StartBusiness„Nicht Frauen müssen sich verändern, sondern das System“

„Nicht Frauen müssen sich verändern, sondern das System“

„Bildet Banden!“, fordert Katharina Schulze, Fraktionschefin der Grünen im bayerischen Landtag, Frauen auf. Denn Gleichberechtigung von Männern und Frauen komme nicht allein von Sonntagsreden an Frauentagen. Im letzten Jahr ist das erste Buch der Grünenpolitikerin erschienen: „Mut geben statt Angst machen – Politik für eine neue Zeit“. Ein Gespräch über Karriere in der Politik und den Systemwechsel für mehr Gleichberechtigung.

Dieses Interview erschien zuerst am 24. Februar 2021 auf www.her-career.com

Frau Schulze, wie sieht der Alltag einer Politikerin in Corona-Zeiten aus?

Mir geht es so wie vielen anderen Menschen auch: Persönliche Begegnungen sind nur begrenzt möglich und dadurch hat sich meine Arbeitsalltag sehr verändert. Wir haben als Grüne Landtagsfraktion alles sofort auf digital umgestellt und die Mitarbeiter*innen ab dem ersten Tag ins Homeoffice geschickt. Trotzdem tagt der Landtag natürlich weiter, denn das erwarten die Menschen zurecht von uns. Ausschüsse und das Plenum finden mit Vor-Ort-Besetzung statt. Man sieht also: Trotz Pandemie schlägt das Herz der Demokratie kräftig. Ich vermisse das Reden und Diskutieren auf Abendveranstaltungen, aber dafür finden diese Treffen dann eben oft digital statt. Es ist faszinierend zu sehen, wie gut wir Menschen uns an Veränderungen anpassen können.

Was hat Sie denn zur Politik gebracht?

Bei mir gibt es nicht die eine Erweckungsstory. Im Rückblick gibt es zwei Faktoren, die mich politisiert haben. Ich war auf dem Christoph-Probst-Gymnasium in Gilching, das nach dem Widerstandskämpfer gegen die Nazis und Mitglied der Weißen Rose benannt ist. Schon damals habe ich gelernt, wie zerbrechlich unsere Demokratie ist und dass es auch meine Verantwortung ist, sie zu verteidigen und zu stärken. Der Kampf gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus begleitet mich also von klein auf. Deswegen habe ich mich entschieden, in der Grünen Jugend vorbeizuschauen und später bei den Grünen einzutreten. Und zum zweiten hat mich mein Elternhaus sehr stark geprägt. Bei uns hieß es schon immer: „Die Welt wird nicht besser gemeckert, sondern besser gemacht.“

2013 sind sie erstmals in den Bayerischen Landtag gewählt worden. Dort haben Sie die Grünen vor allem in innenpolitischen Angelegenheiten vertreten…

Ja, einige hat das verwundert, weil es angeblich kein grünes Thema sei. Das sehe ich komplett anders: Wir sind auch eine Bürgerrechtspartei, das ist eine unserer Wurzeln. Mir war von Anfang an wichtig, mich für eine freiheitlich demokratische und gleichberechtigte Gesellschaft einzusetzen und dazu gehören eben Themen wie die Polizei, der Verfassungsschutz, Prävention und zivilgesellschaftliches Engagement. Auch in meiner Funktion als Fraktionsvorsitzende bin ich weiterhin innenpolitische Sprecherin – man sieht Innenpolitik ist meine Leidenschaft. Und ich freue mich, dass sich da – auch in meiner Partei – schon einiges geändert hat: mittlerweile gibt es Grüne Polizeikongresse auch in Bayern. Leider sind meine Themen heute so aktuell wie lange nicht mehr, die Diskursverschiebung nach rechts sowie der Anstieg von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten beunruhigen mich sehr.

Sie haben sich von Anfang an auch für Genderpolitik engagiert. Warum?

Ich bin in einem gleichberechtigten Elternhaus aufgewachsen. Zwischen meinem Bruder und mir gab es, so meine Erinnerung, keine Unterschiede in der Erziehung. Aber sobald man einen Fuß nach draußen setzt, ist klar, dass wir noch keine gleichberechtigte Gesellschaft haben: Stichworte gläserne Decke, die Sichtbarkeit von Frauen in Machtpositionen, ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern. Für mich kam deshalb nur eine Partei in Frage, die für eine emanzipierte Gesellschaft eintritt, um nicht noch mal die Grundsätze diskutieren zu müssen. Die Grünen sind per Definition eine feministische Partei, Vorstandsposten werden paritätisch besetzt und es gibt eine quotierte Aufstellungsliste. Eigentlich sollte das überall so sein.

