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„Kreislaufwirtschaft in die Masse bringen“

Nadine Speidel und Anne Kathrin Antic beraten mit der Global Flow GmbH Unternehmen beim Wertstoffmanagement. Warum das Herz der zwei Schwestern für Abfall schlägt, wo die Branche dazu lernen muss und welchen Weg ein kompostierbares T-Shirt geht.

Gleich direkt gefragt – warum schlägt Ihr Herz für Abfall?

Nadine Speidel: 50 Prozent der weltweiten Emissionen werden durch die Gewinnung von Primärrohstoffen verursacht und unser Planet ist endlich. Diese Begebenheiten sprechen dafür, dass die Kreislaufwirtschaft und der Einsatz von Recyclingrohstoffen ins Rampenlicht gehören. Um künftig annährend so schön wie heute zu leben, ist es unerlässlich, dass wir uns von einer Wegwerfgesellschaft hin zu echten Kreislaufwirtschaft entwickeln.

Anne Kathrin Antic: Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Erde sich bereits um 1,5°C erhitzt hat, erscheint uns das sehr wichtig. Gleichzeitig ist die Entsorgungsbranche sehr spannend, die Hierarchien sind flach, die Unternehmen sehr innovativ, die Maschinen und Materialien beeindruckend. Die Frage ist eher: Wie kann es sein, dass sich nicht viel mehr für die Kreislaufwirtschaft interessieren?

Frau Speidel, sie haben Global Flow 2012 gegründet, 2015 sind Sie dazugestoßen, Frau Antic. Was hat sich seitdem mit Blick auf Abfallmanagement und Kreislaufwirtschaft verändert, vor allem bei den Unternehmen, mit denen Sie zusammenarbeiten?

Speidel: Unsere Kunden haben schon sehr früh festgestellt, wie vorteilhaft es für sie ist, am betrieblichen Abfallmanagement zu arbeiten und ihre Businessmodelle auf Kreislaufwirtschaft anzupassen. Wir nehmen ein gestiegenes Bewusstsein wahr, und dass der Bedarf und das Engagement der Unternehmen eklatant zugenommen hat. Mit Corona und dem Krieg in der Ukraine wurde zudem das Bewusstsein für die Relevanz regionaler Lieferketten geschärft und die Notwendigkeit erkannt, eine Ressourcen-Unabhängigkeit zu schaffen – die Kreislaufwirtschaft bietet hierfür Ansatzpunkte.

„Zero Waste steht im Regelfall nicht dafür, dass es keinen Abfall mehr geben wird, sondern dass auf null Verschwendung von Ressourcen gesetzt wird.“ (Nadine Speidel)

Recycling wird zum Teil kritisch beäugt, etwa im Hinblick auf die Recyclingfähigkeit von Verbundstoffen. Ein klarer Trend geht zu Zero Waste und Cradle to Cradle, also zu einem Denken in Kreisläufen. Wie beurteilen Sie die verschiedenen Bereiche – oder wie passt alles zusammen?

Speidel: Es stimmt, dass Verbundstoffe schwerer recyclebar sind, jedoch stellt das chemische Recycling eine große Chance vor allem für den Wirtschaftsstandort Deutschland dar. Auch wenn diese Lösungen noch nicht perfekt sind, geht der Weg in die richtige Richtung. Der Begriff Zero Waste wird häufig falsch verstanden. Zero Waste steht im Regelfall nicht dafür, dass es keinen Abfall mehr geben wird, sondern dass auf null Verschwendung von Ressourcen gesetzt wird und die anfallenden Abfälle den Wertstoffkreislauf nicht verlassen. Das wiederum bedeutet, dass die Stufe drei der Abfallhierarchie, also die stoffliche Verwertung, nicht unterschritten wird. Am Ende geht es darum, die Abfallhierarchie zu leben: Vermeiden, Wiederverwerten und wenn das Material angefallen ist, dieses wenn möglich der stofflichen Verwertung zuführen.

Antic: Ich meine auch die „Stufe 5“ ergibt Sinn – darunter versteht man die Beseitigung von Abfällen durch Verbrennung, wobei die entstehende Energie zur Wärmeversorgung genutzt wird – und wird dringend benötigt. Cradle to Cradle (C2C) ist theoretisch ein gutes Konzept mit einem hervorragenden Marketing, das es geschafft hat, das Thema Kreislaufwirtschaft in die breite Masse zu tragen. Wichtig ist zu wissen, dass C2C-Zertifizierungen ein Businessmodell sind. Zudem haben C2C-Produkte gelegentlich Schwachstellen. So kann ein kompostierbares T-Shirt zwar kompostiert werden. Dies muss jedoch technisch erfolgen, etwa in einer entsprechenden Anlage mit ausreichend Temperatur. Das Wegwerfen des Shirts in der Natur hingegen löst keinen Zersetzungsprozess aus. Das T-Shirt wird auch niemals in eine Kompostierungsanlage gelangen, da die Anlage dieses T-Shirt als Fremdstoff sieht, es landet letztlich in der Müllverbrennungsanlage. In Summe also eine gute Sache, jedoch wird manchmal die Komplexität der Kreislaufwirtschaft nicht bedacht, weshalb das Konzept nicht immer aufgeht.

