Christa N. sitzt in ihrer kleinen Küche in Wien, nimmt einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und scrollt über ihren Handybildschirm. Sie durchstöbert ihr Telefon gerade nach Bildern ihrer sechsjährigen Enkelin Luise. Lange muss sie aber nicht danach suchen, das hat sie wohl mit vielen Omas gemeinsam. Auf den Fotos macht Luise Dinge, die sechsjährige Kinder eben so machen: Sie schleckt Eis im Park, sitzt kuchenessend auf Omas Schoß oder hält einen Schoko- Osterhasen in die Kamera.
Christa hat ein inniges Verhältnis zu ihrer Enkeltochter. Das liegt daran, dass sie sehr viel Zeit mit ihr verbracht hat. Als sie 16 Monate alt war und Christas Tochter aus der Karenz für 30 Stunden zurück in den Job ging und Luise noch keine Zusage für den Kindergartenplatz hatte, passte Christa vier Tage in der Woche auf ihre Enkeltochter auf. Und als Luise in den Kindergarten kam, holte sie sie mindestens zwei Mal pro Woche von dort ab. Das ging sich damals gut aus, einen Monat bevor Luise zur Welt kam, ging Christa nämlich in Pension, hatte also gut Zeit und damit auch gleich eine neue Aufgabe. Jetzt, wo Luise aber zur Schule geht, immer älter und unabhängiger wird, am Nachmittag Freund:innen oder einen Sportkurs besucht, hat auch Christa wieder mehr Zeit – und deshalb merkt die 69-Jährige eines seit einigen Monaten besonders: die Beschäftigung fehlt.
Vor ihrer Pensionierung hat Christa immer viel gearbeitet, war erst Sachbearbeiterin bei einer Versicherung, im Laufe ihrer Karriere stieg sie zur Vorstandssekretärin auf. Das war stressig, ja, aber Christa hatte Freude an ihrem Job. Der Tag ihrer Pensionierung war schwierig, zum Glück kam kurz darauf die Enkeltochter zur Welt. Nur: Was kommt jetzt? „Ich hätte eigentlich gerne wieder einen Job“, sagt die Wienerin und lächelt, „Ich war immer gerne berufstätig. Jetzt sitze ich Großteils zuhause, mein Mann arbeitet ja noch. Ich bin fit und kann und will etwas leisten. Natürlich würde es mir auch helfen, etwas dazuzuverdienen. Aber im Großen und Ganzen geht es mir darum, dass ich nicht untätig herumsitze.“
Status Quo
Christa N. ist mit ihrem Wunsch nicht alleine. Immer mehr Pensionist:innen wollen aus ihrem Ruhestand einen Unruhestand machen, wollen aktiv bleiben, weiterhin Teil des Berufslebens sein, das belegen auch Statistiken und Umfragen. Rund ein Drittel der aktuell neu angetretenen Pensionist:innen plant beispielsweise, auch weiterhin erwerbstätig zu bleiben. In Zeiten aufkeimender Problem-Debatten rund um den akuten Fachkräftemangel rücken die rund 1,75 Millionen Pensionist:innen in Österreich also immer mehr in den Fokus der öffentlichen Diskussion. Auch deshalb, weil die Zahl dieser Bevölkerungsgruppe aufgrund der immer höheren Lebenserwartung stetig ansteigt.
In Österreich können Männer derzeit mit 65 Jahren in Pension gehen, Frauen mit 60. Von den über 65-jährigen Pensionist:innen sind es aktuell 60.000, die arbeiten. Weil sie es wollen oder weil sie es müssen, wenn die Pension nicht zum Leben reicht. Bei den 65- bis 75-Jährigen sind es rund 36.000 Menschen, die geringfügig beschäftigt sind, 17.000 Menschen, die einer Voll- bzw. Teilzeitbeschäftigung nachgehen, bei den über 75-Jährigen sind das 1.900 Personen (Stand 2022; Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger).
