StartInnovationKI: Regulieren wir noch oder innovieren wir schon?

KI: Regulieren wir noch oder innovieren wir schon?

International spielt kein europäisches Unternehmen eine KI-Führungsrolle. Gleichzeitung begann die Politik sehr früh, KI regulieren zu wollen. Isabell Claus, CEO von thinkers.ai, erklärt, wie Europas Wirtschaft trotzdem noch die Chance hat, in eine Leadership Position zu kommen.

725 Milliarden USD in den kommenden vier Jahren – so viel Umsatz wird laut dem Analystenhaus Gartner allein in Westeuropa (!) mit Künstlicher Intelligenz (KI) gemacht.

Mit großem Staunen wurde Anfang 2023 die Investition von 10 Milliarden USD in OpenAI aufgenommen. Es überstieg das Vorstellungsvermögen selbst großer Investor:innen. Betrachtet man die eingangs erwähnten Umsatzerwartungen, erscheint diese Summe jedoch äußerst lukrativ und man neigt dazu, eher den Hut zu ziehen vor der Weitsicht und dem unternehmerischen Mut von BigTechs, die die Welt in ein grundlegend anderes KI-Zeitalter führen.

International spielt kein europäisches Unternehmen eine KI-Führungsrolle.

Europäische Unternehmen hatten im Gegenteil dazu offensichtlich ein miserables Technologieradar und haben einen massiven Investitionstrend über circa 10 Jahre verpasst oder zumindest dramatisch unterschätzt. International spielt kein europäisches Unternehmen eine KI-Führungsrolle. Die Stücke vom 725-Milliarden-Kuchen werden – nach aktuellem Stand – hierzulande maximal in Form kleiner Brösel verteilt werden.

Geschwindigkeit der Veränderung ist hoch wie noch nie

Untätig bleiben Unternehmen aller Branchen dennoch nicht: Sie versuchen die Innovation in Rekordzeit zu absorbieren und die Optionen für ihren geschäftlichen Vorteil zu evaluieren. Der Wettbewerbsdruck, der zum Handeln zwingt, ist branchenübergreifend und global sehr hoch. Auch die Geschwindigkeit der Veränderung ist höher als bei jeder bisherigen Innovation.

Für schwache Nerven ist „das Thema KI“ nichts. So viel wurde 2023 klar. Die benötigten Managementfähigkeiten umfassen strategische Weitsicht und operativen Highspeed – und zwar parallel. Für viele Branchen ist KI ein „Make or Break“ für ihre Zukunft – entweder weil sich ihre Geschäftsmodelle grundlegend verändern, weil Märkte und Kundenbedürfnisse anders bedient werden wollen oder weil Marktbegleiter schneller und agiler sind als die eigene Organisation.

Das „Make“ scheint auffällig oft in den Händen junger Manager:innen. Sie sind besonders offen für Veränderung und als Digital Natives mit einem grundlegend anderen Zugang zu Technologien ausgestattet. Die Effekte der neuen Technologien treffen ihr Arbeitsleben, ihre Berufe und ihren zukünftigen Wohlstand ganz besonders. Die „Management Attention“ für KI ist daher besonders hoch während das „Geschäfte machen beim Golfspielen“ gänzlich ausgestorben scheint.

Weltmeister im Regulieren

KI beeinflusst also längst mehr als unternehmerischen Erfolg. Sie ändert Kultur im Großen und Kleinen. Das sieht auch die Politik so und begann in Europa schon sehr früh, KI regulieren zu wollen. In dieser Beziehung ist der Kontinent tatsächlich „Weltmeister“. Jedoch trägt dieses „Meisterliche“ einerseits tendenziell gegenteilig zum Innovieren bei und andererseits ist es sehr schwierig, etwas so schwer Einschätzbares wie die weitere Entwicklung der KI und ihre Gefahren und Schwächen treffsicher zu regulieren, damit der betriebene Aufwand auch die erwartete positive Wirkung erzeugt.

Wie kommt Europas Wirtschaft also trotz schwerer Ausgangsbedingungen und „dem engsten Regulierungskorsett der Welt“ am Ende in eine Leadership Position hinsichtlich KI?

Charles Darwins Erkenntnis bringt es auf den Punkt: „Es ist nicht die stärkste Spezies die überlebt, auch nicht die intelligenteste, es ist diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann.“

Anpassungsfähigkeit ist entscheidend

Im schnellen Wandel der Geschäftswelt (dank KI) ist die Anpassungsfähigkeit entscheidend. Wie wird ein Unternehmen hochgradig anpassungsfähig und baut gleichzeitig seine eigenen (technologischen und marktseitigen) Alleinstellungsmerkmale aus oder auf?

