StartInnovation„Weibliche Stadtplanung ist ein Gewinn für alle“

„Weibliche Stadtplanung ist ein Gewinn für alle“

Melanie Hammer ist eine der wenigen Frauen, die in der Immobilienbranche an der Spitze stehen. Die Pionierin für weibliche Stadtplanung denkt das Thema wirtschaftlich und sagt: Es geht nicht nur um faire Zugänge und Vielfalt, sondern auch um Marktintelligenz und längst fällige Anpassungen.

Sie führen heute ein Immobilienunternehmen – in einer Branche, in der Frauen selten sind. Wie kam es dazu?

Eigentlich erstmal ungeplant. Nach dem plötzlichen Tod meines Vaters habe ich mit Anfang 30 die Geschäftsführung der BHB Unternehmensgruppe übernommen. Ich musste mich schnell einarbeiten, aber auch die Frage stellen: Was kann ich als Frau, als Architektin, als Unternehmerin beitragen? Daraus entstand der Anspruch, unsere Projekte aus einer erweiterten, auch weiblichen Perspektive zu denken.

Ihr Weg in die Architektur und Stadtentwicklung war ungewöhnlich. Wie begann Ihre Leidenschaft für die gebaute Umwelt?

Ich habe schon als Kind alte Häuser geliebt, sie gezeichnet und gesammelt, was von ihnen übrigblieb. Diese emotionale Bindung an den Bestand hat mich zur Architektur geführt. Während des Studiums habe ich schnell gemerkt, dass ich die gebaute Welt nicht nur gestalten, sondern verstehen will – im Zusammenspiel von Raum, Nutzung und Gesellschaft.

Was bedeutet „weibliche Stadtplanung“ für Sie konkret?

Es geht nicht darum, Frauenrollen zu zementieren, sondern Vielfalt sichtbar zu machen. Weibliche Stadtplanung heißt, Mobilität, Sicherheit, Gesundheit oder Alltag aus verschiedenen Lebensrealitäten heraus zu denken. Einer meiner Grundsätze ist „Form follows Emotion“. Das führt zu besseren Lösungen – für alle, nicht nur für Frauen.

Können Sie Beispiele geben, wie das in Ihren Projekten sichtbar wird?

Wir nehmen etwa das Thema „Multistopp-Mobilität“ immer wieder auf. Viele Menschen – statistisch öfter Frauen – legen komplexe Wege zurück: Kinder, Einkauf, Pflege, Arbeit. Daraus folgen ganz andere Anforderungen, etwa an Verkehrsführung, Radstellplätze, multimodale Angebote oder Aufenthaltsqualität. Wenn wir das stärker berücksichtigen, entstehen lebenswertere Strukturen.

Auch die Empathie gegenüber der Natur spielt eine wichtige Rolle. Ein Beispiel entsteht      in unserem Futuria-Projekt in Garching. Zum Schutz vor Insekten sollte hier weniger Beleuchtung eingesetzt werden. Das führt jedoch bei vielen zu einem Gefühl von Unsicherheit. Wir setzen deshalb im Gehweg extra für Futuria mit Godelmann nachhaltig entwickelte Platten ein, die tagsüber das Licht sammeln und es abends für einen sicheren Heimweg abgeben. Ganz nach dem „Genius Loci“, dem ganzheitlichen Konzept aus Architektur, Design, Landschaftsarchitektur und Kunst.

Sie haben inzwischen sogar einen ganzen „Planungsleitfaden weiblicher Dimensionen“ entwickelt. Was steckt dahinter?

Das ist unser Instrument, um Themen wie Mobilität, Wohngesundheit, Sport, Sicherheit, Gemeinschaft oder Zugänglichkeit systematisch zu integrieren. Zum Beispiel setzen wir auf natürliche Materialien, Bewegungsangebote im Alltag oder kommunikationsfördernde Architektur – das sind alles Faktoren, die Gesundheit, Nachhaltigkeit und Lebensqualität verbinden.

Wo begegnen Sie Widerständen bei der Umsetzung solcher Ideen?

Vor allem bei Normen und Regularien. Vieles im Bauwesen ist standardisiert, aber Standards sind nicht automatisch Qualität. Wir brauchen mehr Mut, Dinge zu hinterfragen – ob eine Tiefgarage wirklich nötig ist oder ob ein alternativer Baustoff auch ohne jahrzehntelange Zertifizierung funktionieren kann.

Ihr Unternehmen gilt als Vorreiter bei der Verwendung von nachhaltigen Baustoffen. Wie verbinden Sie Ökologie und Ökonomie?

Nachhaltigkeit ist kein Kostentreiber, sondern Zukunftssicherung. Wir versuchen    beispielsweise Baustoffen aus Schilf und Typha zu verwenden, die auf wiedervernässten Moorflächen angebaut werden können oder Stroh – das regional, klimapositiv und ressourcenschonend ist. Das ist aufwendig, aber wirtschaftlich sinnvoll, weil es langfristig unabhängiger und stabiler macht. Außerdem versuchen wir bei zwei unserer Projekte den Bestand zu erhalten und weiter zu bauen. Das spart Kosten, Ressourcen und graue Energie.

Weibliche Perspektiven gelten oft als „sozial“, selten als wirtschaftlich. Wie sehen Sie das?

Für mich ist das der Kern von Wirtschaft. Immer mehr Frauen kaufen beispielsweise inzwischen Immobilien, haben mehr Kapital und investieren selbstbestimmt in ihre Zukunft. Wer weibliche Lebensrealitäten versteht, erschließt neue Märkte. Es geht nicht nur um Female Empowerment, sondern um Marktintelligenz und längst fällige Anpassungen.

Welche Vision treibt Sie an?

Ich möchte Bau- und Stadtentwicklung so gestalten, dass sie gesellschaftliche Realität abbildet. Frauen verdienen weniger, leisten mehr Care-Arbeit und haben geringere Renten – das alles hängt mit Raum und Struktur zusammen. Weibliche Stadtplanung ist kein Trend, sondern eine wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit.

Zur Person:

„Als Frau in einer männerdominierten Branche fällt mir auf, dass meine Perspektive auf stand und Lebensräume eine andere ist“, sagt Melanie Hammer, Architektin und Geschäftsführende Gesellschafterin im Bereich Projektentwicklung der BHB Unternehmensgruppe. 2014 über nahm sie die Leitung des Bauträgers nach dem plötzlichen Tod ihres Vater – eine Ausnahme in der Münchner Immobilienwirtschaft. Wohnungsbau ganzheitlich und aus weiblicher Perspektive zu sehen, das hat Hammer inzwischen erfolgreich zum USP gemacht.

 

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