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Tanja Marfo: Selbstbewusst mit „Size egal“

Tanja Marfo schrieb in ihrem Buch „Size egal – dein Selbstbewusstsein kann nicht groß genug sein“ über ihre Erfahrungen mit Essstörungen. Im Interview spricht sie darüber, wie sie ihr Selbstbewusstsein aufbaute und ihren Weg in die Unabhängigkeit fand. 

Dieses Interview erschien am 15. September 2021 auf www.her-career.com.

Tanja Marfo hat sich selbst gefunden. Gemeinsam mit Caro Matzko hat die Unternehmerin und „Kurvenrausch“-Bloggerin aus Hamburg das sehr persönliche Buch „Size egal – dein Selbstbewusstsein kann nicht groß genug sein“ geschrieben, in dem beide ihre Erfahrungen mit Essstörungen beschreiben. Im Interview mit der herCAREER erzählt Tanja Marfo über ihre Erfahrungen als dicke Frau und ihren Weg zu Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit.

Was hat euch dazu bewogen, „Size egal“ zu schreiben? Und warum haben du und Caro Matzko beschlossen, es gemeinsam zu schreiben? 

Es war für uns ein großes Herzensprojekt, wir haben das Buch im ersten Lockdown geschrieben. Ich war Caros Makeup-Artist und kenne sie seit zehn Jahren. Ich habe sie zu einem Feature für den Bayrischen Rundfunk zum Thema Essstörung begleitet und ihr ein Interview gegeben. Sie hat gemerkt, dass sie das Interview mit mir nicht machen kann, ohne ihre eigene Geschichte zu erzählen. Wir haben während des Features gemerkt, dass wir so viele Gemeinsamkeiten haben und haben beschlossen, mehr daraus zu machen. Eine Freundin hat uns dann einen Verlag empfohlen.

Die Geschichten im Buch sind sehr persönlich. Ihr habt unterschiedliche Essstörungen, aber vieles scheint ähnlich. 

Wir haben im Buch unser Innerstes nach außen gekehrt und fragten uns schon: wie werden es die anderen, vor allem unsere Eltern wahrnehmen? Essstörungen starten immer in der Kindheit, daher haben wir auch im Buch all das erzählt: über unsere Kindheit und Jugend, unsere Erziehung und die Pubertät, die ersten sexuellen Erfahrungen bis hin zu späteren Beziehungen und dem Mamasein. Mein Gewicht ging in der ganzen Zeit immer mal rauf und runter – ich habe alle Diäten durch. Caro hatte Bulimie und ist geheilt – ich muss manchmal aufpassen, dass ich nicht zuviel esse. Bulimie und Magersucht sind laut Untersuchungen oft in einem sehr leistungsorientierten Umfeld aufgewachsen, beim Binge-Eating, wie ich es gemacht habe, sind es eher traumatische Kindheitserfahrungen. Der Selbstwert und das Gefühl, sich nicht gut und wertvoll genug zu fühlen, ist aber generell bei Essstörungen ein großes Thema. Viele Frauen versuchen, sich und ihre Körper zu optimieren.

Welche Rolle spielt hier das Umfeld und wie hast du geschafft, dein Selbstbewusstsein zu verbessern?

Selbstwert und Selbstliebe sind ein großes Thema, gerade auch in Beziehungen. Ich war schon mal verheiratet und hatte danach eine längere Beziehung. Jetzt bin ich seit einem Jahr in einer Beziehung und kann sagen: noch nie hat mich jemand so gesehen und wertgeschätzt als Mensch, findet mich toll und sieht nicht meine Kilozahl. Wenn wir in der richtigen Beziehung sind, können wir wachsen und uns weiterentwickeln. Liebe sollte nicht an gewisse Bedingungen geknüpft sein. Mein letzter Partner war narzisstisch geprägt, das habe ich leider erst spät gemerkt. In meiner Singlezeit nach der Trennung habe ich gemerkt, dass ich auch Körbe verteilen und selbstbestimmt agieren kann. Das macht einen unglaublich stark. Ich habe damals viele Bücher zu Persönlichkeitsentwicklung gelesen, habe an meinen Glaubenssätzen gearbeitet. Überall in der Wohnung hingen Post-its mit positiven Affirmationen.