Es gibt aber auch unter Grünen-Politikern andere Meinungen, zum Beispiel in Baden-Württemberg. Dort gehen manchen die feministischen Ansätze zu weit. Gendergerechte Sprache sei übertrieben…

Echt? Für mich ist die Sache klar: Die Grünen haben ein Frauenstatut, die Partei ist ja auch aus der Frauenbewegung entstanden. Wir achten in unserer Partei genau darauf, dass das nicht kaputt gemacht wird. Wenn da einige wenige eine etwas andere Meinung haben sollten, ist das nicht die Mehrheit. Gleichzeitig haben Sie absolut recht: Es gibt Männer und Frauen in der Gesellschaft, die den Status quo schon ausreichend finden, manche wollen sogar wieder weiter zurück. Es ist ihnen nicht geheuer, weitere Veränderung herbeizuführen, sie bekämpfen diese regelrecht. Denn sind wir doch ehrlich, es geht auch darum, Macht abgeben zu müssen – und das ist nicht gewollt. Deshalb ist es auch so schwer, Gleichberechtigung zu erreichen. Daran hat übrigens auch die Corona-Situation nichts geändert. Im Gegenteil, das macht Veränderung noch dringlicher: Die Krise ist nicht geschlechtsneutral. Da sehen wir sehr deutlich: Die Lasten sind ungleich verteilt und sie werden hauptsächlich von Frauen getragen. 

Wo setzen Sie in Ihrer Politik diesbezüglich an?

Indem ich im Parlament Initiativen einbringe und regelmäßig darüber spreche – egal wo ich bin. Vom Gender Pay Gap über Mental Load, die Wichtigkeit von besserer Bezahlung von Pflege- und Care-Berufen, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, und und und. Ich finde es entscheidend, dass wir mehr über Macht, Verantwortung und Führung von Frauen sprechen. Auch und gerade in der Politik. Die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Aber in Deutschland sind deutlich weniger als die Hälfte der Abgeordneten Frauen – im Bundestag derzeit circa 31 Prozent, im Bayrischen Landtag nur 27 Prozent. In Bayern ist das der niedrigste Stand seit 16 Jahren. Natürlich schauen dann politische Entscheidungen auch anders aus. Darum haben wir Grüne in Bayern 2019 das „Hälfte-der-Macht-Gesetz“ eingebracht.

Was steckt genau hinter dem „Hälfte-der-Macht-Gesetz“?

Wir haben bei den Grünen gute Erfahrungen mit quotierten Listen, bei dem Männer und Frauen nach dem Reißverschlussprinzip auf dem Wahlzettel stehen. Es bringt ja nichts, wenn etwa in der CSU auf den aussichtsreichsten vorderen Plätzen nur Männer stehen und lauter Männer die Direktkandidaten sind. Dann kommen natürlich nur sehr wenige Frauen ins Parlament. Mit dem „Hälfte-der-Macht-Gesetz“ möchten wir das Wahlgesetz ändern und es verbindlich machen, dass alle Parteien ihre Wahllisten paritätisch aufstellen. Ein weiterer Hebel bezieht sich auf die Kandidat*innen der Wahlkreise: Wir wollen immer zwei Wahlkreise zusammenfassen und dort sollen dann eine Frau und ein Mann im Tandem antreten, das hilft auch der Parität im Landtag.

Und was ist aus dem Gesetzentwurf geworden?

