlich viel Freizeit zeigt – auf Dauer bestehen bleiben.“

Immerhin – in aktuellen Werbespots haben inzwischen die Männer den Staubfeudel übernommen. Doch wie sehr tradierte Rollenbilder in Organisationen noch immer vorherrschen hat Nina Straßner, Global Head of People Initiatives bei SAP SE, Fachanwältin für Arbeitsrecht, und Vorständin der Charta für Vielfalt erlebt. Im Interview mit Weconomy (powered by Sheconomy) schildert sie ihren Karriereweg und berichtet von ihrem „maximalen Kulturschock“: „Mutter zu werden, das war ein echter Wendepunkt. Denn Frauen bekommen ja nicht einfach nur Kinder, sie bekommen ein bestimmtes Mutterbild dazu, und obendrauf noch unzählige Erwartungen.“

Sie berichtet: „Ich bin zur gleichen Zeit in die Familiengründung und in den Beruf gestartet. Da wurde mir schlagartig klar, wie sehr unsere Arbeitswelt männlich geprägt ist.“ Und das gilt nicht nur für das Arbeitsleben, sondern auch für das private Umfeld:

„Ich war vier Tage in der Woche unterwegs. Zum einen habe ich gemerkt, wie viel ich weit weg von der Familie für den Beruf schaffen konnte, das fühlte sich – ganz ehrlich – richtig gut an. Und auch hier habe ich wieder gesehen, wie privilegiert das männliche Geschlecht ist. Denn mein Mann bekam plötzlich an allen Enden Unterstützung angeboten – sogar warmes Essen wurde ihm an die Tür gehängt. Uns hat das wirklich nachdenklich gemacht, denn was ist das für ein Vaterbild – wo bleibt hier das Zutrauen, dass er das genauso kann? Am eindrücklichsten fand ich aber die ewige Frage an mich: ‚Und, wie macht ihr das dann bei den Kindern?‘ Umgekehrt wurde die meinem Mann nie gestellt, als er viel reiste. Und die fast immer anschließende Bemerkung ‚Ich könnte das ja nicht.‘ Das macht was mit dir.“

Mami goes Millionär

Wir brauchen Frauen und Mütter im Arbeitsmarkt dringender denn je. Und Rolemodels, die zeigen, sie sich die alten Muster verändern lassen. Darauf weist auch Anne Theiss in ihrem Buch „Die Abwertung der Mütter“ hin. „Mütter können ohne Erwerbsarbeit nur schwer ihre Wünsche umsetzen, ihre finanzielle Unabhängigkeit erhalten und verlieren mit Kindern oft den beruflichen Anschluss“, warnt Theiss. Sie ermutigt dazu, den sozialen Druck tradierter Rollen zu hinterfragen und aufzubrechen.

Mehr noch: Aus Sicht von Autorin und Entrepreneurin Annette Lippert sind Elternzeit und Mutterschaft „die anspruchsvollste Fortbildung für Führungskräfte, die man sich aussuchen kann.“ In ihrem neuen Buch „Leading Mothers“ zeigt sie mit Beispielen aus dem Familien- und Geschäftsalltag, welche unverzichtbaren Führungsfähigkeiten sich Mütter aneignen und warum sie damit wertvoll für jedes Unternehmen sind. Auch Dr. Sigrid Nikutta unterstreicht darin: „Je mehr Rollen ein Mensch inne hat, desto mehr Perspektiven hat er auf die Welt. Gerade im Management von Unternehmen ist es wichtig, viele Perspektiven zu haben. Und Mütter und Väter haben eine sehr wichtige zusätzliche Perspektive“, so die Vorständin Güterverkehr der Deutschen Bahn AG und Vorstandsvorsitzende der DB Cargo AG.

Dr. Carmen Meyer hat gesellschaftliche Narrative ebenfalls erfolgreich hinterfragt und ihre eigenen Glaubenssätze über Bord geworfen. Die promovierte Biochemikerin, Unternehmerin und Autorin nahm ihre Finanzen selbst in die Hand und entwickelte sich in der Elternzeit zur Aktienexpertin. „Mami goes Millionär“ lautet der vielversprechende Titel, der unter „Alle Zeit“ als nächstes Buch auf meinem Schreibtisch liegt.


Interview mit Nina Straßner:

„Ich sehe inzwischen, wie Privilegien ein Leben bestimmen“

Fotomaterial© Pexels

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