Zum Vergleich: 2021 waren rund 88.000 Pensionist:innen erwerbstätig. Wo man sie findet? In so ziemlich jedem Sektor: Die meisten von ihnen arbeiten im Handel oder der Immobilienbranche, viele von ihnen auch in der Produktion, als wirtschaftliche oder technische Dienstleister oder in der Gastronomie. Grundsätzlich seien es aber vor allem Selbstständige, die in der Pension weiterarbeiten, weil sie unabhängiger sind als Angestellte. Einfach ist es aber für niemanden so richtig, das sieht auch Christa N. so. „Es wird einem nicht leicht gemacht, als Pensionistin weiterzuarbeiten“, sagt sie und nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee. „Weil das mit den anfallenden Steuern und Abgaben einfach sehr kompliziert ist.“
Es ist kompliziert
Die Debatte ist jedenfalls entfacht und erhitzt die (politischen) Gemüter. Die Lager sind gespalten – da sind die, die die Senior:innen weiter im Berufsleben halten wollen und ihnen den Zugang dazu vereinfachen möchten, wie die ÖVP. Andererseits gibts es diejenigen, die berufstätige Pensionist:innen grundsätzlich skeptisch sehen, weil sie in Konkurrenz mit den Jüngeren treten könnten – so wie die Grünen und die SPÖ.
Vorreiterin, wenn es darum geht, Pensionist:innen im Job zu halten, ist jedenfalls Ingrid Korosec: Seit vergangenem Jahr plädiert die Seniorenbundchefin immer lauter dafür, die Alten zurück in die Jobs zu holen, weil Betriebe von deren Wissen profitieren würden. Sie sieht Pensionist:innen als „Chancengruppe“, auch sie fordert, das System grundsätzlich zu vereinfachen und vor allem eine Abschaffung der Beiträge voranzutreiben, sowie mehr Anreize zu schaffen.
Momentan ist es nämlich so: Bei Regelpensionisten, die berufstätig bleiben, fallen weiterhin Lohnsteuer, Pensionsbeitrag und Krankenkassenbeiträge an. Und die verringern Bruttozusatzeinkommen vor dem Abzug der Einkommenssteuer – bei Angestellten um 22,8, bei Freiberufler:innen um 20 und bei Selbstständigen um 18,5 Prozent. Für Selbständige mit und ohne Gewerbeschein gilt die Versicherungsgrenze, die liegt für das Jahr 2023 bei 6.010,92 Euro. Heißt also: Als Pensionist:in muss man sich schon die Frage stellen, ob sich das Arbeiten in der Pension aufgrund diverser Abgaben am Ende wirklich auszahlt. Egal, ob selbstständig oder angestellt. Korosec erläutert jedenfalls in der Tageszeitung „Die Presse“, warum der Zuverdienst für Pensionist:innen ein „teures Hobby“ ist:
Lohnt es sich?
„Die Pensionsbeiträge erhöhen die Eigenpension um lediglich ein Prozent des Zuverdiensts pro Monat. Für die Betroffenen ein schlechtes Geschäft. Eine spürbare Pensionserhöhung wird erst nach 15 Jahren Zuverdienst erreicht. Das führt den Sinn dieser Beiträge ad absurdum. In der Pension werden auch keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt.“
Wenn man es sich durchrechnet, hängt es also vor allem von der eigenen Lebenserwartung ab, wie rentabel die Berufstätigkeit in der Pension im Endeffekt ist. In der Kritik steht vor allem auch die Doppelbesteuerung der Pension, sobald sich Pensionist:innen etwas dazuverdienen. Was genau das heißt? Das zusätzliche Einkommen wird auf den Pensionsbeitrag, der ja nach Abzug der Steuer auf dem Konto landet, aufgerechnet – und dieser Gesamtbetrag wird dann vom Staat einfach nochmal besteuert. Dieses System müsse sich dringend ändern, plädiert Korosec.
