Der große Konferenzsaal der Wirtschaftskammer Österreich ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die MIT Europe Conference 2023 gastiert in Wien. Auf der Bühne steht eine junge Frau: Ariel Furst, 34 Jahre alt. Sie wird die einzige weibliche Vortragende an diesem Tag sein. Seit 2022 ist Furst als Assistenzprofessorin für chemische Verfahrenstechnik am MIT und forscht dort an der Schnittstelle zwischen mikrobiellem Ingenieurwesen, Materialwissenschaften und Elektrochemie. Ihre Lab Mannschaft hat in den vergangenen eineinhalb Jahren mehrere Technologien entwickelt, die das Potenzial haben, ganze Branchen zu revolutionieren: von der Gesundheitsversorgung über die Energiewirtschaft bis hin zum Agrarwesen.
Hört man ihr zu, wie sie voller Enthusiasmus von den Durchbrüchen ihres kleinen, diversen Forscher:innen-Teams erzählt, kann man kaum fassen, was Menschen möglich ist, wenn man ihr Talent erkennt und sie machen lässt. Beispiel gefällig? Da wären etwa neuartige, niederschwellig einsetzbare elektrochemische Testkits, die potenziell zur Diagnose von gängigen Infektionskrankheiten eingesetzt werden könnten, für sexuell übertragbare wie HPV und HIV, in näherer Zukunft bald Tuberkulose und COVID-19.
Wie das funktioniert? „Wir verwenden für unsere Biosensoren ein spezielles Bakterium, das vor einigen Jahrzehnten in einem Teich im Bundesstaat New York isoliert wurde“, erklärt Furst. Das Besondere an ihm sei: „Es atmet Elektroden ab, erzeugt also im Grunde Strom“, und diese Eigenschaft macht sich das Furst Lab zunutze. Der Clou an den Test-Kits ist, neben diesen Sensor-Mikroben, der Einsatz günstiger Einweg-Elektroden. „Ich habe eine extrem kreative Postdoktorandin im Team, die diese kleinen Goldelektroden entwickelt hat“, erzählt Furst sichtlich stolz. „Sie verwendet hauchdünnes Blattgold und Transparentfilm, um Goldsticker zu machen.“ Kostenpunkt pro Diagnose-Elektrode: gerade einmal 0,65 Dollar. Normalerweise brauche man für die Herstellung von Elektroden einen Reinraum, in diesem Fall sei ein einfacher Labortisch ausreichend – perfekt für ressourcenarme Regionen.
„Der Fokus, den das MIT auf die Übertragbarkeit seiner Forschung legt, ist einzigartig.“
Aha-Moment für die Wissenschaft
Das Projekt verdeutlicht, wie praxisnah und problemorientiert Wissenschaft sein kann. Keine Spur von Abgehobenheit im Elfenbeinturm. Allerdings gibt die US-Amerikanerin im Anschluss an ihren Vortrag zu: „Der Fokus, den das MIT auf die Übertragbarkeit seiner Forschung legt, ist einzigartig. Das macht es für mich zu einem so reizvollen Ort.“
Der Weg vom Labor in die reale Welt sei ein mehrstufiger Prozess. „Ein großer Teil der akademischen Forschung bleibt irgendwo dazwischen stecken“, so Furst. Partner aus der Industrie, mit ihrem Zugang zu Produktionsabläufen und ihrem Wissen über die Skalierbarkeit, können dazu beitragen, dass bahnbrechende Erkenntnisse den Weg in die Praxis finden. Das sei eine der großen Stärken des MIT und mache dessen Forschung so relevant für die Gesellschaft.
Dabei hätte alles ganz anders kommen können. In der High School mochte Furst Naturwissenschaft eigentlich gar nicht. Eher zufällig schrieb sie sich für ein Praktikum in einem Uni-Forschungslabor ein. Rückblickend ein enormer Glücksfall: „Damals wurde mir klar, wie sehr sich Forschung im Labor vom typischen Laborunterricht unterscheidet“, erinnert sich Furst. Laborarbeit fühle sich eher wie Rätsellösen an. „Man weiß nie genau, wie es ausgeht. Anstatt bestimmte Methoden oder Techniken anzuwenden, muss man kreativ sein.“
Mentorship – die Zauberformel für mehr Diversität
„Es gibt nicht so viele Frauen in Chemie und Verfahrenstechnik, aber ich hatte immer sehr leidenschaftliche Fürsprecherinnen“, erzählt Furst. Darunter unter anderem Jacqueline Barton, bei der sie am California Institut of Technology (CalTec) promovierte. „Sie gab mir das nötige Selbstvertrauen, eine akademische Karriere einzuschlagen. Eine fantastische Mentorin“, sagt Furst. Und diese Rolle versuche sie nun selbst einzunehmen: „Wenn ich sehe, dass meine Student:innen Ergebnisse erzielen, ist das für mich die schönste Sache der Welt.“
Aktuell sind in der MIT Abteilung für „Chemical Engineering“, zu der Fursts Lab zählt, die Mehrheit der Studierenden weiblich. Woran konkret liegt diese Ausnahme? „Sowohl bei der Vorstandsvorsitzenden, Paula Hammond, als auch bei ihrer Stellvertreterin, Kristala Jones-Prather, handelt es sich um ,Persons of Color‘. Beide sind führend in ihrem jeweiligen Bereich und setzen sich für Diversity auf allen Ebenen ein.“
Grundsätzlich mache dies auch aus wissenschaftlicher Perspektive Sinn. Vielfalt im Team hinsichtlich des Backgrounds, der Erfahrungen und Lebenswelt sei extrem hilfreich, wenn es darum gehe, komplexe Herausforderungen zu überwinden. Diversität sei ganz zentral für den Erfolg.
