Ihr aktuelles Buch trägt den Titel „Ab morgen jünger“. Das weckt hohe Erwartungen. Viele assoziieren mit „Longevity“ ein ewiges Leben. Und Sie?
Mir ist sehr wichtig, dass wir nicht mehr nur von „Longevity“ sprechen, sondern von „Healthy Longevity“, „Healthspan Extension“ oder „Personal Preventive Medicine“. Es geht nicht darum, das Leben um jeden Preis zu verlängern oder dass wir alle 120 Jahre alt werden, sondern darum, die gesunden Jahre am Lebensende zu vermehren – und das möglichst für alle, nicht nur für diejenigen, die es sich leisten können. Wir sehen heute eine steigende Lebenserwartung. Weltweit liegt sie bei gut 73 Jahren, in Industrieländern bei mehr als 80. Doch die letzten zehn bis zwölf Jahre verbringen viele Menschen mit schweren chronischen Erkrankungen. Hier setzt die Healthy-Longevity-Forschung an: Sie möchte verhindern, dass wir lange multimorbid sind. In meinem neuen Buch fasse ich den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Studien zusammen und beschreibe mögliche Zukunftstherapien.
Auf der DLD Conference in München zitierten Sie den Ökonomen und Transhumanisten José Cordeiro, der die Longevity-Industrie in den kommenden 20 Jahren als den größten Wirtschaftszweig in der Menschheitsgeschichte sieht. Wird dabei nicht vielfach in der Grauzone gearbeitet?
Wenn wir es schaffen, die Phase schwerer Krankheit stark zu reduzieren, spart das Kosten – und zwar in Milliardenhöhe. Gleichzeitig eröffnet sich ein Markt für seriöse Produkte, klinische Tests und präventive Checks. Natürlich lockt das auch unseriöse Player an, das war schon immer so. Jede*r kann im Moment zum Beispiel Nahrungsergänzungsmittel anbieten oder sogenannte „Drip Bars“ für Infusionen eröffnen. Ich bin nicht für Überregulierung, aber ich spreche mich für Zertifizierungen aus. Mit meiner populärwissenschaftlichen Arbeit will ich zur Aufklärung beitragen.
„Ich teste vieles selbst.“
Hat die Pharmaindustrie im DACH-Raum ein Interesse an mehr Prävention? Es wird ja noch viel Geld mit der Behandlung von Krankheiten verdient …
Die volkswirtschaftliche Bedeutung einer Transformation des Gesundheitswesens von „Sickcare“ zu „Healthcare“ ist im deutschsprachigen Raum noch enorm unterschätzt, obwohl die positiven Folgen weniger Kosten, weniger Heime und weniger Arbeitsausfälle wären. Die demografische Entwicklung trifft hier aktuell auf steigende Kosten, während gleichzeitig immer weniger Beitragszahler*innen die Finanzierung schultern. Bei den Krankenversicherern ist das Thema angekommen und das Interesse am Wandel vorhanden. Auch die Pharmaindustrie weiß, dass es ein weltweit wachsender Geschäftszweig ist.
Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Länder wie Singapur, Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate investieren längst gezielt und im großen Stil. Dort geht es nicht nur um einzelne Startups, sondern um Präventionsstrategien wie nationale Fahrpläne des Gesundheitswesens. Auf dem Global Healthspan Summit in Riad wurde im Februar deutlich, wie viel öffentliche Gelder allein in Saudi-Arabien in Forschung und Entwicklung fließen. Ähnliches ist in den USA zu beobachten, Jeff Bezos investiert drei Milliarden Dollar in das Unternehmen Altos Labs, der neue US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. ist Longevity-Fan. Saudi-Arabien investiert auch in Präventionsprogramme für Kinder. Das reicht von Ernährungsbildung bis zu Sport und digitalen Trackern. In zehn, zwanzig Jahren könnten Staaten, die das Thema ernst nehmen, enorme Kosten sparen – und eine gesündere, leistungsfähigere Bevölkerung haben.

Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Thema Verjüngung und gesundes Altern. Was treibt Sie an?
Ich habe Biologie studiert und etliche Wissenschaftssendungen mit medizinischen Schwerpunkten moderiert. Als ich mit Anfang 40 meinen jährlichen Check machte, sagte mein Internist: „Sie betreiben Raubbau an Ihrer Gesundheit, stellen Sie Ihre Ernährung um – mediterran, weniger Zucker, keine hochverarbeiteten Lebensmittel!“ Das motivierte mich, gemeinsam mit ihm mein erstes Buch „Länger jung und gesund mit Nina Ruge“ zu schreiben. Das war bereits 2008, als der Begriff Longevity noch gar nicht existierte! 2017 fragte mich ein österreichischer Ex-Stanford-Wissenschaftler für ein solches Longevity-Buch an. Als ich mit der Corona-Pandemie alle Jobs verlor, hatte ich genug Zeit, es zu schreiben und veröffentlichte 2020 „Altern wird heilbar“. Seitdem fasziniert mich das Thema so sehr, dass ich mich beruflich ganz darauf konzentriere.
Welche Ansätze haben sich aus Ihrer Sicht bewährt, um lange gesund zu bleiben?
