Wie stellt sich die aktuelle Situation für Frauen ab 50 bzw. 55 Jahren auf dem Arbeitsmarkt dar? Vor dem Hintergrund des Recruitings im viel diskutierten Fachkräftemangel: Warum fällt es dennoch gerade älteren, erfahrenen Fachkräften schwer, eine passende Stelle zu finden?
Der Arbeitsmarkt gestaltet sich für erfahrene weibliche Fachkräfte derzeit schwierig. Es gibt widersprüchliche Entwicklungen, die man berücksichtigen sollte, um die aktuellen Bewegungen richtig einzuordnen. In den Jahren nach Corona bis Mitte 2023 wurde in nahezu allen Abteilungen Personal aufgestockt – nun erfolgt vielerorts der gefühlte Gegentrend: Stellen werden wieder abgebaut. Hohe Personalkosten sind in wirtschaftlich schwachen Zeiten nicht tragbar.
Trifft das nur Frauen?
Von den Abbauprogrammen sind häufig Frauen betroffen – oft deshalb, weil sie in flexiblen Arbeitsmodellen tätig sind oder nicht in Schlüsselpositionen arbeiten. Auch die Personalsuche gestaltet sich schwierig. Viele Frauen waren seit Jahren nicht mehr aktiv auf Arbeitgebersuche, sind daher mit den aktuellen Gepflogenheiten bei Bewerbungen kaum vertraut. Hinzu kommt: Mit zunehmendem Alter steigen bei beiden Geschlechtern die Ansprüche an Position und Gehalt; sind die Rahmenbedingungen nicht mit ihren Lebensphasen vereinbar, wird ein Angebot oft abgelehnt.
Auf Arbeitgeberseite dominiert weiterhin ein Sparkurs. Im Zweifel entscheiden sich Unternehmen momentan eher für jüngere Bewerber als für die erfahrene 50-jährige Fachkraft. Diese Dynamik prägt den Bewerbermarkt jenseits der 50 – und das, obwohl der strukturelle Fachkräftemangel eigentlich ein deutliches Warnsignal sein müsste, die bisherige Einstellungspolitik zu überdenken. Offenbar ist der Leidensdruck jedoch noch nicht groß genug.
Welche Unterscheidungen sollte man machen?
Obwohl der Fachkräftemangel in vielen Branchen präsent ist, sollte man gezielt jene Branchen betrachten, die klare Wachstumsperspektiven bieten – etwa die Energiewirtschaft oder die IT. Für erfahrene Frauen stellt sich dabei die Frage, ob sie bereit sind, sich noch einmal grundlegend neu zu orientieren, alternativ zur Festanstellung. Ich bin überzeugt, dass die Unternehmen sich künftig vielmehr den Quereinsteiger:innen widmen müssen. Denn die Lücken zwischen Vakanzen und Bewerbenden, gerade in Lehrberufen, werden größer.
Employability: „Frauen müssen lernen, den Bedarf an ihrer Kompetenz selbst zu erzeugen“
Haben Frauen in ihren bisherigen Unternehmen bessere Chancen auf eine Beschäftigung, oder eher in neuen Feldern?
Das lässt sich schwer pauschalisieren. Wenn Frauen beispielsweise im C-Level angekommen sind, geht es beim bisherigen Arbeitgeber nicht weiter. Viele möchten auch raus aus den hierarchischen Strukturen. Und sind sie bereit, für etwas ganz Neues. Einige streben auch aus der Linie oder dem Vorstandsjob in die Selbständigkeit, da sie die Flexibilität brauchen und schätzen. Andere können sich auch eine Konstellation wie Shared Leadership gut vorstellen, da auch hier die Flexibilität gegeben ist. Aber dafür brauchen sie einen Arbeitgeber, der das auch mitträgt und nicht in alten Arbeitsmodellen verharrt.
Wie sollten Frauen ihre „Employability“ erhalten?
Hier sind beide Seiten gefragt: die Unternehmen ebenso wie die Frauen selbst. In der Praxis scheitert eine fehlende Employability oft daran, dass unterschiedliche Haltungen aufeinanderprallen. Hinzu kommt die Stereotypisierung, die wir auch in unserer Studie aufgezeigt haben: Ältere Bewerberinnen werden vorschnell mit „teuer“ oder „nicht teamfähig“ assoziiert. Wer so denkt, wird vermutlich auch in zehn Jahren noch versuchen, andere Alterskohorten zu bevorzugen.
