Im »Up Dog« schaut die Welt ganz anders aus als im »Down Dog«. Das soll jedoch nicht die letzte und einzige Erkenntnis aus der Selbstisolation sein.
Jeden zweiten Tag, wenn ich im »Upward-Facing Dog« mein offenes, angehobenes Brustbein der Welt (eigentlich der Schlafzimmertüre, aber Welt klingt besser) entgegenstrecke, dann frage ich mich, ob auch ich gestärkt aus dieser Krise herauskommen werde. Man liest ja schließlich immer wieder davon. Und wenn ja, was genau von mir stärker sein wird als vorher. Seit ich mich auch noch der Liegestütz-Challenge einer bekannten Bloggerin angeschlossen habe, weiß ich, dass das auf meinen Bizeps in jedem Fall zutreffen wird. Aber der trägt mich ja leider nicht aus der Krise. Also lieber mehr Beine trainieren? Oder Core? Dafür gibt es mit Sicherheit auch irgendeine Challenge.
Im »Downward-Facing Dog« sieht die Welt naturgemäß schon wieder ganz anders aus. Aber im abschließenden »Shavasana«, auch Corpse Pose genannt, glaube ich dann wieder ganz fest daran, dass mich die momentane Situation im Augenblick zwar verwundbarer macht, ich der Welt danach (wie klar definierbar dieses »danach« auch immer sein wird) jedoch mit sehr viel größerem Selbstbewusstsein begegnen werde. Nicht nur weil ich mit halbwegs klarem Kopf durch die Isolation gekommen bin (hoffe ich jedenfalls), sondern auch deshalb, weil ich durch ebendiese Isolation auch zur verstärkten Auseinandersetzung mit mir selbst gezwungen wurde. Ich weiß jetzt zum Beispiel, wie viele Workouts der mit Klicks in Millionenhöhe gefeierten Fitness-Influencerin Pamela Reif ich pro Tag schaffe (mehr als drei sind nicht zu empfehlen), aber ich weiß auch – und das ist längerfristig gesehen natürlich sehr viel wichiger – dass es mich nicht um meinen halbwegs klaren Kopf bringt, wenn mein Freizeit-Kalender, auch Halli Galli-Kalender genannt, leer bleibt. Eine Leere, die mir vor nicht allzu langer Zeit noch sehr viel Angst gemacht hat und von der ich bis vor Kurzem noch gedacht habe, dass sie mich dazu bringen würde, ans andere Ende der Welt zu reisen, um zu schauen, ob nicht vielleicht dort jemand mit mir auf einen Spritzer gehen mag. Aber das geht ja jetzt nicht mehr. Weil eigentlich fast gar nichts mehr geht. Aber es geht. Es geht mir sogar halbwegs gut mit mir selbst. Bis auf den Muskelkater natürlich.
Ich weiß aber, wenn auch glücklicherweise nicht aus persönlicher Erfahrung, dass die ständige Auseinandersetzung mit sich selbst vor allem für Menschen mit Depressionen sehr, sehr schwierig sein kann, weil plötzlich kaum noch Coping-Mechanismen zu Verfügung stehen. Ich wünsche allen Menschen, die aufgrund von Depressionen und Panikattacken verstärkt unter der Situation leiden, ganz viel Kraft. Und alle anderen: Ruft eure Liebsten an und schreibt ihnen. Wartet nicht darauf, dass sie sich melden!
Header © Maximilian Lottmann