„Der beste Weg, ein:e gute:r Wissenschafter:in zu werden, besteht darin, sich mit dem Scheitern vertraut zu machen“
Scheitern bildet
Durch ihre Erfahrungen an der High School und nun am MIT kann Furst sehr genau einschätzen, wie Bildung gestaltet sein müsste, um junge Menschen für MINT-Fächer zu begeistern. „Der beste Weg, ein:e gute:r Wissenschafter:in zu werden, besteht darin, sich mit dem Scheitern vertraut zu machen“, betont Furst. „Das ist der eine Rat, den ich all meinen Studierenden gebe.“ Zweiter Rat: „Resilienz kultivieren! Denn es gäbe keine Möglichkeit, effektiv zu forschen, „ohne dass sich einige Hypothesen als falsch herausstellen. Je schneller man herausfindet, warum das so ist und zum nächsten Experiment übergeht, desto besser wird man als Wissenschafter:in.“
Häufig beschleicht Furst das Gefühl, dass die Fähigkeiten, die man in der Wissenschaft braucht, das Gegenteil von dem sind, was von Schüler:innen gefordert wird: „In der Schule muss man immer eine Antwort parat haben, nur dann bekommt man gute Noten“. Eine Schieflage, die dringend geändert werden sollte.
Viele der Werte und Grundsätze, die Furst im Interview skizziert, finden sich auch in der offiziellen Grundsatzerklärung des MIT wieder – etwa das Streben nach Wissen mit praktischer Wirkung im Dienst der Welt. Der Glaube an Learning by Doing. Und die Überzeugung, dass das Lernen durch eine Vielfalt von Ansichten genährt wird.
Am treffendsten ist das Verständnis von Wissenschaft, für das Furst so prototypisch steht, allerdings im letzten Satz des MIT Mission Statement ausgedrückt: „Gemeinsam verfügen wir über eine ungewöhnliche Stärke. Es liegt in unserer Verantwortung, diese mit Weisheit und Sorgfalt für die Menschheit und die Welt einzusetzen.“ Etwas, das Ariel Furst voller Begeisterung jeden Tag aufs Neue tut.
Der MIT-Mindset-Check für Unis und FHs in der Dach-Region
ISTA
Das Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Maria Gugging/Klosterneuburg (NÖ) ist eine auf Mathematik und Naturwissenschaften spezialisierte Einrichtung mit exzellentem internationalen Renommee.
Ähnlichkeiten: Der Schwerpunkt liegt auf interdisziplinärer Forschung und dem Anspruch auf Anwendbarkeit der Ergebnisse. Das ISTA hat sich einen hervorragenden Ruf in der Science Community erarbeitet.
Unterschiede: Relativ junge Institution, bietet keine Bachelor- oder Masterstudiengänge, Ausbildung nur für Doktorand:innen.
AIT
Das Austrian Institute of Technology (AIT) ist Österreichs größte Research- und Technology-Organisation in den Bereichen Energy, Transport, Health & Bioresources etc.
Ähnlichkeiten: Führende Rolle bei Herausforderungen wie Dekarbonisierung, sieht sich als zentraler Partner der Industrie in Europa.
Unterschiede: Fokus auf außeruniversitäre Forschung, hat in Kooperation mit Universitäten ein PhD Programm.
TU Graz
International angesehene technische Universität, die sich der Erforschung von Zukunftsfeldern wie Advanced Material Science, Human & Biotechnology und Sustainable Systems verschrieben hat.
Ähnlichkeiten: Multidisziplinäre Projekte werden gefördert, außerdem engagiert sich die Universität stark in Sachen Gender Balance.
Unterschiede: Während am MIT aktuell 48 Prozent der Studierenden weiblich sind, kommt man bei der TU Graz auf 27 Prozent. Tendenz: Dank Vizerektorin Claudia von der Linden stark steigend.
ETH Zürich
Bereits 1855 unter dem Namen Polytechnikum gegründet, sechs Jahre vor dem MIT. Wissenschaftlicher Fokus im Bereich Grundlagenforschung.
Ähnlichkeiten: Interdisziplinäre Forschung wird durch Kompetenzzentren wie beispielsweise ETH AI-Center gefördert. Unterstützung von Start-ups.
Unterschiede: ETH hat mit rund 25.000 Student:innen, beinahe doppelt so viele wie das MIT. Gleichzeitig hat das MIT deutlich mehr Mitarbeiter:innen.
TUM
Die Technische Universität München ist mit 182 Studiengängen eine der größten und laut THE-Ranking auch die beste Universität der Europäischen Union.
Ähnlichkeiten: Starker Innovationsgeist, regelmäßiger Gewinner der Hyper-Loop-Competition (Space X), dabei in direktem Wettbewerb mit dem MIT.
Unterschiede: Fünfmal so viele Studierende wie das MIT, sieben Standorte weltweit.