Wie das so ist, wenn man in der Opposition ist: Gesetzentwürfe werden nie angenommen, wenn sie vom politischen Mitbewerber kommen. Die CSU hat klar gemacht: nur über unsere Leiche. Ich hatte einen interessanten Aha-Moment, als ich im Landtag das Gesetz eingebracht habe. Da war eine unglaublich aggressive Stimmung im Raum. Die konservativen Landtagsabgeordneten waren total sauer, haben reingerufen, so dass ich nur dachte „Mamma mia! Kommt mal runter!“. Aber dann wurde mir klar, warum die sich so aufregen: weil es auch um ihren Sitz geht. Wenn das Gesetz durchgeht, dann kann man regelrecht durchzählen, eins – zwei, eins – zwei, eins – zwei. Da wären einige Männern nicht mehr im Landtag. Unser Gesetz verändert die Machtverhältnisse. Darum waren viele so aufgebracht und haben mir lauter absurde Dinge vorgeworfen, als würde ich die Demokratie und die Freiheit kaputt machen. Da sieht man deutlich, dass es ihnen nicht um Veränderung geht, sondern sie am Status quo festhalten. Darum nehme ich auch die Sonntagsreden von konservativen Parteien nach Wahlen in Gesprächsrunden nicht mehr ernst, wenn die sich hinstellen und sagen: „Naja, wir haben wenig Frauen im Parlament, das nächste Mal muss das besser werden“. Das sind alles nur Lippenbekenntnisse. Beim nächsten Mal wird nichts besser. Deshalb müssen wir unbedingt an die Strukturen ran.

Inwiefern hat der Gesetzentwurf dann überhaupt etwas gebracht?

Es gab und gibt eine Debatte darüber, wir jetzt zum Beispiel sprechen drüber. Vor allem verdeutlicht der Umgang damit einmal mehr: Frauenrechte werden uns nicht geschenkt. Das zeigt die Geschichte. Schauen Sie sich zum Beispiel den Kampf um das Frauenwahlrecht in Deutschland an: Dieses Menschenrecht haben sich unerschrockene Frauen vor über hundert Jahren hart erkämpft. Oder denken Sie daran, wie der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtig“ ins Grundgesetz kam. Das stand in der ersten Fassung nicht drin, die übrigens nur Männer geschrieben haben. Wir verdanken das vielmehr Elisabeth Selbert, die mit viel Kraft, Kampfesmut und Leidenschaft andere Menschen hinter sich gebracht hat. Gleichberechtigung kommt nicht von alleine. Deshalb sage ich Frauen immer: Bildet Banden, stellt Forderungen auf und schließt Euch zusammen! Ich freue mich über jeden Mann, der mit uns an diesem Ziel arbeiten möchte. Aber einfach zu hoffen, dass die Sonntagsreden am Frauentag konkrete Veränderungen herbeiführen, das reicht halt nicht.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass nun das „weibliche Jahrhundert“ angebrochen sei. Was macht Sie denn da so zuversichtlich?

Ich bin prinzipiell eine optimistische Person. Es wird nicht leicht, unsere Forderungen umzusetzen, doch das Momentum ist so gut wie lange nicht. Wir sind mitten drin im Wandel. Es gibt top ausgebildete Frauen, die in wichtigen Positionen sind und Netzwerke geknüpft haben. Ich sehe viele großartige Frauen, die gründen und sich für eine bessere und nachhaltigere Zukunft einsetzen. Frauen führen große Protestbewegungen wie „Fridays for Future“ an. Aber eine solche Veränderung ist nicht konfliktfrei. Rollback-Bewegungen wie ein verstärkter Antifeminismus oder Beleidigungen im Netz gehören leider mit dazu. Ich sage immer: Das ist das letzte, verzweifelte Aufbäumen des Patriacharts – das sollte uns nicht abschrecken.

Ihr Buch heißt „Mut geben statt Angst machen“. Sind Frauen aus Ihrer Sicht mutig genug oder bleiben sie doch manchmal zu sehr in ihren Zweifeln stecken?

Wichtig ist, dass wir angesichts der Herausforderungen nicht zaghaft und ängstlich in der Ecke stehen, sondern mutig in unseren Bereichen Veränderungen herbeiführen. Das ist nicht immer leicht. Frauen wurden und werden immer noch anders sozialisiert, ja nicht zu laut und zu fordernd zu sein. Von diesen Stereotypen müssen wir uns lösen.

Wie gelingt Ihnen das?

Seit 12 Jahren mache ich jetzt Politik und gerade am Anfang haben mir häufig Männer – meist ungefragt – Rückmeldungen zu meiner Art zu reden gegeben: „Du redest zu schnell und zu emotional, nutzt zu viele englische Wörter.“ Ich habe dann versucht, langsamer und ruhiger zu sprechen. Das war schlimm – für mich und für mein Publikum. Es bringt nichts, sich in ein Korsett zu zwängen, wenn man sich darin nicht wohlfühlt und das auch nicht ist. Ich habe dann wieder so gesprochen, wie es mir entspricht. Das Ergebnis ist eines meiner größten Erfolge: Beim Landtagswahlkamp 2018 habe ich als erste Frau vom Verband der Redenschreiber den ersten Preis als beste Rednerin bekommen – vor Markus Söder. Natürlich kann man sich durch Feedback immer verbessern, aber wir sollten uns den persönlichen Kern nicht kaputt machen lassen, sondern uns selbst treu bleiben. „You have to do it your way!“ Nicht Frauen müssen sich verändern, sondern das System.

