Die Niere schwebt durch den Raum. Von allen Seiten lässt sich das Organ betrachten, auch Feinheiten sind genau zu erkennen. Anwendung wie „Insight Kidney“ oder „Inside Lung“ des Medical Animation Spezialisten Anima Res kann als App heruntergeladen und über das Smartphone genutzt werden. Sie lässt sich aber mit weitaus tieferem Einblick auch über die Datenbrille Hololens2 einsetzen. „Lernen kann hier völlig anders erlebbar werden“, erklärt Key-Account Managerin Kristin-Jasmin Stelzer. Vor allem aber seien 3D-Visualisierung und Immersion im Bereich von Digital Health eine große Hilfe wenn es darum geht, Patient:innen ihr Krankheitbild zu erläutern oder Ängste vor einer Therapie zu nehmen.
Anima Res ist so genannter Mixed Reality Partner von Microsoft. Über die Hololens2 will der Tech-Konzern gemeinsam mit Partnern den Weg ins so genannte Industrial Metaverse ebnen. Gleichzeitig schloss Microsoft in der vergangenen Woche den Metaverse-Raum AltspaceVR offiziell. Wie passt das zusammen?
„Der Consumerbereich Metaverse wächst aus meiner Sicht langsamer als der Business Bereich, deshalb wird das Metaverse in den nächsten Jahren auf der Businessebene stärker voran getrieben“, erwartet Samira Djidjeh, CEO und Co-Founder von green-boxx animation, die selbst u.a. mit dem Netzwerk Digital Media Women dort Treffen organisert hat. „AltspaceVR war eher eine Social VR Anwendung, hervorragend geeignet für Communites und gemeinsame Aktivitäten. Außerdem wurde AltspaceVR gerne von Kreativen, Weltenbauern genutzt, weil die Tools und Schnittstellen dafür sehr gut geeignet waren. Darum gab es beeindruckende Welten wie das Sonnensystem oder die Marsoberfläche, die Menschen gemeinsam erleben konnten. Zwar ließ sich AltspaceVR auch für Präsentationen und Schulungen nutzen, aber im Businessbereich gibt es inzwischen andere Anwendungen, die sich mehr für Collaboration, Meetings und die Sichtbarkeit von Marken einsetzen lassen“, so Video- und VR-Expertin Djidjeh.
Doch worin unterscheidet sich das industrielle Metaversum von der Konsumer-Variante? Welche Rolle spielen vorhandene Entwicklungen wie etwa digitale Zwillinge? „Das Industrial Metaverse ist kein Produkt, man kann es nicht kaufen, sondern es ist ein Zusammenspiel verschiedener Technologien“, erläutert Stefanie Grois, Lead Architect Industry Solutions, Microsoft Deutschland. „Eigentlich hat die Entwicklung eines Metaverse schon vor 20 Jahren begonnen, denn ein virtuelles Abbild der Realität nutzbar zu machen, hat schon damals funktioniert“, sagt Nico Hartmann, Manufacturing Industry Lead, Microsoft Deutschland. „Heute haben wir jedoch andere Technologien zur Verfügung – digitale Zwillinge sind nicht mehr nur eine grafische Repräsentanz, sondern erlauben Feedback-Loops und die Anbindung an interne Prozesse. Diese Anbindung wird mittels KI immer weiter verbessert“, skizziert Hartmann die Zusammenhänge.
Simulation von Produktionsprozessen, Schulungen oder Kollaboration – die möglichen Anwendungen im Industrial Metaverse sind vielfältig, die Hololens2 ist dabei ein Tool von vielen. Die mit AltspaceVR gewonnenen Erkenntnisse könnten nun beispielsweise in Microsofts Mixed Reality Netzwerk-Software Mesh einfließen.
Geschäftsfeld und Ökosystem Industrial Metaverse
Das Industrial Metaverse bietet eine erweiterte Realität, die virtuelle Simulationen, immersive Technologien, Datenanalyse und Zusammenarbeit nutzt, um reale Geschäftsprozesse in einer digitalen Umgebung abzubilden und zu verbessern. Durch die Simulation von Produktionsprozessen können Unternehmen zum Beispiel ihre Effizienz erhöhen, indem sie potenzielle Probleme vorausschauend erkennen und beheben. Auch schnellere Tests sind nützlich, um Entwicklungszyklen zu beschleunigen. Durch virtuelle Schulungen lassen sich Kosten und CO2 einsparen. Neben Social-Media-Konzernen, der Gaming-Industrie und Lifestyle-Marken erschließen Investoren und Tech-Firmen gerade dieses neue Geschäftsfeld, dessen Umsatz bereits für 2024 von Bloomberg auf 800 Milliarden Dollar geschätzt wird.