Oft werde ich nach der Wunderpille gefragt, doch die gibt es nicht. Der breiteste Sockel der „Langlebigkeitspyramide“ ist der Lebensstil. Dazu zählen Bewegung, Schlaf, mentale Gesundheit, Ernährung. Eigentlich so, wie uns schon unsere Oma geraten hat: „Kind, geh raus und beweg dich, iss mehr Gemüse, geh früh ins Bett und reg dich nicht auf.“ Wie diese Lebensstilfaktoren unsere gesunde Lebensspanne verlängern können, das können wir heute bis in die Zellfunktionen hinein erklären. Wieso Kalorienrestriktion krebsvorbeugend wirken kann, können wir heute definieren. Wieso auch das Herz-Kreislauf-System und das Immunsystem profitieren, wissen wir ebenfalls. Eine pflanzenbasierte Ernährung kann viele gesunde Jahre schenken – unter anderem aufgrund ihres einzigartigen Polyphenolgehalts. In der Mitte der Pyramide stehen dann unter anderem Nahrungsergänzungsmittel und die Hormonersatztherapie. Die Spitze bilden die Zukunftstherapien.
„Von Sickcare zu Healthcare.“
Hat man denn noch Spaß am Leben, wenn man sich an alle Ratschläge hält?
Ich esse seit zwanzig Jahren kein Fleisch und keinen Zucker. Ich genieße das. Der Geschmack stellt sich um. Für ein erstklassiges Gemüsecurry gehe ich meilenweit. Mir macht es Spaß, mich per Wearables zu tracken, mich und meinen Stoffwechsel an neue Grenzen heranzuführen, mit meinem Hund durch die Welt zu rennen und dabei auf meine Pulsuhr zu schauen. Ich ergänze mit Vergnügen die Wirkstoffe, die ab einem gewissen Alter verloren gehen. Um es mit den Worten des Verhaltenspsychologen Jens Corssen zu sagen: Glück ist eine Überwindungsprämie.
Wie sieht Ihr persönliches Investment in Zellgesundheit konkret aus?
Ich teste vieles selbst. Zum Beispiel die „Abnehmspritze“ und das Diabetesmedikament Metformin. Langzeitstudien haben gezeigt: Diabetiker*innen, die Metformin nehmen, lebten teilweise länger als Nicht-Diabetiker*innen ohne Metformin.Gerade habe ich Fisetin in Reinform bestellt, ein Wirkstoff aus der Erdbeere, der nun synthetisch hergestellt wird, um seneszente Zellen, also Zellen, die sich nicht mehr teilen, zu bekämpfen. Auch den VO2max-Test habe ich gemacht – anstrengend, aber es lohnt sich. Der zeigt, wie meine Zellkraftwerke arbeiten. Das ist im Moment der wichtigste Biomarker für die Zellfitness. Denn von ihr hängt ab, wie gut Alterskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen abgewehrt werden können.
Die Bewohner*innen der sogenannten Blue-Zones in Japan oder Sardinien, in denen die Menschen deutlich länger als der Durchschnitt leben sollen, kommen ohne all das aus…
Neue Studien stellen dieses Narrativ inzwischen durchaus infrage. Aber dennoch: In den Blue Zones leben die Menschen eng eingebunden in Gemeinschaften, essen viel frisches Gemüse, arbeiten moderat bis ins hohe Alter, bewegen sich also permanent, und kennen keinen chronischen Stress. Vielleicht spielt hier auch die genetische Komponente eine gewisse Rolle. In einer modernen Industriegesellschaft und in Städten müssen wir oft ganz andere Anforderungen meistern.
Wie sehen Sie den US-Multimillionär Bryan Johnson, der die Bewegung „Don‘t Die“ angestoßen hat, quasi in einem Labor lebt, morgens 130 Supplements schluckt und sich das Blut seines Sohnes spritzt, um sich zu verjüngen?
Das beobachte ich mit einer Mischung aus Faszination und Grausen. Er gibt der Longevity-Bewegung Bekanntheit und setzt auf der richtigen Schiene an – etwa mit vegetarischer Kost und Kraftsport. Aber vieles, was er macht, ist wissenschaftlich nicht belegt und völlig übertrieben.
Wie sehr haben Sie sich bereits verjüngt?
Im vergangenen Jahr lag mein biologisches Alter elf Jahre unter meinem chronologischen Alter, einen weiteren epigenetischen Test möchte ich demnächst machen. Diese Tests, von denen es sehr verschiedene Qualitäten gibt, liefern allerdings nur einen gewissen Einblick in den Stand des Alterungsprozesses. Aber: Sie geben keinen klaren Aufschluss über die Lebenserwartung. Zu viele weitere Faktoren können zum Beispiel Krebs triggern. Dennoch lässt ein epigenetischer Test durchaus Rückschlüsse auf die Qualität des Lebensstils zu.
Was wollen Sie als nächstes für einen gesunden Lebensstil ausprobieren?
Eisbaden!
„Alles wird gut – aber nicht von allein“
Die TV-Moderatorin und Wissenschaftsjournalistin Nina Ruge studierte Biologie und Germanistik an der TU Braunschweig. Für das ZDF moderierte sie unter anderem „Leute heute“ und das heute journal. Sie schrieb zahlreiche Bestseller, wie „Altern wird heilbar“ und „Der Verjüngungsplan“, ihr neuestes Buch „Ab morgen jünger“ ist soeben erschienen. Mit ihrem Podcast StaYoung, den sie mit ihrem Unternehmen StaYoung Media produziert, erreicht sie ein Millionenpublikum. Die Autorin wohnt mit ihrem Mann in der Schweiz und unterstützt zahlreiche gemeinnützige Initiativen, unter anderem UNICEF.

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