Doch auch die Frauen selbst sollten aktiv werden – und zwar über klassische Bewerbungen hinaus. Sie müssen lernen, den Bedarf an ihrer Kompetenz selbst zu erzeugen. Das kann etwa bedeuten, ein Unternehmen, das ins Ausland expandiert, gezielt anzusprechen und die eigene Erfahrung in internationalen Kontexten einzubringen – beispielsweise im Umgang mit geopolitischen Unsicherheiten oder fragilen Lieferketten. Solche Chancen ergreifen bislang noch zu wenige Frauen, da sie es gewohnt sind, dass Angebote an sie herangetragen werden.
Wie wichtig sind tragfähige Netzwerke, ist da noch Potenzial?
Das Potenzial ist vorhanden: In nahezu jedem mittleren bis großen Unternehmen existiert inzwischen ein Frauennetzwerk. Der Austausch unter Kolleginnen funktioniert gut und verleiht insbesondere jüngeren Führungskräften das nötige Selbstvertrauen, ihre Karriere auch gegen Widerstände fortzusetzen. Daneben gibt es externe Netzwerke, deren Tragfähigkeit jedoch individuell geprüft werden sollte. Frauen empfehlen zwar gerne andere Frauen – allerdings meist nur dann, wenn sie bereits zusammengearbeitet haben. Andernfalls wird es schwierig, da eine Empfehlung schnell die eigene Reputation berühren kann. Vielen Frauen in verantwortungsvollen Positionen ist dieses Risiko schlicht zu groß.
Gibt es in den Unternehmen einen Generationenkonflikt, der die mögliche Beschäftigung von ü55 einschränkt?
Laut Studie gibt ein Viertel der befragten Unternehmen an, dass es bei älteren Beschäftigten Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit jüngeren Kolleginnen und Kollegen gibt. Häufig wird dies mit einem traditionellen Rollenverständnis begründet. Tatsächlich liegt das Konfliktpotenzial eher in einer Gemengelage aus unterschiedlichem Arbeitsverständnis und Lebensphase. Hier sind die Führungskräfte und der Bereich People & Culture gefragt. Sie sollten das Thema intergenerationale Zusammenarbeit durch offene Kommunikation frühzeitig adressieren.
Welche Rolle spielt KI künftig im Bewerbungsprozess? Besteht die Gefahr, als erfahrene Bewerberin schneller aussortiert zu werden?
Wir wissen alle, dass Algorithmen unbewusste Vorurteile gegen ältere Menschen verstärken können. Diese latente Gefahr besteht grundsätzlich immer, wenn KI-Tools bei der Bewerbenden-Auswahl zum Einsatz kommen. Technisch gesprochen, kommt es auf die Qualität der trainierten Daten an. Werden nur Daten von jüngeren Bewerbenden trainiert, ist der Age Bias natürlich schon vorprogrammiert. Hier ist es wichtig, die Technologie gezielt und nur dann einzusetzen, wenn es um die Bewältigung großer Bewerbermengen geht. Sobald es um die qualitative Beurteilung geht, stehen die menschlichen Fähigkeiten im Vordergrund.
„Die Krise ist ein wirtschaftlicher Fakt und hat nichts damit zu tun, dass Frauen weniger können oder weniger leisten“
Wie könnte frau eine 2. Karriere planen?
Sie sollte sich zunächst ein bisschen Zeit nehmen, um über ihre echten Stärken nachzudenken und diese mit dem Bedarf am Markt abzugleichen. Was kann meine Rolle in dieser Funktion sein? Welche Fähigkeiten bringe ich mit? Warum sind diese strategisch entscheidend? Sie sollten sich darüber Gedanken machen, eventuell zum Steigbügel-Halter der jüngeren Generation zu werden. Das bedeutet, sich in Bereichen zu engagieren, in denen es darum geht Erfahrungswissen weiterzugeben. Meist bringen Frauen bereits die Fähigkeiten mit, andere ins rechte Licht zu rücken, ohne selbst immer dauernd die Glanzmomente abzugreifen.
Wer könnte beraten? Was ist Ihre Rolle?