Wie geht’s dir heute mit dem Essen? Wie wird bei dir Binge-Eating getriggert?

Essen ist ja oft ein Unterdrücken von Emotionen. Deswegen ist es so wichtig, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Ich bemerke den Drang zum Binge-Eating, wenn ich viel Stress habe. Kürzlich hatten wir ein ganztägiges Fotoshooting: früher wäre ich zuhause ins Bett gefallen und hätte in mich reingegessen. Heute achte ich darauf, Pausen zu machen und schon während der Arbeit regelmäßig zu essen. Man muss sich gut kennenlernen. Binge-Eating-Anfälle können über Wochen dauern, man isst sehr, sehr viel. Solche Anfälle habe ich inzwischen gar nicht mehr. Es ist aber auch wichtig, sich auch mal ein Stück Kuchen zu erlauben und nicht zu hart mit sich ins Gericht zu gehen. Ich habe schon viel mehr gewogen, und meine Knie freuen sich, wenn ich abnehme. Aber inzwischen geht es mir noch mehr darum, ein Gefühl der Zufriedenheit zu erlangen – egal, wie viel oder wie wenig man wiegt. Ich mache heute eigentlich alles wie auch schlanke Menschen, fahre Fahrrad, obwohl ich das sechs Jahre nicht gemacht habe.

Was fällt dir zum Wort Idealgewicht ein?

Erstmal möchte ich dem BMI (Body-Maß-Index, Anm.) in den Hintern treten. Ärzte setzen immer noch auf auf diese Formel. Healthy at every size ist möglich, solange man sich gut fühlt und keine Wehwehchen hat. Bei 1,86 sollte ich 80 Kilo als Normalgewicht wiegen, ein Idealgewicht wäre noch deutlich darunter. Das ist eine gesellschaftlich gesteuerte Form, in die ich lange versucht habe, mich reinzupressen. Nicht mal geschenkt möchte ich ein Idealgewicht haben. Allerdings: ich möchte ein Gewicht, das mich nicht einschränkt – wo die Lehne am Stuhl nicht stört oder ich im Flugzeug genug Platz habe.

Es gibt vereinzelt Kampagnen und auch immer mehr erfolgreiche Plus-Size-Models etc. Wie siehst du diese Entwicklung? Was würdest du dir wünschen?

Worte sind so mächtig und können so viel auslösen. Ich finde es so übergriffig, wie manche Menschen mit dem Thema umgehen. Ich habe in Spitzenzeiten 240 Kilogramm gewogen. Beim Spazieren, wenn ich mich endlich getraut habe, in Bewegung zu kommen, kamen dann Kommentare von der Seite. Das ist für dicke Menschen extrem schwierig. Dann überlegt man sich, zuhause zu bleiben und sich eben nicht zu bewegen. Als Kind war ich vielleicht ein bisschen pummelig. Wenn dein Umfeld dir als Kind sagt, du bist zu dick, die Ärzte, die Kinder, die Erwachsenen, die Lehrer, dann glaubt man das. Und dann beginnt man, dem Glaubenssatz weiter zu entsprechen.Es ist auch schwierig, als dicker Mensch zum Arzt zu gehen. Ein Arzt meinte zu meinen Knieproblemen, ich müsse abnehmen – dabei war ein Unfall die Ursache. Eine Psychologin empfahl mir eine Diät, anstatt mir zu sagen, dass es beim Binge-Eating in Wahrheit um Emotionen geht. Es ist unglaublich schwer, Menschen zu finden, die einen verstehen.

Studien besagen, dass korpulente Menschen im Business als weniger kompetent wahrgenommen werden als schlanke. Wie ist hier deine Erfahrung in beruflicher Hinsicht?

Im beruflichen Kontext hatte ich kaum Probleme mit Vorurteilen. Das liegt vielleicht daran, dass ich mich früh selbstständig gemacht habe. Aus dem privaten Umfeld habe ich aber schon öfter gehört: Du musst abnehmen, sonst kriegst du keinen Ausbildungsplatz oder sonst stellt dich keiner ein. Ich habe eine schulische Ausbildung zur Fremdsprachenassistentin gemacht und habe mich nach der Geburt meines Sohnes als Makeup Artist selbstständig gemacht. Für mich war eher das Thema, wie setze ich mich durch?