Auch Frauen in Führungspositionen können es selten allen recht machen. Was muss sich denn in der Wirtschaft aus Ihrer Sicht am System ändern?

Ach, wir müssen uns davon lösen es immer allen recht machen zu können. Warum auch? Mir macht auch nicht jeder alles recht, aber das ist okay. In der Wirtschaft gilt doch das gleiche Prinzip wie in der Politik: Da wundern sich manche Unternehmen, warum sie so wenig Frauen in Führungspositionen haben. Angeblich finden sich keine. Dabei ist das doch Quatsch, es gibt so viele top ausgebildete Frauen. Auch für die Wirtschaft bin ich eine Quotenbefürworterin – nicht, weil ich die Quote dauerhaft für das beste System halte, sondern weil die Zeiten der Freiwilligkeit nichts gebracht haben. Es braucht eine kritische Masse an Frauen in Führungspositionen, um die Unternehmenskultur zu verändern. Das ist nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen elementar, sondern auch für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen: Diversity, Innovation und Erfolg hängen eng zusammen. Neben der Quote brauchen wir neue Teilzeitmodelle für Führungskräfte, mehr Jobsharing sowie insgesamt eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist übrigens auch für Männer ein Fortschritt, wenn es normaler und einfacher wird, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Wie möchten Sie dem Gender Pay Gap begegnen?

Ich bin ein großer Fan von Island und Neuseeland, die zeigen, dass man gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit natürlich per Gesetz vorschreiben kann. Das beinhaltet, dass Unternehmen sich an Vorgaben zu gleicher und transparenter Bezahlung für Männer und Frauen halten müssen. Dafür bekommen sie ein Audit und eine entsprechende Beratung durch eine unabhängige Kommission, was sie besser machen können. Das Totschlagargument, das geht nicht, zieht angesichts dieser Beispiele nicht mehr. Andere Länder beweisen, dass solche Regeln sehr wohl möglich sind. Man muss nicht alles neu erfinden. Wir sollten uns fragen, was davon können wir übertragen und auch bei uns implementieren.

Viele Frauen befürworten eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Wenn alle weniger arbeiten, könnten Frauen nicht mehr so leicht in der Teilzeitfalle landen und auch Männer hätten mehr Zeit, sich um Familienangelegenheiten zu kümmern. Was halten Sie davon?

Die Diskussion ist hochspannend. Heute hoppelt doch jeder irgendwie in seinem Hamsterrad und wir wissen oft nicht, wie wir alles unter einen Hut bringen sollen. Es geht ja nicht nur um Arbeit, Kinderbetreuung und Pflege, sondern auch um Dinge wie Hobbys, ein Ehrenamt oder Zeit für sich selbst. Deshalb finde ich eine Debatte um die Reduzierung der allgemeinen Arbeitszeit eine gute Idee. Ob das als 6-Stunden-Tag, als Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich oder lieber nicht umgesetzt wird – da wären doch Modellversuche für den Anfang sinnvoll.

Wie gut gelingt es Ihnen persönlich, Beruf und Privatleben zu vereinbaren?

Mal besser und mal schlechter. Ich kämpfe damit, genauso wie viele andere auch. An manchen Tagen fliege ich mit einer großen Leichtigkeit durch alle Termine und ich habe alles bestens organisiert. An anderen falle ich abends ins Bett und es ist echt Horror. Ich bin zum Glück sehr strukturiert, pflege meine To-Do-Listen und plane immer streng voraus. Inzwischen blocke ich mir auch freie Zeiträume für mich und mein Privatleben – darin bin ich mit der Zeit besser geworden. Der Beruf Politik ist großartig, aber er zieht Dich total rein, da hat man nie richtig Pause. Selbst am Wochenende fragen Journalisten Interviews an, es gibt eine Demo, auf die man gehen möchte oder die man kommentieren soll. Oder man bekommt noch eine E-Mail vom Bürger in der Nacht. Politik könnte man 24/7 machen. Aber wir brauchen auch Pausen, Zeit für Freund*innen, Familie und Co, um abzuschalten und neue Anregungen und Impulse zu bekommen.