Ich glaube, man braucht ein privates und ein professionelles Sparring. Wir beraten erfahrene Führungsfrauen darin, wie sie sich gegenüber dem neuen Arbeitgeber präsentieren und ihren CV aufbereiten können, aber auch in Gehaltsverhandlungen und Arbeitsverträgen. Privat kann man nochmal viel besser offen über seine gefühlten Schwächen sprechen und ehrlicher sein. Das funktioniert im professionellen Kontext nur bedingt und ist sehr personenabhängig.
Ist Arbeitnehmerüberlassung bzw. Zeitarbeit ein unterschätzter möglicher Weg?
Arbeitnehmerüberlassung hat in der Öffentlichkeit noch das Stigma der prekären Beschäftigung. Vor allem für diejenigen die Arbeitsplatzsicherheit brauchen, aber im Projekteinsatz gleichzeitig eine hohe Flexibilität schätzen, ist das ein ideales Beschäftigungsmodell, zu dem wir ältere Beschäftigte oder auch Menschen, die nach einem Jahr Rente sagen: Ich möchte wieder in meinem Job arbeiten, in unserem Geschäftsbereich ExpertPlus beraten.
„Sinnhaftigkeit zählt heute sehr viel“
Warum sollten und können Frauen ü55 selbstbewusst in die Jobsuche gehen?
Weil sie größtenteils top ausgebildet sind und Fähigkeiten mitbringen, die gerade in vielen Firmen gebraucht, aber noch nicht aktiv gesucht, werden. Frauen können in wirtschaftlichen Krisenzeiten besser wirtschaften (achten Sie mal darauf, wieviele weibliche CFOs es gibt), sie verfügen über eine bessere Mitarbeiterorientierung, da sie sich gut in Menschen hineinversetzen können. Sind einfach ausgeglichener und realitätsbewusster, wenn der Wind mal etwas rauer weht. Allerdings müssen sie an ihrem Selbstbewussten arbeiten. Die Krise ist ein wirtschaftlicher Fakt und hat nichts damit zu tun, dass Frauen weniger können oder weniger leisten. Das darf man sich nie einreden.
Viele ältere Arbeitnehmende wünschen sich mehr Sinnhaftigkeit – beobachten Sie das auch bei Frauen ü55?
Ja Sinnhaftigkeit (47 %) und soziale Interaktion (36 %) sind weitere Hauptfaktoren für eine Berufstätigkeit im Alter, das besagt unsere Studie. Ich würde sogar sagen, Frauen ü55 brauchen vor allem Sinnhaftigkeit und Zugehörigkeit. Man muss sich vorstellen, dass sie im Zweifel schon mehrere Jahrzehnte im Finanzwesen oder im Marketing verbracht haben. Die Sinngebung kann da schnell verblassen. Wenn sich die Frauen dann dazu entscheiden, nochmals woanders durchzustarten, dann aber bitte mit Hirn, Herz und Verstand.
Provokativ gefragt: Ist jetzt die Zeit, auch in Initiativbewerbungen und eigenen neuen Arbeitsmodellen zu denken? Müssten Frauen ü55 auch selbst aktiver werden?
Die Frage setzt voraus, dass die Unternehmen in ihren Beschäftigungsmodellen und Rekrutierungsanstrengungen schon soweit sind, um die Arbeits- und Karrierevorstellungen der Frauen ü55 zu adressieren. Dem ist allerdings noch nicht flächendeckend so. Aber wenn es um ältere Frauen, die bereit sind sich zu verändern gerade jobtechnisch alles braungrau wird, ist der richtige Zeitpunkt um ernsthaft darüber nachzudenken, welchen Beitrag man leisten möchte, wo man echten Mehrwert stiften kann. Das können Initiativbewerbungen sein, aber auch direkte Kontakte aus dem eigenen Business Netzwerk, die die Veränderungsmotivation auf dem Schirm halten.
Zur Person: Imke Mahner ist Chief People & Culture Officer Germany and CEMEA sowie Mitglied des Vorstands der Hays AG. In ihrer Rolle verantwortet sie den Bereich People & Culture in Deutschland und in der Region Kontinentaleuropa, Mittlerem Osten und Afrika (CEMEA). Imke Mahner ist im Jahr 2021 zu Hays gekommen, einem führenden Anbieter von Personaldienstleistungen sowie Services wie IT-Lösungen oder Workforce Management.