Bekannt sind Umgebungen und Plattformen wie Decentraland, Fortnite, Horizon, Roblox, Sandbox, die allerdings bislang noch kein zusammengeschlossenes Metaverse ergeben. Viele Unternehmen bauen derzeit an ihrem eigenen Metaverse-Modell. Um die neuen Welten produktiv und in Echtzeit einsetzen zu können, braucht es jedoch Hochleistungslösungen bei Kommunikation, Daten- und Sicherheitsstandards. Das ist vor allem für die Nutzung digitaler Zwillinge nötig.
Diese stellen ein Software-Abbild von Objekten der realen Welt dar, von Industrieanlagen bis hin zu ganzen Städten. Wie gut ein digitaler Zwilling ist, hängt davon ab, wie gut Statusänderungen von vernetzten Sensoren erfasst und eingepflegt werden können. Im Industrial Metaverse sorgen beispielsweise performante KI-Algorithmen und Datenübertragungen in Echtzeit wie in 5G oder künftig sogar 6G für genaue virtuelle Abbilder.
So nutzt etwa Siemens Energy digitale Zwillinge, um die vorausschauende Wartung von Kraftwerken zu unterstützen und Ausfallzeiten zu reduzieren. Auch eine enge Kooperation mit Grafik-Pionier Nvidia wurde im vergangenen Jahr gestartet. Ziel der Partnerschaft sei es, ein industrielles Metaversum zu schaffen und den Einsatz mit Künstlicher Intelligenz betriebener Digital-Twin-Technologie weiter voranzutreiben, so der Konzern. Als ersten Schritt verknüpfen die Unternehmen die offene Business-Plattform Siemens Xcelerator und NVIDIA Omniverse, eine Plattform für 3D-Design und Zusammenarbeit. „Fotorealistische und physikalisch gestützte digitale Zwillinge, eingebunden in das industrielle Metaversum, bieten enormes Potenzial, Volkswirtschaften und Industrien zu transformieren“, sagt Roland Busch, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG. „Es entsteht eine virtuelle Welt, in der Menschen interagieren und zusammenarbeiten, um reale Herausforderungen zu lösen.“
Mit Hochdruck arbeiten Unternehmen an neuen Partnerschaften und Ökosystemen für das Industrial Metaverse. Herausforderungen sehen Fachleute derzeit unter anderem darin, wie vorhandene Datensilos für gemeinsame Aktivitäten verschiedener Stakeholder genutzt werden können. Standardisierung ist dabei ein wichtiges Ziel, doch auch das Thema Sicherheit ist hier noch längst nicht gelöst.
Die fünf wichtigsten Merkmale des Industrial Metaverse sind:
- Virtuelle Simulationen: Das Industrial Metaverse nutzt virtuelle Umgebungen, um reale Situationen zu simulieren und zu testen, wie z.B. Produktionsprozesse, Schulungen oder Zusammenarbeit. Diese Simulationen können Unternehmen helfen, Zeit und Kosten zu sparen und Probleme im Voraus zu erkennen.
- Immersive Technologien: Das Industrial Metaverse nutzt immersive Technologien wie Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality (AR), um Nutzer*innen in die virtuelle Umgebung einzutauchen und ein realistisches Erlebnis zu schaffen. Dadurch können sie die virtuellen Umgebungen effektiver nutzen und die Zusammenarbeit verbessern.
- Datenanalyse: Das Industrial Metaverse ermöglicht es Unternehmen, große Mengen an Daten zu sammeln und zu analysieren, um Einblicke in Prozesse und Arbeitsabläufe zu gewinnen. Diese Daten können genutzt werden, um Entscheidungen zu treffen und Prozesse zu optimieren.
- Zusammenarbeit: Das Industrial Metaverse fördert die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen Mitarbeiter*innen, die an verschiedenen Standorten arbeiten. Virtuelle Arbeitsumgebungen können Teams aus der Ferne zusammenbringen, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten und die Zusammenarbeit zu erleichtern.
- Skalierbarkeit: Das Industrial Metaverse ist skalierbar, was bedeutet, dass es Unternehmen jeder Größe und in verschiedenen Branchen nutzen können. Es kann auch mit anderen Technologien wie künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen und dem Internet der Dinge (IoT) integriert werden, um noch bessere Ergebnisse zu erzielen.