Sie sind sehr aktiv auf Social Media und häufig mit Bashing konfrontiert. Beleidigungen und Bedrohungen von Frauen im Netz haben Ihrer Meinung nach Methode. Worum geht es dabei? 

Auch Männer werden im Netz mit Hass überschüttet, aber Frauen werden nochmal anders angegangen. Sie trifft der Hass viel sexualisierter, körperlich abwertend und mit Vergewaltigungsandrohungen. Studien zeigen, dass Frauen sich dann eher zurückziehen, einschüchtert sind und sich nicht mehr einmischen. Genau das möchten Verfasser dieser Hasskommentare, die vor allem Teil internationaler rechtsextremer Netzwerke sind, weil sie mit der Veränderung unserer Gesellschaft nicht umgehen können. Es verträgt sich nicht mit ihrem Weltbild, dass Frauen klar und deutlich ihre Meinung sagen und politisch für Frauenrechte, Weltoffenheit und gegen Rechtsextremisten einsetzen.

Ich kenne tolle Frauen, die eigentlich für den Gemeinderat kandidieren wollen, aber keine Lust auf den ganzen Hass und Hetze haben und dann nicht kandidieren. Dabei wären sie der Hammer im Kommunalparlament! Ich kann das nachvollziehen, bei meinen ersten Shitstorms habe ich auch einfach nur gehofft, es geht irgendwie vorbei und habe die Kommentare gelöscht. Ich dachte, das muss ich eben aushalten. Aber niemand muss Hass und Hetze aushalten. Äußerem hört es dann auch einfach nie auf. Wir müssen aktiv dagegen vorgehen, darüber reden, die Hasskommentare anzeigen und mehr Awareness schaffen. Ich habe ein umfangreiches Maßnahmenpaket gegen Hass im Netz in den Landtag eingebracht, denn wir sind nicht machtlos bei dem Thema. Die Regierung muss nur wollen, dann kann der Rechtsstaat auch Zähne zeigen!

Was haben Sie bisher schon erreicht, was Sie für die Zukunft ermutigt und Ihnen die Kraft gibt, weiterhin für Gleichberechtigung einzutreten?

Ach, da gibt es so einiges. Eine Sache kommt mir da sofort in den Sinn: Im Wahlkampf 2018 war ich als Spitzenkandidatin meiner Partei am Wahlabend mit Markus Söder in der großen Elefantenrunde in ARD und ZDF zu sehen. Wir haben historische 17,6 Prozent geholt, sind zweitstärkste Kraft geworden und ich wurde direkt ins Parlament gewählt. Abends schrieb mir auf Instagram dann eine junge Frau, dass sie ganz erstaunt sei, jemanden wie mich dort unter all den Herren in dunklen Anzügen zu sehen. Eine Frau, die für ihre Werte und Überzeugungen einsteht. Sie hat mich gefragt, wie sie sich denn politisch für ihre Überzeugungen engagieren könnte, da sie ja jetzt gesehen hat, dass man auch als junge Frau Politik machen kann. Dieser kräftezehrende Wahlkampf, der Schlafentzug und unzähligen Termine haben sich alleine dafür gelohnt, dass eine junge Frau denkt, das kann ich doch auch machen!

Hatten Sie denn auch Vorbilder, die Sie ermutigt haben?

Meine Karriere ist mehr themengetrieben. Aber wenn man anfängt Politik zu machen, lernt man tolle und starke Frauen kennen. Das motiviert natürlich, wenn man sich mit anderen austauschen kann und merkt, die haben ähnliche Herausforderungen wie man selbst. Auch im Jahr 2020 gibt es immer noch viele Situationen, in denen ich die einzige Frau bin, beispielsweise im Innenausschuss des Bayerischen Landtags. Und wenn ich auf Veranstaltungen gehe, bin ich meistens die Dame, die die Politik vertritt. Das muss sich ändern. Wir müssen öffentliche Räume erobern, damit andere nachkommen und dass Frauen da irgendwann nicht mehr alleine sind. Es ermutigt, wenn alle sehen, dass Diversity überall gelebt wird.

Noch einmal zu Ihnen und Ihrem persönlichen Werdegang. Sie haben ja vor Kurzem erst ein berufsbegleitendes MBA-Studium an der TUM abgeschlossen. Was hat Sie dazu motiviert?