Welche Auswirkungen haben die ESG-Kriterien, die Unternehmen erfüllen müssen, auf Ihr Geschäft?

Antic: Die ESG-Kriterien beschreiben, wie Unternehmen langfristig sinnvoll agieren können und sollen. Wer das verstanden hat, arbeitet mit uns zusammen – unabhängig von Reporting-Pflichten sondern vorwiegend, um sich langfristig für die Zukunft zu wappnen.

Was beobachten Sie – wie konsequent findet ein echt nachhaltiges Umdenken in den Unternehmen statt?

Speidel: Wir sind nun an einem Punkt, an dem sich die Erde, wie ich schon anfangs erwähnte, bereits um 1,5°C erwärmt hat. Dies sorgt für viele Probleme und Kosten unter anderem, da der „Währung CO2“ immer mehr Relevanz und Aufmerksamkeit zukommt. Von daher ist es kein Luxus oder keine Option mehr nachhaltig zu agieren oder die Businessmodelle entsprechend umzubauen – es ist unerlässlich, wenn ein Betrieb auf Dauer überleben möchte.

„Die Branche muss ins Rampenlicht, ihre Themen in die breite Masse bringen und aufhören den eigenen Standard als gesetzt für die gesamte Bevölkerung zu sehen“ (Anne Kathrin Antic)

Was kann die deutsche Abfallwirtschaft besser machen?

Antic: Jegliches Gewerbe ist gut beraten, den Schulterschluss zur Kreislaufwirtschaft zu suchen, am Ende kommen wir nur zu einem Kreislauf, wenn alle Prozessbeteiligten integriert sind. Was die Branche besser machen könnte, ist Marketing. Es handelt sich hier um eine fantastische Branche mit riesigen Chancen auf so vielen Ebenen. Sie muss ins Rampenlicht, ihre Themen in die breite Masse bringen und aufhören den eigenen Standard als gesetzt für die gesamte Bevölkerung zu sehen – zusammengefasst vielleicht raus aus der eigenen „Waschmaschine“.

Über welche Erfolgsprojekte freuen Sie sich besonders?

Speidel: Wir sind auf alle unsere Kunden stolz. Besonders hervorheben können wir die ZF Friedrichshafen AG; hier haben wir einen Optimierungsprozess bei der Entsorgung angestoßen und umgesetzt, der bis heute fortgeführt wird. Im Moment haben wir ein sehr besonderes Projekt, wobei wir einen Riesenkonzern umbauen. Da schwillt mir schon die Brust.

Viele fühlen sich bevormundet, wenn es um ihr „grünes Gewissen“ geht. Wie begegnen Sie dieser Entwicklung?

Antic: Diesen Trend nehmen wir in jedem Fall auch wahr. Für uns ist es teilweise sehr verwunderlich, welche Kommentare oder Nachrichten wir erhalten. Zum einen hängt es wohl damit zusammen, dass die Themen sehr komplex sind und der Anspruch auf die „eine“ Wahrheit sehr hochgegriffen ist. In Summe glauben wir, es wäre hilfreich, nicht nur auf dieses Thema bezogen zu lernen, andere Meinungen auszuhalten, nicht den Anspruch auf Allwissenheit zu leben. Konstruktiv zu kritisieren und auch mal Kritik anzunehmen.

Wie haben Sie als Geschwister in diesem Job zusammengefunden?

Speidel: Das war ein längerer Prozess. Einerseits haben wir daran gearbeitet und arbeiten weiter an uns, damit wir lernen und konkretisieren, was wir wollen und können. Darüber hinaus befinden wir uns seit vielen Jahren in einem Coaching-Prozess, der uns immer hilft über den Tellerrand zu schauen. Daran durften wir stark wachsen.

Wie funktionieren Sie als Doppelspitze?

Speidel: Mal gut, mal sehr gut, manchmal scheppert es auch. Aktuell sind wir mit dem Ergebnis und unserer Situation sehr zufrieden. Wir haben klare Regeln und Bereiche, damit funktioniert die Zusammenarbeit wunderbar.

Was sind Ihre weiteren Ziele?

Antic: Wir haben uns das Ziel gesetzt unseren Beitrag zu steigern, um nicht nur einigen größeren Betrieben zu helfen, sondern wirklich die Transformation voranzubringen. Darum entwickeln wir derzeit einerseits die Bedarfsgruppe Entsorgungsdienstleister. Andererseits haben wir Workshopformate entwickelt. So können alle, die das wollen, das Thema anpacken, ohne große aufwändige Projekte durchzuführen. Wir wollen die Kreislaufwirtschaft also in die Masse bringen.

Gründerinnen in der Doppelspitze: Die Wirtschaftsingenieurin Nadine Speidel gründete 2012 nach ihrem Studium das Beratungsunternehmen Global Flow Wertstoffmanagement im schwäbischen Leonberg. Ihre Schwester Anne Kathrin Antic (Wirtschaftswissenschaflerin) stieß 2015 dazu, ebenfalls direkt nach dem Studium. GlobalFlow ist Ingenieurdienstleister mit fünf Mitarbeitenden. Die Schwestern führen das Unternehmen gemeinsam und haben zusammen das „Praxishandbuch Abfallmanagement“ veröffentlicht. Speidel engagiert sich zudem als Vorstand des BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e. V.

 

 

Fotomaterial© Global Flow

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