Bewusst gepflegter Anachronismus hat durchaus seine Vorteile. Ein Plädoyer für die zielgerichtete Wiederbelebung der Handschrift.
Vier Menschen treffen einander auf Zoom und unterhalten sich vor internationalem Publikum übers Schreiben. Der »Montblanc«- Kreativdirektor Zaim Kamal, die Schriftstellerin Nikita Gill, der Kalligraph Seb Lester und der Herausgeber des britischen GQ-Magazins Dylan Jones. Sie reden nicht über Hashtag-Akrobatik in Digitalien oder das neue Austauschmedium Zoom, sondern über eine ganz alte Technik, die früher einmal für Erstklassler sogar am Unterrichtsplan stand: Schönschreiben.
Mit der Hand feine Linien ziehen, mit dem Handdruck deren Dicke bestimmen, die Harmonie der Bewegung trainieren, während Gedanken über das Handgelenk aufs Papier fließen. »Schreiben heißt, sich selber lesen«, hielt der Schweizer Autor Max Frisch fest.
Montblanc-Kreativdirektor Zaim Kamal liegt mit dem Schriftsteller auf einer Linie: »Schreiben ist Teil unserer emotionalen Ausdruckskraft, die sich damit auf eine sehr taktile Art äußert«. Nikita Gill, die Poetin, die mit ihren Gedichten auf Instragram mehr als eine halbe Million Follower anspricht, erzählt, dass sie ihre Gedankengänge nur handschriftlich nachzeichnen könne, nicht aber auf einem Computer. Seb Lester, der Maestro des Schönschreibens, vergleicht seine Kunst mit einem Spaziergang, bei dem man mit sich und der Welt im Einklang ist. Und Dylan Jones beschreibt handschriftliches Schreiben als einen Akt bei dem man »Gefühle und Gedanken fließen lässt«.
Eine Stunde lang unterhalten sich die vier im einnehmenden, durchwegs tiefsinnigen Plauderton über eine Kulturtechnik, die uns allen längst so selbstverständlich ist, dass wir normalerweise kein Wort über sie verlieren. Aber halt, ist sie wirklich noch so selbstverständlich im Tastatur- und Screen-vergessenen Digitalien? Laut Studien hat immerhin bereits jedes dritte Kind Probleme, eine gut lesbare und flüssige Handschrift zu entwickelt, wobei Mädchen bei den Tests besser als Burschen abschneiden. Einer online-Befragung unter 2000 Lehrern zufolge können nur vier von zehn Schülern länger als 30 Minuten beschwerdefrei schreiben. Schon werden Rufe laut, dass das (Schön-)Schreiben wieder stärker in die Lehrpläne verankert werden sollte. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Richtiges, handschriftlichen Schreiben erhöht Wissen, Textverständnis, schärft den Sinn für die Planung eines Textes und aktiviert eine Feinmotorik, die auch fürs Basteln oder Malen – also für Kreativität – zuständig ist. In den meisten dieser Punkte treffen sich übrigens alt und jung. Denn handschriftliches Schreiben bedeutet Entschleunigung, also ein In-Sich-Gehen, eine Anleitung zur Besonnenheit, zur Überprüfung.
Eine Mail ist schnell getippt und oft noch schneller versandt. Ein geschriebener Brief, ein geschriebenes Dokument verlangt nach Zeitaufwand, ernsthafter Auseinandersetzung, Bemühung um Lesbarkeit wie Verständlichkeit.
Auch Letzteres wird in dem Zoom-Talk über »The Power of Writing« thematisiert, an dem hundert „Schreib-Interessierte“ aus aller Welt teilnehmen. Zur Abrundung liest Nikita Gill eines ihrer Gedichte vor. Seb Lester erteilt den Teilnehmern des digitalen Talks zehn Gratis-Lehrminuten in Sachen Kalligraphie. Am Ende verrät jeder der Diskutanten sein zu schreibendes Lieblingswort. »Love«, sagt Zaim Kamal, »Play« Seb Lester, »Onomatopoeia« (Lautmalerei) Nikita Gill und »Moving« Dylan Jones.
»In Bewegung bleiben« – selbst, wenn es im ersten Moment so aussieht, als ob man dafür erst einmal den Rückwärtsgang einlegen müsste, denn ein bewusst gepflegter Anachronismus führt oft zu wesentlichen, weiterführenden Einsichten. Das war eine der Kernbotschaften des kurzweiligen digitalen Zusammentreffens über die alte Kunst des Schreibens. Es kann nicht schaden, sie hin und wieder zu beherzigen.