Du hast aus deiner eigenen „Betroffenheit“ heraus ein vielfältiges Business gemacht: du hast dem Blog Kurvenrausch gegründet, bietest aber auch Workshops zu Makeup, Styling und Mindset für Frauen an. Was war die Initialzündung für diesen beruflichen Weg?  

In meinen Makeup-Workshops habe ich mich immer wieder gefragt, warum keine dicken Frauen daran teilnehmen. Dann habe ich eine Plus-Size-Bloggerin aus Hamburg interviewt, fand das sehr spannend und habe mich auf Plus Size gestürzt – mein Blog Kurvenrausch war eine Zehnminutengeburt. Ich habe einfach losgeschrieben, Interviews geführt und habe mich dabei von meiner inneren Stimme leiten lassen.

Du schreibst auf deiner Webseite: „Du kannst deinen Körper nicht in eine Form hassen, um ihn dann zu lieben.“ Was meinst du damit? Wie hast du gelernt, deinen Körper zu lieben wie er ist?

Wenn du immer dick gewesen bist, wirkt diese Vision eines schlanken Lebens wie ein Paradies auf der anderen Seite. Ich möchte Frauen darin bestärken, dass sie sich im Hier und Jetzt wohlfühlen und zufrieden sein können, unabhängig von ihrem Gewicht. Ich habe in meiner Diätenkarriere gemerkt, wenn ich abgenommen habe, wurden meine Probleme dadurch nicht weniger. Es waren aber immer die falschen Motive, nämlich, anderen zu gefallen.

Die Wandlung geht also von innen nach außen und nicht von außen nach innen. Sich annehmen im Hier und Jetzt, ist der Schlüssel, um abzunehmen. Es braucht kleine Schritte, um sich auch jetzt schon wohlzufühlen und nicht zu warten, bis jemand kommt und sagt, ich find dich toll, so wie du bist. Denn das kann wiederum zu emotionaler Abhängigkeit führen. Ich hab früher keine Cutout-Jeans oder Kleid ohne Strumpfhose getragen, inzwischen mache ich es einfach und bekomme kaum mehr negative Kommentare, weil ich es mit einer Selbstverständlichkeit tue.

Was bedeutet das für das Selbstvertrauen der Betroffenen? Und wie kann man hier von der Negativspirale in eine Positivspirale kommen?

Ich möchte Frauen in meinen Workshops zeigen, was sie machen können, um sich gut zu fühlen. Beim Makeup-Workshop erzählen die Frauen oft, dass sie nie ungeschminkt zum Müll gehen oder sie ihr Mann nie ungeschminkt sieht. Mir geht es nicht, darum, dass die Frauen sich verkleiden oder sie eine Maske aufsetzen. Ich zeige ihnen, wie sie das Doppelkinn verringern, die Nase kleiner machen. Es ist so viel mehr als Oberflächenbemalung, es kann so viel Selbstbewusstsein geben. Ich bin auch heute nicht mehr so streng bei meinem eigenen Makeup. An schlechten Tagen macht eine rote Lippe so viel aus – gerade im Home Office fühlt man sich geschminkt und in Bürokleidung besser. Ich möchte den Frauen einen wertvollen Blick auf sich selbst geben. Ich sage den Frauen dann, was ich schön an ihnen finde. Wir reden zwar über Makeup, aber es ist auch eine große Portion Selbstliebe und Stärkung und ein wertschätzender Blick auf das eigene Leben dabei.

Über Tanja Marfo

Tanja Marfo ist Hamburger Plus-Size-Ikone, Mode-Unternehmerin, Bloggerin und Mutter eines Sohnes. Sie steckt hinter dem Blog Kurvenrausch und ist Unternehmerin, Freigeist, Macherin und Influencerin im wörtlichen Sinne, denn ihre Community begeistert sie täglich für ihre Ideen einer besseren Welt.Auf der herCAREER 2021 in München war Tanja Marco live im Podcast von Natascha Hoffner zu Gast.

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