Wer trotz Regelpensionsalters gar nicht in Pension geht, sondern weiterhin arbeitet, erhält jedes Jahr, das man nach Erreichen des Pensionsalters weiter berufstätig ist und in dem man auch Versicherungszeiten erwirbt, seit 2017 einen sogenannten „Aufschubbonus“ – oder auch „Bonifikation“ – der einem Plus von 4,2 Prozent entspricht. Als Belohnung fürs längere Arbeiten wird hingegen nur die Hälfte der Versicherungsbeiträge verlangt. Allerdings sollte man sich trotz dieser Option die Mühe machen und das Pensionsgeld, auf das man verzichtet, mit dem gegenzurechnen, was man dazugewinnt – in den meisten Fällen zahlt sich das nämlich nicht aus.
Der Seniorenbundchefin Ingrid Korosec gegenüber steht wiederum die Arbeiterkammer. Dort sieht man die zusätzliche Erwerbsarbeit im Pensionsalter generell kritisch, selbst, wenn sich für etwaige abzugebende Beiträge eine Lösung finden würde. AK-Pensionsrechtsexperte Wolfgang Panhölzl zum Beispiel plädiert, dass es vor allem die Jungen sein müssten, die etwaige Lücken – wie den Fachkräftemangel – schließen müssten. Außerdem seien die Unternehmen gefragt, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Der Wille wäre da
Fakt aber ist, dass es Luft nach oben gibt. Denn das volle Potenzial an arbeitswilligen Pensionist:innen schöpft Österreich noch nicht aus – das sagen zumindest die Ergebnisse einer Umfrage des oberösterreichischen „Market“-Instituts. Grundsätzlich könnten sich nämlich viel mehr Pensionist:innen vorstellen, weiterhin zu arbeiten, nur hemmt sie genau das, was auch Christa N. hemmt: das komplizierte System und die vielen Abzüge. Würde der Staat auf Teile dieser Abzüge verzichten, wäre der Wille, länger zu arbeiten, größer, sagt zumindest jede:r vierte Teilnehmer:in der Umfrage.
Christa N. erhält momentan jedenfalls 1.400 Euro an Pension im Monat. Das sind, wie bei allen anderen Pensionist:innen auch, 80 Prozent des durchschnittlichen Einkommens. Helfen würde es ihr jedenfalls, sich die Pension ein bisschen aufzubessern, ob sich der Aufwand lohnt, da ist sie sich nicht sicher. Vollzeit würde sie ohnehin nicht arbeiten wollen – wenn angestellt, dann Teilzeit oder geringfügig. „Oder ich mache mich einfach selbstständig und sperre ein Café auf und verkaufe Kuchen, Kaffee und Kakao. Da hätte aber wahrscheinlich Luise am allermeisten davon.“
Die Situation in Deutschland
Das Renteneintrittsalter in Deutschland lag lange bei 65 Jahren. Die Rentenreform aus dem Jahr 2012 hebt das Regelrentenalter aber schrittweise an – von 65 Jahren wird es für Männer und Frauen, die ab 1964 geboren wurden, auf 67 Jahre erhöht. Für Renter:innen, die in vorgezogene Altersrente gegangen sind, ist seit 1.1.2023 die Zuverdienstgrenze gefallen, sie können also weiterhin arbeiten, ohne, dass ihre Rente gekürzt wird – unabhängig von der Höhe des erzielten Einkommens. Bis Dezember 2022 lag die jährliche Zuverdienstgrenze bei 46.060 Euro.
Auch für Menschen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben und dann in Rente gegangen sind, wirkt sich ein Zusatzverdienst nicht auf die Rente aus. Die Steuern und Sozialabgaben bei einem Zuverdienst richten sich grundsätzlich nach der Höhe dieses Verdiensts. Bleibt man innerhalb der Geringfügigkeitsgrenze von 520 Euro im Monat, also 6.240 Euro im Jahr, sind keine Abgaben fällig. Grundsätzlich gilt aber: Am Besten bei der Deutschen Rentenversicherung beraten – und sich alle Fragen beantworten lassen.