„In a nutshell“ gilt das Augenmerk in punkto Anpassungsfähigkeit drei Elementen:

  • Frühzeitiges Erkennen von Anpassungsnotwendigkeit: Es ist für jede Organisation notwendig, das externe, meist globale Umfeld und die Chancen und Risiken, die es bietet, sehr gut zu kennen. Genau das beherrschen aber de facto nur wenige. Viele Entscheider:innen glauben, ihr Umfeld gut zu kennen, unterschätzen dabei jedoch die Schnelligkeit und Tiefe von Veränderungen, die für uns Menschen aufgrund der Komplexität und Informationsmasse nicht mehr zu durchdringen ist. Ein aktuelles Radar über relevante Umfeldereignisse und -entwicklungen fehlt in geschätzten 90 % (!) der Organisationen – das die aktuellen KI-Entwicklungen ganze Branchen in den Niedergang treiben, ist das augenscheinlichste Beispiel für diese „Umfeld-Blindheit“.
  • Schnelles Experimentieren und Institutionalisieren von Neuem: Während Unternehmen hierzulande ihre Produkt- und Angebotsweiterentwicklung institutionalisiert haben, tun sich viele schwer, sich auch hinsichtlich Innovation bei Strategien, Prozessen und Geschäftsmodellen neu zu erfinden. Oft fehlt der Mut oder das Durchhaltevermögen, sich tatsächlich von grundlegenden Geschäftsgepflogenheiten aktiv hin zu neuen zu entwickeln. „Das haben wir schon immer so gemacht“ ist die Killerphrase für Anpassungsfähigkeit. Sie hält sich aber gerade hierzulande hartnäckig.
  • Ökosystemdenken statt Alleingängen: Während Marktführerschaft früher von Einzelunternehmen und durch Aufbau umfangreicher interner Kompetenzen und Kapazitäten forciert wurde, überholten die global erfolgreichsten Unternehmen in den letzten Dekaden mit der Fähigkeit, sehr große Stakeholder-Netzwerke in allen Teilen der Wertschöpfungskette zu managen. Besonders für den Technologiesektor trifft das zu: Systeme und Software veralten schnell. In einem wachsendem Ökosystem gibt es mehr Anreize, Ideen und Möglichkeiten zum Experimentieren und Wachsen statt in einem Szenario von Parallel-Forschung und Parallel-Investitionen, um keinen vermeintlich einzigartigen Fortschritt anderen zugänglich zu machen.

Die Uhr tickt

Daten sind die Grundlage für Information. Information ist die Grundlage für Wissen. Wissen ist die Grundlage für Erfolg. Diese einfache Wirkungskette wird massiv unterschätzt. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir nachweislich feststellen, dass selbst die hierzulande, von denen wir glaubten, dass sie alles über Technologie wissen, von anderen Ökosystemen technologisch weit abgehängt wurden. Die Alarmglocken müssen schrillen: Es ist höchste Zeit für’s „Anders machen“ wenn wir unseren Wohlstand auch für zukünftige Generationen erhalten wollen. Und es ist höchste Zeit, richtig hungrig zu werden: Auf den 725-Milliarden-Kuchen.


Zur Autorin:

Dr. Isabell Claus ist Serial-Tech-Unternehmerin, Geschäftsführerin von thinkers.ai, Gewinnerin des Staatspreises Europa 2022 (Bundeskanzleramt), Top Innovator 2023 (sheconomy) und Unternehmerin des Jahres 2020 in Österreich (WKO).

Von 2012 bis zum Exit des Gründerteams im Jahr 2018 war sie Mitglied des Führungsteams von RadarCyberSecurity. Nachdem das Team das Unternehmen an einen Konzern verkauft hatte, war Isabell Mitgründerin ihres zweiten Tech-Unternehmens thinkers.ai, das die manuelle Web-Recherche automatisiert und wichtige Ergebnisse visualisiert.

Vor ihrem Tech-Venture begann Isabell ihre Karriere bei einer Börse und bei Wellington Partners Venture Capital. Sie studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften und promovierte im Bereich strategische Finanzen. Isabell ist außerdem Universitätslektorin, Autorin zahlreicher Bücher und Veröffentlichungen über Cybersicherheit und künstliche Intelligenz und eine aktive Unterstützerin der Innovations-Community in Europa und darüber hinaus.

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