Ja, seit Herbst 2019 habe ich den Abschluss in der Tasche. Nachdem ich 2013 in den Landtag gewählt wurde, dachte ich mir, ich brauche noch neuen Input. Deshalb habe ich 2016 mit dem berufsbegleitenden Studium angefangen. Mich interessierten schon immer viele verschiedene Dinge. Nach dem Abitur ist es mir schwergefallen, mich für eine Studienrichtung zu entscheiden. Die Wahl fiel dann auf Politikwissenschaft, Psychologie und Interkulturelle Kommunikation. Mir ist es wichtig, immer weiter zu lernen – es gibt so viel Spannendes auf der Welt!

Wie haben Sie das neben der Politik geschafft?

Das MBA-Studium war super, aber schon sehr anstrengend. Letztlich habe ich ein Jahr länger gebraucht als vorgesehen, denn im Wahlkampf 2018 als Spitzenkandidatin musste ich pausieren. Da habe ich schnell gemerkt, das klappt nicht nebenher. Trotz der schlaflosen Nächte kann ich so ein Studium jedem empfehlen. Das ist genau das Richtige, wenn man wirtschaftswissenschaftlichen Input sucht. Ich habe viele tolle Kommilitonen und Kommilitoninnen kennengelernt – und wir haben viel diskutiert und voneinander gelernt.

Aber Sie planen jetzt noch keine Zweit-Karriere in der Wirtschaft?

Ich bin noch für drei Jahre in den Landtag gewählt. Das mache ich voller Freude und Leidenschaft. Gleichzeitig weiß ich, dass es mehr als die Politik gibt. Ich bin überzeugt: Man ist dann eine gute Politikerin oder ein guter Politiker, wenn man frei ist und die Wahl hat, auch etwas anderes zu machen. Ich bin gut ausgebildet, habe zwei Studienabschlüsse und Berufserfahrung. Wer weiß, was noch alles kommt. Aber im Moment bin ich sehr genau am richtigen Platz. Das Beste ist noch nicht vorbei!


Auf der herCAREER liest Katharina Schulze am 16. September 2021 aus ihrem Buch „Mut geben statt Angst machen – Politik für eine neue Zeit“. 

Über Katharina Schulze

Katharina Schulze (Jahrgang 1985) gehört seit 2013 als eine der jüngsten Parlamentarier*innen dem Bayerischen Landtag an und ist seit 2017 eine der beiden Vorsitzenden der Fraktion der Grünen. Als innenpolitische Sprecherin der Grünen sitzt sie im Ausschuss für Innere Sicherheit, Kommunale Fragen und Sport. Aufgewachsen ist die Grünen-Politikerin im Münchner Westen, in Herrsching am Ammersee. Sie studierte Interkulturelle Kommunikation, Politikwissenschaft und Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ihr Praktikum bei der Demokratischen Partei in Michigan, USA, führte sie mitten in die Kampagne für Obamas erste Amtszeit. Danach trat sie der Grünen Jungend München bei, wo sie von Januar 2009 bis Januar 2011 Vorsitzende war. Von 2010 bis 2015 war Katharina Schulze zudem Vorsitzende der Grünen München. Im Herbst 2019 schloss Katharina Schulze ein berufsbegleitendes MBA-Studium an der TUM ab. Seit November 2019 ist sie zudem Mitglied des Parteivorstandes auf Bundesebene von Bündnis 90/Die Grünen. In ihrem ersten eigenen Buch mit dem Titel „Mut geben statt Angst machen – Politik für eine neue Zeit“, das im Februar 2020 im Verlag Droemer Knaur erschien, skizziert sie ihre politische Agenda und appelliert an alle, gemeinsam die Gesellschaft zu prägen, in der wir leben wollen. 

Über die herCAREER

Die herCAREER ist Deutschlands Leitmesse für die weibliche Karriereplanung. Sie findet im September/ Oktober 2021 bereits zum sechsten Mal in Münchenstatt und wird mit dem Netzwerkevent herCAREER@Night abgerundet. Mit der Messe und der Netzwerkveranstaltung wurde eine Plattform geschaffen, die Jobeinsteigerinnen, aber auch Aufsteigerinnen und Gründerinnen Netzwerke erschließt, die sie dabei unterstützen, beruflich weiter und schneller voranzukommen.

Fotomaterial© Andreas Gregor

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